Which way is East“, fragen der Perkussionist Billy Higgins und der Saxophonist Charles Lloyd auf ihrer neuesten, bei dem Münchner Label ECM veröffentlichten Einspielung (ECM 1878/79). Beide spielen auf dieser Doppel-CD die ganze Bandbreite ihres umfangreichen Könnens aus. Der 1938 in Memphis/Tennessee geborene Lloyd kann allerdings auf diesem Album, das zwischen Mainstream- und Avantgardeklängen oszilliert, einmal mehr nicht den Einfluß von John Coltrane überspielen. Das „metaphysische“ Spiel von Lloyd, das hier und da durchdringt, kommt nicht von ungefähr. Zeitweise verdingte er sich als eine Art Lehrer für „transzendentale Meditation“, er selbst sprach mit Blick auf seine Musik in den sechziger Jahren von „Musik-Religion“. Ob dieser Hintergrund ein Hinweis auf den Titel der neuesten Einspielung ist, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist Lloyd und dem eineinhalb Jahr älteren Higgins eine in vielen Passagen spannungsgeladene und interessante Einspielung gelungen. Je weniger „avantgardistisch“ diese beiden Altmeister agieren, desto hörenswerter ihre Musik. Leider versucht Lloyd immer wieder enervierende Anspielungen an den „späten“, sprich: „avantgardistischen“ Coltrane, die nicht unbedingt dazu angetan sind, seinen Linien immer nachzuspüren. Typischen „ECM-Sound“ bieten Arild Andersen (Baß), Vassilis Tsabropoulos (Piano) und John Marshall (Schlagzeug) auf ihren Album „The Triangle“ (ECM 1752). Andersen ist als einschlägige Größe bekannt: Technische Perfektion, kontrollierte Intonation in allen Tonlagen und eine schlüssige Linienführung zeichnen den 1945 in Oslo geborenen Musiker aus. Dennoch klingt „The Triangle“ nicht anders als eine Reihe von anderen ECM-Aufnahmen auch: Sphärisch-melancholisch, skandinavisch-schwermütig und ohne große „Ausschläge“ plätschert die Musik dahin. Daran kann auch John Marshall nichts ändern, von dem der Trompeter Ian Carr einmal sagte, er wisse „um den Gesamt-Sound einer Gruppe und hat vollkommenes Verständnis für die verschiedenen Prozesse des Aufbauens und Lösens von Spannung“. Diese Eigenschaft kann freilich nicht verhindern, daß die gediegene, kontemplative Langsamkeit hier und da in Langeweile umschlägt. Auch das beherzte Spiel von Tsabropoulos vermag keine entscheidenden Akzente zu setzen. Es scheint, als sei man bei ECM mangels neuer Inspirationen und Musiker, die andere Wege zu gehen bereit sind, in eine Sackgasse geraten. Kreative Köpfe wie Markus Stockhausen sind längst bei anderen Musikverlagen aktiv. Stockhausen ließ durchblicken, daß sein Verständnis von Musik nicht unbedingt mit dem von ECM-Produzent Eicher korrespondierte. So trennten sich die Wege beider wieder. Seinen Eigensinn und sein stilistisch eigenständiges Spiel über viele Jahre hinweg hat sich der 1943 im italienischen Triest geborene Trompeter Enrico Rava bewahrt, der für ECM immer wieder hörenswerte Einspielungen vorgelegt hat. Dies gilt auch für sein neuestes Werk „Easy Living“ (ECM 1760). Auf dieser Quintett-CD zieht Rava, Sohn einer Pianistin und seit seinem achtzehnten Lebensjahr Berufsmusiker, alle Register seines Könnens. Sein warmer, offener Klang reicht von avantgardistischen Tönen über lateinamerikanische Einflüsse bis hin zu heimatlichen Elementen. Gianluca Petrella (Posaune), Stefano Bollani (Piano), Rosario Bonaccorso (Baß) und Roberto Gatto (Schlagzeug) kommunizieren perfekt mit Ravas Farbenreichtum. Immer wirkt das virtuose und variantenreiche Spiel von Rava, mag er sich auch noch so „avantgardistisch“ geben, kultiviert und inspiriert. Diese CD dürfte in der engeren Auswahl für die Jazz-CD des Jahres stehen.