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Überwachung aller Nachrichten: Chatkontrolle: Der gescannte Bürger

Überwachung aller Nachrichten: Chatkontrolle: Der gescannte Bürger

Überwachung aller Nachrichten: Chatkontrolle: Der gescannte Bürger

EU-Kommissarin Ylva Johansson steht im Zentrum der Kritik. Hat sie unlautere Werbung genutzt, um die Chatkontrolle durchzusetzen? Foto: picture alliance / AA | Dursun Aydemir
EU-Kommissarin Ylva Johansson steht im Zentrum der Kritik. Hat sie unlautere Werbung genutzt, um die Chatkontrolle durchzusetzen? Foto: picture alliance / AA | Dursun Aydemir
EU-Kommissarin Ylva Johansson steht im Zentrum der Kritik. Hat sie unlautere Werbung genutzt, um die Totalüberwachung durchzusetzen? Foto: picture alliance / AA | Dursun Aydemir
Überwachung aller Nachrichten
 

Chatkontrolle: Der gescannte Bürger

Die EU-Kommission will die totale Chatkontrolle. Doch Protestkampagnen, skeptische Länder und interne Skandale bremsen das Vorhaben. So soll eine EU-Kommissarin Desinformation betrieben haben, um für das umstrittene Vorhaben zu werben.
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Mit einer umfassenden Chatkontrolle will die EU-Kommission das Verbreiten von Kindesmißbrauch bekämpfen. Dabei sollen die Anbieter von Messengerdiensten bis zu E-Mails verpflichtet werden, Fotos, Videos und andere Inhalte, die ihre Nutzer verschicken oder hochladen, automatisch auf Darstellungen von Kindesmißbrauch zu durchsuchen und mögliche strafbare Fälle an die Ermittlungsbehörden zu melden.

Das Vorhaben ist nicht nur politisch umstritten. Auch zahlreiche Wissenschaftler warnen eindringlich. Wie effektiv das geplante Gesetz sei, hänge an der Existenz effektiver Scanningtechnologien. Doch alle Technologien, die dafür bereits existieren oder in absehbarer Zeit fertig entwickelt sind, seien „mit schweren Mängeln behaftet“, argumentieren 300 Unterzeichner eines Briefs von Forschern und Wissenschaftlern an das EU-Parlament und die Kommission.

Doch nicht nur aus der Wissenschaft kommen Vorbehalte. Auch inhaltlich durchaus unterschiedliche Einrichtungen wie der Deutsche Kinderschutzbund oder Vertreter von Ermittlungsbehörden kritisieren die Planungen zum Durchleuchten von privaten Dateien und der Kommunikation als unverhältnismäßig. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sprach vor einem „massiven Eingriff in die Freiheitsrechte“.

Chatkontrolle könne kein legitimes Mittel sein

Daß die EU stärker gegen Kindesmißbrauch vorgehen will, sei ohne Frage zu unterstützen, betonte Rechtsanwalt David Albrecht, Mitglied des DAV-Ausschusses Gefahrenabwehrrecht. „Die Chatkontrolle in der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Form könne aber kein legitimes Mittel sein. Die im Entwurf enthaltenen Voraussetzungen für die Scan-Pflicht würde nahezu alle Hosting- und Kommunikationsanbieter betreffen, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wie bei WhatsApp müßte entweder aufgehoben oder durch das sogenannte „Client-Side-Scanning“ umgangen werden.

„Stellen Sie sich vor, die Post würde unterschiedslos alle Briefe und Pakete öffnen und auf strafbare Inhalte überprüfen“, so Albrecht. Das „Scanning“ der Inhalte wurde von Tech-Unternehmen wie Apple mittlerweile bereits als „undurchführbar“ bezeichnet. Von einem „digitalen Angriff“ sprach auch die Sachverständige Ella Jakubowska von der European Digital Rights-Vereinigung. Sie betont, daß der Verordnungsvorschlag nicht in Einklang mit den Menschenrechten stehe. Er unterminiere den Datenschutz von privater Kommunikation in Mails, Chats oder von Fotos in der persönlichen Cloud.

Der Entwurf verfehle grundsätzlich das Ziel, Kindesmißbrauchsdarstellungen entgegenzutreten, betonte die Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Elina Eickstädt. Dem Projekt liege eine „krasse Überschätzung der Fähigkeiten von Technologien“ zugrunde, insbesondere was das Erkennen von unbekanntem Material angehe. Es stelle zudem eine noch „nie dagewesene Überwachungsinfrastruktur“ dar.

Datenschutzbeauftragter ermittelt

Als wären die Widerstände nicht schon groß genug, hat sich die EU-Kommission selbst noch weitere Probleme beschert. Mitten im Gesetzesprozeß schaltete Innenkommissarin Ylva Johansson Werbung für die Chatkontrolle in Ländern, die kritisch gegenüber der Verordnung sind. Es handelte sich dabei um sogenanntes umstrittenes Mikrotargeting – eine Form von gezielter personifizierter Werbung entlang festgelegter Einstellungen wie Religion, die die EU wegen Manipulationsmöglichkeiten eigentlich strenger regulieren will.

Wie der niederländische Jurist und Digital-Experte Danny Mekic durch Recherchen auf der Plattform X (vormals Twitter) herausgefunden hat, wurde die Kampagne pro Chatkontrolle ab dem 15. September geschaltet, einen Tag nachdem ersichtlich wurde, daß der Vorschlag der EU-Kommission keine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten hat.

Zudem soll Johansson die Nähe von Lobbyorganisationen gesucht haben, die unter dem Deckmantel des Kinderschutzes ein wirtschaftliches Interesse an der Chatüberwachung haben. Desinformationsvorwürfe gegen eine Institution, die sonst gern Desinformation bekämpfen möchte. Der EU-Datenschutzbeauftragte hat deshalb sogar eine Voruntersuchung eingeleitet und läßt sich mögliche Maßnahmen offen.

„Stop scanning me“

Daher ist völlig ungewiß, ob das Vorhaben in einer veränderten Form doch noch eine Mehrheit findet. Die spanische Ratspräsidentschaft bietet den Kritikern Kompromisse für ihr Ja an. Bei den jüngsten Gesprächen Ende vergangener Woche wurde eine Abstimmung mangels Einigung jedoch zum zweiten Mal vertagt.

Die Bundesregierung stand bisher auf der Seite der Ablehner und hatte eine entsprechende Koalitionsabmachung, zeigt sich aber nun offen für Nachbesserungen oder eine Aufspaltung, um strittige Punkte vorerst aus der Verordnung herauszunehmen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) will nach langem Streit in der Ampel beispielsweise verhindern, daß verschlüsselte private Messenger-Kommunikation überwacht wird.

Das breite europäische Kampagnenbündnis „Stop scanning me“, zu dem auch alle Jugendorganisationen der Koalitionsparteien gehören, fordert unterdessen, die Chatkontrollen komplett zu stoppen.

EU-Kommissarin Ylva Johansson steht im Zentrum der Kritik. Hat sie unlautere Werbung genutzt, um die Totalüberwachung durchzusetzen? Foto: picture alliance / AA | Dursun Aydemir
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