Am Tag nach den NRW-Wahlen ist bei der AfD vieles wie bei den vergangenen zehn Landtagswahlen. Stets hat man Prozentpunkte verloren, stets verspricht man eine „Analyse“ der Ergebnisse. Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla brachte bereits am Wahlabend eine „Initiative West“ ins Gespräch. Denn insbesondere in den „Alten Bundesländern“ mußte die Partei Stimmeinbußen hinnehmen.
Nichtwähler
Das immergleiche Muster zeigte sich auch bei den gestrigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Vornehmlich an die „Nichtwähler“ verlor die Partei Stimmen. Ganze 160.000 kehrten den Rücken. Marginal gab man auch Stimmen an CDU, die „Sonstigen“ und sogar die Grünen ab. Zumindest eine in Parteikreisen oft geäußerte Befürchtung erfüllte sich dabei nicht: An Kleinparteien wie etwa die „Basis“ verliert die AfD so gut wie keine Stimmen.
Interessant ist der Vergleich zur Wählerwanderung 2017. Damals gelang der Partei aus dem Nichts heraus der Einzug ins Parlament. Sie konnte dabei durch die Bank weg Stimmen von allen anderen Parteien sammeln. Insbesondere von den „Sonstigen“ und bisherigen Nichtwählern profitierte die AfD damals. In kleinem Maße auch von ehemaligen Wählern von CDU, SPD und FDP.
Allerdings ist die AfD nicht die einzige Partei, die 2017 von Nichtwählern profitierte. Bis auf die Grünen gelang das 2017 nämlich noch allen Parteien. Am stärksten profitierte damals nicht die AfD, sondern mit 430.000 Wählen aus diesem Bereich die CDU. 2022 verlor die Union dann wiederum 160.000 Stimmen an die Nichtwähler. Eine besondere Stellung oder herausragende Mobilisierungsfähigkeit in dieser Wählergruppe hat die Alternative für Deutschland also nicht. Im Gegenteil gibt es ein über die Parteigrenzen hinweggehendes Muster: Nichtwähler kommen und gehen – bei allen Parteien. Der einzige Unterschied ist, dass sie bei der AfD überproportional zu Buche schlagen. Die Behauptung, bei dieser Wählergruppe handele es sich faktisch durchweg um potentielle AfD-Wähler, ist allerdings widerlegt. Sie sind genauso buntgescheckt wie andere Schichten auch und kommen so schnell, wie sie gegangen sind.
Ukraine-Krieg
Die von den AfD-Strategen erhoffte Wähler-Mobilisierung durch die strikte Ablehnung von Militärhilfen für die Ukraine blieb nach Schleswig-Holstein auch in NRW aus. Selbst unter den Wählern der Partei ist die Aussage „Finde es gut, daß sie Verständnis für die russische Position im Ukraine-Krieg zeigt“ nicht mehrheitsfähig.
Von allen Wahlteilnehmern rechnen der Partei das immerhin elf Prozent an. Eine „stille Mehrheit“ bediente die Partei damit allerdings in keiner Weise. Klar und deutlich ist dagegen die Ansicht der Wähler, die AfD grenze sich nicht stark genug von „rechtsextremen Positionen“ ab.
Arbeiterpartei
Ein Trend setzte sich auch in NRW ungebrochen fort: Die AfD wird mehr und mehr als „Arbeiterpartei“ wahrgenommen. Schon bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein konnte die Partei hier massiv zulegen, verlor im Gegenzug allerdings bei Rentnern und Angestellten. In NRW erreichte die AfD nun wieder 17 Prozent in diesem seit Jahren schrumpfenden Wählerbereich (2010: 25 Prozent / 2018: 16,6 Prozent), verlor dabei allerdings drei Prozentpunkte bei der wachsenden Zahl der Angestellten. Der Anteil der Arbeiter unter den verbleibenden Wählern ist damit weiter gestiegen. Insgesamt ist
Hat die AfD bei den Arbeitern, wie einige behaupten, noch ungenutztes Potential? Daran kann man mit guten Gründen zweifeln. Die Gewinner in dieser Schicht sind wie in der Gesamtschau Grüne (zehn Prozent) und CDU (25 Prozent). Stärkste Kraft mit Verlusten blieben die Sozialdemokraten, die knapp 29 Prozent erreichen. Die Arbeiter sind demnach keine homogene Masse, in der das AfD-Potential sich deutlich erweitern könnte. Alles andere hieße, ihnen zu unterstellen, monokausalere Wahl-Beweggründe zu haben als Rentner, Angestellte oder Arbeitslose.
Zwar gibt es divergierende Parteipräferenzen in diesen Gruppen, allerdings keineswegs in einem so hohen Maße, daß eine Fokussierung hier sonderlichen Erfolg versprechen würde. Zumal die AfD, wenn sie bei den Arbeitern gewinnt, in anderen Wählergruppen Einbußen hinnehmen muß. Dennoch hat sich der Arbeiteranteil unter den AfD-Wählern weiter erhöht. Der insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden propagierte „Sozialpatriotismus“ schlägt sich so auch mehr und mehr in westdeutschen Bundesländern nieder. Allerdings bei insgesamt zurückgehenden Stimmanteilen.