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Die neue Ernsthaftigkeit

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Natürlich war das 1989 eine Zäsur. Man konnte ab dann freier nach Osteuropa fahren, man konnte leichter auf Geschichtssuche gehen. Das hat natürlich dazu beigetragen, daß auch die heutige Generation sich wieder ähnlich wie die der 68er mit der Vergangenheit, mit ihren Familien beschäftigt. Und zweifelsohne unideologischer und mehr um Verständnis bemüht, als das wohl vielen Vertretern der vorherigen Generationen möglich war.“ Befindlichkeiten und l’art pour l’art war gestern, Politik und Geschichte dürfen heute zur Sprache kommen. Nicht nur, aber immer mehr, und Tanja Dückers ist eine der wichtigen Vertreterinnen dieser neuen Sichtweise in der jungen deutschen Literatur. In Berliner Kiezneurosen zu schwelgen, das ist durchaus möglich, aber wenn es um geschichtliche Themen wie den Untergang der Wilhelm Gustloff, die Monumentalbauten in Prora auf Rügen oder deutsche Spuren in Osteuropa geht, dann ist die 1968 in Berlin geborene Literaturwissenschaftlerin und Autorin bestimmt genauso interessiert wie ältere Schriftsteller mit einschlägig östlicher Biographie wie etwa Günter Grass – auch wenn man nicht all‘ ihren Ansichten folgen mag. Nach ihrem Romandebüt „Spielzone“ (1999) erschien vor zwei Jahren im Berliner Aufbau-Verlag ihr zweiter Roman „Himmelskörper“, eine Familiengeschichte über drei Generationen, die bis in die letzten Kriegstage hineinreicht. „Schnell habe ich den Stempel aufgedrückt bekommen, eine Berliner Fun-Autorin zu sein“, erzählt Dückers. Tatsächlich wurde sie noch vor drei, vier Jahren als Angehörige der weitgehend unpolitischen und oberflächlichen „Generation Golf“ (Florian Illies) verortet. „Aber ich habe schon in früheren literarischen Arbeiten stets verschiedene Generationen zu Wort kommen lassen und über Themen wie die Kriegszeit, Verdrängung und Gedächtnisverlust berichtet. Das Interesse an dieser Vergangenheit beginnt natürlich zuerst in der Familie, dort wo es um Einzelschicksale geht. Und da gibt es mittlerweile immer mehr Autoren, die sich dieser Thematik annehmen.“ Gerade erst hat sie unter dem Titel „Stadt.Land.Krieg“ eine Anthologie herausgebracht, in der 25 Autoren aus unterschiedlicher Perspektive von der einschlägigen deutschen Vergangenheit und ihrer Nachwirkung erzählen, mal betroffen, mal souverän, mal ohne Schonung der eigenen Familie. „Sicherlich ist auch eine neue Ernsthaftigkeit in der Literatur zu beobachten. Die Vergangenheitsrecherche, die wir heute betreiben, soll allerdings nicht mehr eine sogenannte Tätergeneration angreifen. Es ist interessant, aus einem heutigen Blickwinkel heraus familiäre Situationen zu betrachten, die auch durch Kriegsfolgen entstanden sind, über Menschen zu berichten, über die häufig auch geschwiegen worden ist. Wir können lediglich über die Folgen des Krieges schreiben. Denn es wäre sicherlich anmaßend, über vorherige Generationen urteilen zu wollen.“ Wer die historische Extremsituation nicht erlebt hat, dem fällt der erhobene Zeigefinger nicht schwer. Gleichwohl soll dieser Blick nach hinten nicht arrogant ausfallen, hofft Dückers. Denn die jungen Kollegen konzedieren freundlicherweise auch ab und zu Ungewißheit darüber, wie sie sich selbst verhalten hätten. „Künstler bewegen sich immer in einer gewissen Außenseiterposition. Uns betrifft beispielsweise Hartz IV nicht so sehr wie natürlich Arbeitnehmer. Insofern können wir auch in sozial schwierigen Zeiten, die stets auch wieder für Unruhe sorgen können, uns vielleicht objektiver in andere betroffene Menschen hineindenken.“ Betroffenheitsliteratur war von Tanja Dückers noch nie zu erwarten. Lakonisch im Ton, bisweilen ironisch im Duktus, niemals weinerlich, kündet sie von interessanten Schicksalen. Für drei Monate geht sie nun mit einem Stipendium der „Villa Decius“ in der Tasche nach Krakau, um in einer Parallelaktion nordostdeutsche und nordosteuropäische Geschichte zu erkunden. Vom riesigen „Kraft durch Freude“-Bau auf Prora, der zu Kriegsende allerdings nur in Teilen stand, handelt ein Roman, östliche Erfahrungen fließen in einen Erzählungsband ein. Welches Buch zuerst fertig wird, weiß sie noch nicht. Auf alle Fälle wird es eine aus Erfahrungen gespeiste Literatur. Tanja Dückers: Stadt.Land.Krieg, 244 Seiten, 8,50 Euro; Himmelskörper. 320 Seiten, 16,90 Euro; beide Aufbau Verlag, Berlin 2004. Am 2. September um 20 Uhr stellt Tanja Dückers die Anthologie in der Berliner Buchhandlung Leseland, Neue Promenade 6, vor. Foto: Tanja Dückers: Befindlichkeiten und „l’art pour l’art“ war gestern

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