Ende März am Berliner Hohenzollerndamm 27a. Die ersten warmen Sonnenstrahlen fallen in den Redaktionsraum der JUNGEN FREIHEIT. Chefredakteur Dieter Stein tippt nervös auf seine Uhr. „Sind schon alle da?“ Er hat alle Mitarbeiter, also Reporter, Redakteure, Grafiker, Kollegen von Vertrieb, Buchhaltung und Leserdienst, zusammengerufen. „Wo ist eigentlich Vollradt?“
Gemeint ist Politikchef Christian Vollradt. Der ist zu spät – mal wieder. Mit einem entschuldigenden Blick und einer vollen Tasse dampfendem Kaffee trifft der vermißte Redakteur ein. „Der alte Sido“, lästert Volontär Vincent Steinkohl. Den Spitznamen hat sich Vollradt mit seinem Vollbart redlich verdient. Stein seufzt. „Na endlich.“ Ihm ist anzumerken, es ist kein normaler Termin.
Knapp 40 Mitarbeiter sind zusammengekommen, stehen eng gedrängt in dem Raum, wo sonst Besprechungen und – ganz wichtig – die täglichen Redaktionskonferenzen stattfinden. Auf einem großen Fernseh-Bildschirm an der Wand tauchen die Gesichter mehrerer extern arbeitender Redakteure auf. Jetzt sind wirklich alle da, auch Redaktionsdackel Rudi.
Der Beginn einer großen Kraftanstrengung
Stein drückt einen Knopf und die Gesichter auf dem Fernseh-Bildschirm wandern an den Rand. In großen roten Buchstaben steht dort jetzt „Die große Online-Offensive“. Darunter etwas kleiner: „Wie wir JF-Online massiv ausbauen und damit die JUNGE FREIHEIT als stärkstes konservatives Medium sichern.“ Er setzt zu seinem Vortrag an. „Ich habe heute alle Mitarbeiter zusammengerufen, um alle auf den neuesten Stand zu bringen. Ich habe ein wenig das Gefühl, es haben noch gar nicht alle mitbekommen, daß wir vor einer ganz großen Kraftanstrengung stehen und eigentlich ja schon mitten drin sind.“
Der JF-Chefredakteur blickt über seine rechte Schulter. Da steht Online-Chef Henning Hoffgaard. Stein referiert Zahlen, Fakten, Ziele. „In den nächsten fünf Jahren werden wir uns voll auf den digitalen Wandel konzentrieren.“
Szenenwechsel. Eine Woche früher kniet Vadim Derksen zwischen Kabeln, Kameras und einem Stapel Papieren auf dem Boden. „Hat jemand die Speicherkarten gesehen?“ Der bullige 1,92 Meter große 35jährige Rußlanddeutsche ist erst seit einigen Tagen als neuer Verantwortlicher für alle Aktivitäten in den sozialen Netzwerken bei der JUNGEN FREIHEIT.
Seit Anfang März dieses Jahres, um genau zu sein. Redakteur Florian Werner, 28 Jahre jung, findet das Objekt der Begierde. „Jetzt kann’s losgehen“, Derksen startet erleichtert die Kamera. Der Podcast der JF-Redaktions-Azubis Vincent Steinkohl und Lorenz Bien kann starten. Kopfhörer auf, Mikrofon an. „Spaghetti Volognese“, heißt das Format. Es ist der erste bereits etwas länger sicht- und vor allem hörbare Teil der Online-Offensive. Ein erster Mosaikstein.
Ein kleines TV-Studio ist in der Redaktion in den vergangenen Wochen entstanden. Licht, Kameras, Aufsteller. Professionell muß es sein und ist es auch geworden. Die ersten Ergebnisse gibt es auch bereits: Kurzvideos erscheinen auf Youtube, Facebook und Instagram. Auch auf TikTok ist die JF nun vertreten. Ein Video mit Henning Hoffgaard zu US-Präsident Joe Biden bekommt auf der bis jetzt weitgehend unzensierten Videoplattform 135.000 Aufrufe und wird fast 700mal kommentiert.
JF setzt auf Qualität
„Lief doch gut“, sagt Derksen schließlich und streicht sich zufrieden durch den roten Bart. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Dreh im Kasten. „Jetzt noch eine Grafik dazu und es kann losgehen.“ Er schmeißt das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop an, setzt die Kopfhörer auf. „Jetzt bitte nicht stören“, murmelt der Social-Media-Experte. „Ich hab danach noch einiges zu tun. Wir haben noch so viel vor.“
Ein Gedanke, der auch JF-Chefredakteur Dieter Stein an diesem Märztag inmitten seiner Mitarbeiter durch den Kopf gehen wird. „Wir setzen auf starkes Online-Wachstum, mehr Reichweite und mehr Qualität. Unsere Internetseite wird 2023 neu programmiert, und wir verdoppeln die Zahl unserer reinen Onlineredakteure von derzeit fünf auf zehn“, berichtet er. Das Ziel: Die JUNGE FREIHEIT ist der stärkste konservative Titel und Stachel im Fleisch einer fast ausschließlich linksliberal dominierten Medienlandschaft.
Die Zahlen sind im grünen Bereich
Der Digital-Offensive kommt entgegen, daß JF-Online sich bereits jetzt sehr gut entwickelt. „Alle Kennzahlen sind im grünen Bereich“, sagt Onlinechef Hoffgaard stolz. Die Zahl der Besucher konnte 2022 im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent auf über fünf Millionen gesteigert werden. Die Zahl der Seitenaufrufe stieg um knapp 17 Prozent auf mehr als 43 Millionen. Auch auf den sozialen Netzwerken kennt die Zahl der Abonnenten und „Follower“ nur eine Richtung. Das Ergebnis: Immer wieder gelingt es der JF, im unabhängigen Social-Media-Ranking „10.000 Flies“ mit ihren Beiträgen auf dem ersten Platz zu landen. Noch vor Welt, Spiegel oder Zeit.
Keine Selbstverständlichkeit. 2022 war nämlich nicht nur ein Jahr steigender Zugriffe, sondern auch personeller Umbrüche. Neben dem Abgang des langjährigen Online-Chefs Felix Krautkrämer mußten die Onliner auch den Verlust des bewährten Redakteurs Lukas Steinwandter verkraften. Durch die Übernahme von Florian Werner und Hoffgaards Rückkehr zur Zeitung – er war bereits zwischen 2011 und 2016 erst Volontär, dann Online-Redakteur – konnte die Zahl der Redakteure gehalten werden.
Und nicht nur das. Seit dem 16. Mai vergangenen Jahres gibt es eine Online-„Frühschicht“, die der erfahrene Journalist Frank Hauke betreut. Die Leser bekommen wochentags nun bereits ab 6.30 Uhr aktuelle Meldungen, Kommentare oder Analysen geliefert. Verstärkung kommt zudem durch zwei Volontäre, deren Journalisten-Ausbildung bei der JF einen klaren Online-Schwerpunkt hat.
„Eine Million Euro bis 2027“
Die jetzt gestartete Online-Offensive schließt direkt an eine Image-Kampagne der JF an, die in den vergangenen Monaten online und in der gedruckten Zeitung mit dem neuen Claim „Für alle, die es wissen wollen“ ausgerollt wurde und auch den aufwendig produzierten Film „Dein Job bei der JUNGEN FREIHEIT“ enthält. Mehreren zehntausend Aufrufen folgten viele Bewerbungen und die Gewinnung neuer Autoren.
Doch all das bereitete nur den Boden für den großen Aufschlag. Stein macht ganz deutlich, worum es am Ende geht, was JF-Online sein soll: aktuell, exklusiv, am Puls der Zeit und in Bewegung. Mehr Filme, Video-Kommentare, Grafiken. Und: mehr Mitarbeiter. Das kostet Geld. „Eine Million Euro wollen wir bis 2027 investieren“, erklärt Stein im Konferenzraum den Mitarbeitern.
Die Kommanditisten, die die JF mit Einlagen unterstützen, wurden bereits angeschrieben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Binnen zwei Monaten schießen die Gesellschafter bereits 190.000 an zusätzlichen Kapitaleinlagen zu.
Wechselwirkungen zwischen Online und Print
Doch was ist eigentlich mit den Lesern der gedruckten Ausgabe? „Ohne sie wäre die Online-Offensive gar nicht möglich“, stellt Stein klar. „Sie profitieren von einer noch besseren Verzahnung zwischen Print und Online. Ein gut recherchierter Online-Artikel wird natürlich auch in der Druckausgabe hochwertig aufbereitet.“
Umgekehrt können Geschichten aus der Print-Zeitung künftig Online noch umfangreicher redaktionell begleitet werden. Etwa durch Grafiken und Karten, für die auf den Papierseiten nicht genug Platz ist. „Es lohnt sich also auch für Leser der gedruckten JF, auch mal auf unsere Internetseite zu schauen“, unterstreicht der JF-Chef.
Im Konferenzraum am Hohenzollerndamm haben die Mitarbeiter viele Fragen zur Online-Offensive, die nach einer knappen Stunde zur vollen Zufriedenheit beantwortet sind. „Also“, sagt Stein am Schluß, „packen wir es gemeinsam an.“ Das Zimmer leert sich fast so schnell wie die Kaffeetassen. Die Redakteure bleiben zurück. Auf sie wartet bereits die nächste Sitzung. Auch während einer Online-Offensive muß schließlich eine gedruckte Zeitung geplant und produziert werden.