Es sollte eine Riesensause werden: Die Hexenverbrennung auf dem Mittelalterfest am Schloß Wasseralfingen in Baden-Württemberg. Hubert der Henker wollte seines grausamen Amtes walten und eine Malefikantin zum Scheiterhaufen führen. Doch nun muß der Meister Däumchen drehen. Die Hexenverbrennung fällt aus. Nicht, weil das arme Weiblein etwa freigesprochen, oder auf ihrem Besen einfach davongeflogen wäre, sondern wegen moralischer Empörung des üblichen Klientels, neudeutsch Shitstorm.
„An alle, die jetzt so tun, als wäre es völlig harmlos und normal eine Hexenverbrennung nachzuspielen…“, schreibt allen Ernstes eine gewisse Andrea Snurb auf Facebook, „Sollen wir demnächst auch den Holocaust nachspielen, weil das ja nunmal Teil der Geschichte ist?“ Himmel, was für ein Furor. Und dabei sollte doch alles nur ein Spiel sein, ein Spaß, klar, mit etwas Spannung vor historischer Kulisse.
Edle Ritter und stolzierende Hübschlerinnen
„Ein vielseitiges Programm erwarte die Besucher“, versprach Ortsvorsteherin Andrea Hatam noch Anfang der Woche gegenüber der Schwäbischen Zeitung. Eine Zeitreise vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit mit dem Schwerpunkt Hochmittelalter. Und die hat auch einiges zu bieten: Am Schloß gastiert dieses Jahr zum fünften Mal der Mittelalter Markt.
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Edle Ritter im Turnier, Gaukler, Handwerker selbst Medici zeigen vom 9. bis zum 11. Juni ihre Künste. Fahrende Händler bieten ihre Ware feil und ältere Herren können ihre lüsternen Augen auf vorbeistolzierende Hübschlerinnen werfen. Speziell für Schwaben attraktiv: Außer dem Konzert mit „Des Geyers schwarzer Haufen“ ist der Eintritt kostenlos. Und zum ersten Mal mit von der Party: Eine Hexenverbrennung.
Hexenschau mit Phyrotechnik
Die sieht dann folgendermaßen aus: In einem Schandkarren befördern Männer eine um ihr Leben bettelnde Frau auf den Platz. Unter Trommelwirbel und dem Gesang „Hex, Hex, Hex, brennen muß die Hex“ steht sie später an einen Pfahl. Endlich flimmern etwas rote Phyro und ein paar züngelnden Flammen empor und die Unglückliche sinkt in den Erdboden, respektive ab in die Hölle. So tingelt Henker Hubert und sein Gefolge schon seit Jahren über die Marktfeste.
Der Begriff Hexenverbrennung habe in den letzten Tagen einen regelrechten Sitstorm verursacht, zitiert der SWR die Ortsvorsteherin von Wasseralfing, Andrea Hatam. Es sei ja eher ein Familienfest, „und da hat so ein grausames Element, wo Folter gezeigt wird und wo unschuldige Frauen und auch Männer dem Wahn Hexenverfolgung erlegen sind, nichts zu suchen“, wird Ortsrätin Sigrun-Huber-Ronecker (Grüne) zitiert.
Die Jahrhunderte der edlen Ritter, der weniger edlen spanischen und englischen Eroberer, eines Martin Luthers, eines Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, oder eben einer heldenhaften Katharina Henot waren kein Zuckerschlecken. Ende des Mittelalters bis in die Neuzeit wurden 60.000 Menschen, so schätzen Experten heute, Opfer des Hexenwahns in Europa.
Mit Märchen aufräumen
Aber, um hier mal mit ein paar Märchen aufzuräumen: 2/3 der Unglücklichen waren Frauen, 1/3 Männer. Die wenigsten wurden lebendig verbrannt. Die katholische Inquisition war eine ausgewiesene Gegnerin der Hexenverfolgung. Einer der schärfsten Kritiker war Friedrich Spee (1591-1635), ein Jesuit und, nach neusten Forschungen, selbst Hexenbeichtvater. In seinem Buch Cautio Criminalis spricht er sich vehement gegen die Verfolgung und gegen die Folter aus. Und weder die protestantische noch die katholische Kirche verurteilten die Angeklagten, daß war die Aufgabe der weltlichen Gerichtsbarkeit.
Doch, warum sollten auch dauerempörte Spielverderber sich um historische Fakten kümmern? Die stören nur. Nun haben sich alle im Planungsteam des Festes drauf geeinigt, daß die Hexenverbrennung im katholischen Wasseralfingen ausfällt. Und im kommenden Jahr fällt dann irgendwem auf, daß die Hübschlerinnen vor Kinderaugen auf einem Familienfest ebenfalls nichts zu suchen haben. Genauso wenig wie Ritter, Schmiede und Gaukler. Mittelalterfeste sind eh reaktionär.