Die Beurteilung der AfD-Ergebnisse bei den jüngsten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg reichen von „mit einem blauen Auge davongekommen“ über „klare Wahlschlappe“ bis hin zur „herben Klatsche“. Während die einen die Verluste und einstelligen Ergebnisse als Beleg für den Abstieg der Partei oder einen falschen politischen Kurs sehen, deuten andere den klaren Wiedereinzug in Zeiten von Corona, Briefwahl und erschwerten Wahlkampfbedingungen als Beweis dafür, daß die Partei „angekommen“ sei und über eine stabile Wählerbasis jenseits der Fünf-Prozent-Hürde verfüge.
So unterschiedlich die Bewertungen der AfD-Ergebnisse von außen sind, so weit gehen auch intern die Meinungen über das Abschneiden bei den Wahlen am vergangenen Sonntag auseinander. Nur in einem unterscheiden sich die verschiedenen Lager kaum: Jede Seite versucht, das Ergebnis als Beleg für die Richtigkeit und Notwendigkeit des eigenen politischen Kurses auszugeben – und welche Schlüsse daraus nun gezogen werden müssen.
Zwar beteuerten am Wahlabend vom rheinland-pfälzischen AfD-Spitzenkandidat Michael Frisch über die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch bis zur baden-württembergischen Landesvorsitzenden und Bundestagsfraktionschefin, Alice Weidel, alle einhellig, daß angesichts der massiven Behinderungen im Wahlkampf und der mißbräuchlichen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes das Wahlergebnis durchaus ein Erfolg sei.
Höcke: Nicht auf ominöse „bürgerliche Mitte“ schielen
Doch schon am Tag nach der Wahl begannen die Ersten mit der Suche nach Schuldigen und Verantwortlichen. Zu ihnen gehörte unter anderem Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Am Montag verfaßte er „zehn Anmerkungen zum Wahlausgang“ auf dem Portal „Deutschland-Kurier“. Darin erhob er schwere Vorwürfe gegen das Lager um AfD-Sprecher Jörg Meuthen.
„Das Schielen nach der ominösen ‘bürgerlichen Mitte’ hat sich einmal mehr als falsch erwiesen, wie ein Blick auf die Wählerwanderung zeigt. Das wichtigste Wählerpotential besteht in dem großen und weiter wachsenden Reservoir der Nichtwähler.“ Die einstelligen Ergebnisse bei der Landtagswahl seien nicht lediglich ein „Streifschuß“, sondern „eine klare Wahlschlappe“. Wenn man die sinkende Wahlbeteiligung mit einbeziehe, werde der Verlust noch deutlicher. Es gelte nun, die richtigen Schlüsse zu ziehen, wenn die AfD nicht als „jüngste Altpartei der Republik“ enden wolle.
Im Gegensatz zur Partei- und Fraktionsspitze im Bundestag glaubt Höcke, die drohende Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz spiele, „wenn überhaupt, in den bürgerlichen Schichten der Alt-Bundesrepublik nur eine marginale Rolle“.
Schon zuvor hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der brandenburgischen AfD-Fraktion, Dennis Hohloch, auf Twitter die Ergebnisse als „ernüchternd“ bezeichnet. Sie zeigten klar, „daß unser größtes Potenzial bei den Nichtwählern liegt“. Dieses werde man nicht mit einem „Wettbewerb um mehr ‘Bürgerlichkeit’ gewinnen“. Die Prozente lägen „auf der Straße und dort müssen sie auch abgeholt werden“.
Weniger Eigenbeschäftigung, sondern eine stärkere inhaltliche Fokussierung wären zudem weitere Erfolgsgaranten.
— Dennis Hohloch (@Dennis_Hohloch) March 14, 2021
Weidel: Weder Zurücklehnen, noch in Panik verfallen
Laut den Schätzungen von infratest dimap im Auftrag der ARD verlor die AfD in Baden-Württemberg am meisten ehemalige Wähler an die Gruppe der Nichtwähler (135.000). Faßt man die übergelaufenen Wähler zu CDU (95.000) und FDP (50.000) zusammen, sind es mit 145.000 etwas mehr, die sie an bürgerliche Parteien verlor. In Rheinland-Pfalz büßte die AfD 61.000 frühere Anhänger ein, die diesmal nicht wählen gingen. 13.000 verlor sie an die CDU, 8.000 an die FDP und 6.000 an die erstmals in den Landtag eingezogenen Freien Wähler.
Auch in AfD-Gruppen beschwören Funktionäre und Mitarbeiter, die eher dem Lager um Partei-Chef Tino Chrupalla und dem AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland zuzuordnen sind, die stärkere Fokussierung auf Nichtwähler als Garant für erfolgreiche Wahlergebnisse. Nichtwähler sind jedoch nicht gleich Nichtwähler. Die Gründe für die Wahlverweigerung sind vielfältig. Die Erklärungsversuche reichen von der Frustration, durch die Stimmabgabe nichts bewirken zu können, über allgemeine Politikverdrossenheit bis zur Ansicht, daß manche Nichtwähler einfach zufrieden sind und keine Veränderungen wollen.
Allerdings war es in der Vergangenheit eine Stärke der AfD, aus dem Reservoir der Nichtwähler schöpfen und diese zum Urnengang motivieren zu können. Die Wahlbeteiligung stieg, als die AfD antrat. Ob sich mit den ersten Landtagswahlen in diesem Jahr nun eine generelle Wende anbahnt, die diese Entwicklung der vergangenen Jahre rückgängig macht, läßt sich derzeit noch nicht einschätzen. Fest steht jedoch: Will die AfD bei der bevorstehenden Bundestagswahl mehr als nur ihre Stammwähler gewinnen, muß sie sich auch um das Lager der Nichtwähler bemühen.
Baden-Württembergs Landes-Chefin Weidel spricht sich deshalb gegenüber der JUNGEN FREIHEIT auch für einen „offenen innerparteilichen Austausch und eine Analyse der Landtagswahlen“ aus. Man müsse genau schauen, welche Stärken und welche Schwächen die Partei im Wahlkampf gehabt habe. „Aus meiner Sicht ist aber weder ein Zurücklehnen noch ein Verfallen in Panik die richtige Antwort. Wir müssen im Hinblick auf die kommenden Wahlen den Blick nach vorn richten und gemeinsam für unser Heimatland weiter hart arbeiten.“
Problem der Briefwähler
Die Wahlen hätten unter anderem gezeigt, „daß die AfD als bürgernahe Partei besonders darunter leidet, keine Großveranstaltungen abhalten zu können. Wenn dann gleichzeitig die Antifa Wahlkampfstände attackiert und wie in Schorndorf Kandidaten krankenhausreif prügelt, wird es schwer mit den Bürgern in direkten Kontakt zu treten.“ Anders als Höcke mißt Weidel den Auswirkungen der Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz mehr als nur eine „marginale Rolle“ zu.
Auch wenn sich die AfD juristisch erfolgreich gegen das rechtswidrige Vorgehen des Verfassungsschutzes habe wehren können, habe dies „dies wechselwillige Wähler offensichtlich in einem gewissen Maße abgeschreckt“, sagte sie der JF.
Eine weitere Erkenntnis des Wahlabend sei zudem, daß von dem hohen Anteil an Briefwahlstimmen lediglich die etablierten Parteien hätten profitieren können. „Die AfD, die einen starken Zuspruch bei kurzentschlossenen Protestwählern hat, ist hier klar benachteiligt. Wir haben das an den ersten Hochrechnungen ablesen können, in denen wir fast drei Prozent höher verortet waren, als im amtlichen Endergebnis. Ein Aspekt, der genauer unter die Lupe genommen werden muß.“
Das fordert auch der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, wo sich die AfD im Herbst einer weiteren Landtagswahl stellen muß. Man dürfe nicht noch einmal den Fehler machen, die Briefwähler zu vernachlässigen, warnt er. „Das sind die Lehren aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.“
Leider seien auch „die Hetze der Altparteien und die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes nicht spurlos an uns vorüber gegangen“. Doch nicht nur solche äußeren Faktoren hätten der AfD geschadet, kritisiert Pazderski. „Wir müssen uns endlich noch deutlicher von Rechtsaußen abgrenzen und dürfen radikalen Elementen und Positionen keine Bühne mehr bieten.“ Nur als bürgerlich-konservative Partei, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, könne man für das bürgerliche Lager eine wählbare Alternative bieten.
Chrupalla: Trends für die Bundestagswahl lassen sich nicht ableiten
Das sieht auch die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, so. Verantwortlich dafür, daß die AfD bei den Landtagswahlen so stark wie keine andere Partei verloren habe, seien sowohl Fremd- als auch Eigenverschulden, schrieb Steinbach am Mittwoch auf Facebook.
„Die Selbstradikalisierung in Teilen der AfD ist nicht unerheblich daran beteiligt. Die widerrechtliche Behandlung durch Medien und Bundesregierung hat zwar dazu beigetragen, aber dem muß man bürgerlich entgegentreten und widerstehen.“ Dies sei sicherlich nicht immer leicht, wenn man soviel „Unfairneß und Vernichtungswillen“ ausgesetzt sei. „Aber für dauerhaften Erfolg führt kein Weg daran vorbei.“
Auch Parteichef Chrupalla ist für eine gründliche Analyse und Auswertung der Wahlergebnisse, das stärke die Autonomie der Landesverbände. Dennoch seien die Resultate der Landtagswahlen spezifisch für die jeweilige Region zu betrachten, gibt Chrupalla gegenüber der JF zu bedenken.
„Generelle Trends für den Ausgang der bevorstehenden Bundestagswahl lassen sich nicht ableiten. Im Detail stellt sich jedoch dar, daß Personen und Inhalte gleichermaßen wahrgenommen und von den Wählern bewertet werden.“ Insofern müsse die AfD sowohl personell als auch inhaltlich ein klares Profil aufweisen.
„Die Menschen verknüpfen mit uns thematisch Soziales, innere Sicherheit und Migration. Nur so werden wir unsere Zielgruppen erreichen können“, betont der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete. Daneben gebe es aber durchaus Wählergruppen, bei denen für die AfD noch Luft nach oben sei, beispielsweise weibliche Wähler und die Nichtwähler.
Meuthen rät Höcke zur Demut und Zurückhaltung
AfD-Sprecher Meuthen jedoch reicht das nicht: „Nur mit einer konsequent freiheitlich-konservativen Aufstellung, die auf schrille Töne und krasse Agitation verzichtet, können wir auch die Erfolge einfahren, die wir brauchen, um mit unserer Politik dieses Land an verantwortlicher Stelle zu gestalten“, mahnte Meuthen gegenüber der JF.
„Wir haben ein überzeugendes Wahlprogramm, das durchgehend eine Alternative zu den Inhalten der etablierten Parteien bietet. Das werden wir auf dem Parteitag im April beschließen. Wenn sich dann auch noch alle verantwortlichen Akteure genauso überzeugend und professionell verhalten, wie unser Programm ist, werden wir bei der Bundestagswahl auch Erfolg haben.“
Angesprochen auf die Wahlinterpretation Höckes machte Meuthen deutlich, was er von dessen Ansicht hält. Diese sei „vorschnell und in einer Vielzahl von Punkten völlig irrig“. Dem Thüringer AfD-Chef scheine jedes Gespür dafür zu fehlen, daß die vom Verfassungsschutz angekündigte Beobachtung der Gesamtpartei fatale Auswirkungen auf die Zustimmung für die AfD in bürgerlichen Wählermilieus habe – und zwar nicht nur in westlichen Flächenstaaten, betonte Meuthen.
„Des Weiteren sind die Äußerungen von Björn Höcke, wonach Corona vorbei sei und auch nicht wiederkäme, alles andere als hilfreich dafür, wie die Wähler die Politik der AfD in der Corona-Krise bewerten. Deswegen würde es gerade ihm gut zu Gesicht stehen, sich in diesem Punkt in Demut und Zurückhaltung zu üben.“
Es gilt also einmal mehr: viele Köpfe, viele Meinungen. Es ist kein Geheimnis, daß in der Politik Erfolge stets mehr Verantwortliche kennen als Niederlagen. Das ist ein bißchen wie beim Fußball. Da beweist sich der Zusammenhalt und das gemeinsame Funktionieren einer Mannschaft auch erst, wenn es in der Tabelle in Richtung der unteren Plätz geht.
Für die AfD heißt das, um im Bild zu bleiben, auch sechs Monate vor der Bundestagswahl ist längst nicht ausgemacht, daß sich die Partei im oberen Mittelfeld festsetzen oder gar auf einen der vorderen Plätze hoffen kann. Und für einen möglichen Abstiegskampf scheint sie bislang nur unzureichend aufgestellt und vorbereitet zu sein.