Die Bundesregierung, der deutsche Bundestag und auch der Bundesrat sehen derzeit eine „aktuelle Bedrohung durch den Rechtsextremismus“, die „den Einsatz neuer Instrumente zur Gewinnung und zum Austausch von Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern erfordert.“ Daher wird eine Verbunddatei gegen Rechtsextreme eingerichtet, medial vereinfacht „Neonazi-Datei“ genannt. Zwar gibt es schon dutzende ähnlicher Dateien, diese neue Datei soll jedoch angeblich den Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten weiter verbessern.
Worin die akute Bedrohung durch den Rechtsextremismus zur Zeit besteht, wird im Gesetzesentwurf nicht genannt. Als Begründung wird von Politikern und Medien zwar oft die Mordserie der Zwickauer Zelle genannt. Als aktuelle, gegenwärtige Bedrohung kann diese jedoch nicht mehr angeführt werden, denn zwei der Täter sind tot und die Mittäterin ist in Haft.
Purer Aktionismus
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) möchte zukünftig Ermittlungspannen wie im Fall der rechtsextremistischen Mordserie der Zwickauer Zelle verhindern, fraglich ist jedoch, ob dies durch eine simple Speicherung von Personen gelingen kann. Denn alle drei vermutlichen Täter der Mordserie waren als Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) nicht nur der Polizei, sondern auch dem Verfassungsschutz bekannt und wurden sogar bundesweit polizeilich gesucht. Das Mörder-Trio war also schon in zahlreichen Dateien gespeichert. Das Speichern in einem weiteren Dokument nutzt aber auch zukünftig nichts, wenn Verfassungsschützer beim Morden zusehen, den Kaffee austrinken und dann ungerührt den Tatort verlassen.
Der Sinn der Datei ist es wohl eher, der Bevölkerung zu signalisieren, daß überhaupt etwas getan wird. Manch einer bezeichnet das „Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus“ deswegen als puren Aktionismus – also eine Handlung, bei der die Handlung Selbstzweck ist und es nicht im geringsten auf eine Wirkung ankommt. Die Wirkung dieses Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes wird nicht meßbar sein, weil es keine Wirkung entfalten wird. Dem Bürger wird lediglich suggeriert, daß zukünftig alle „Nazis“ irgendwo gespeichert werden und man daher keine Sorge mehr vor Menschen mit Baseballschlägern haben muß, die gar nicht Baseball spielen.
Bürokratie erzeugt Bürokratie
In der „Neonazi-Datei“ sollen Personen gespeichert werden, die einer „terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs mit rechtsextremistischem Hintergrund angehören oder diese unterstützen oder rechtsextremistische Bestrebungen verfolgen und in Verbindung damit zur Gewalt aufrufen, (…) oder bei denen Schußwaffen ohne die erforderlichen waffenrechtlichen Berechtigungen, Kriegswaffen oder Explosivstoffe aufgefunden wurden.“ Es wird also keine Datei von NPD-Mitgliedern oder -Spendern werden, wie von manchem „Antifaschisten“ erhofft. Ob eine solche Datei zudem gegen Grundrechte verstößt, wird nicht nur von der Linkspartei („Gesinnungsdatei“), sondern auch von Juristen kritisch hinterfragt.
Die Einrichtung der Datei wird zu einem einmaligen finanziellen Mehraufwand beim Bund in Höhe von rund 7,338 Millionen Euro und bei den Ländern in Höhe von zirka zwei Millionen Euro führen sowie zu jährlichen Folgekosten für Betrieb und Nutzung der Datei bei Bund und Ländern von zirka 4,1 Millionen Euro führen. Veranschlagt sind allein beim Bundeskriminalamt 19 neue Planstellen und 39 Stellen bei den Bundesländern. Der Zwickauer Neonazi-Zelle werden zehn Morde an Einwanderern und einer Polizistin zur Last gelegt. Es ist zu bedauern, daß die Mörder erst so spät entdeckt wurden. Wahrscheinlich hat der deutsche Verfassungsschutz daran eine Mitschuld. Menschliches Versagen kann durch eine neue, teure Datei nicht ausgeglichen werden. Auch nicht in Zukunft.