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Waffenlieferungen und die Bundeswehr: Rüstungsindustrie: Ausgeplünderte Reserven

Waffenlieferungen und die Bundeswehr: Rüstungsindustrie: Ausgeplünderte Reserven

Waffenlieferungen und die Bundeswehr: Rüstungsindustrie: Ausgeplünderte Reserven

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 und begutachtet einen Panzer der Rüstungsindustrie
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 und begutachtet einen Panzer der Rüstungsindustrie
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten
Waffenlieferungen und die Bundeswehr
 

Rüstungsindustrie: Ausgeplünderte Reserven

Die Bundeswehr steht blank dar, aber was ist mit der Rüstungsindustrie? Warum Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ins Hintertreffen geraten ist. Ein Kommentar von Josef Kraus.
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Man mag zur Lieferung von Waffen an die Ukraine stehen, wie man will. Klar dürfte sein, daß einem russischen Erfolg in der Ukraine Begehrlichkeiten Putins in Richtung Baltikum oder gar Polen folgen könnten. Dann müßte die Bundeswehr – Nato-Bündnisfall! – ohnehin „ran“. Das Hin und Her von Kanzler Olaf Scholz bei der Lieferung von Kampfpanzern kann man ebenfalls unterschiedlich bewerten – als umsichtig, als Beschädigung des Ansehens Deutschlands oder als Versuch zu vertuschen, wie schlecht die Bundeswehr dasteht.

Der Überfall Rußlands vom 24. Februar 2022 auf die Ukraine hat gezeigt, daß Deutschland nach Jahrzehnten ausgekosteter „Friedensdividende“ einem vergleichbaren Überfall hilflos ausgeliefert wäre. Zwar hätte die Nato Deutschland beistehen müssen.

Die Bundeswehr selbst aber hatte (und hat) bei den Hauptwaffensystemen einen Klarstand von teilweise nur 40 Prozent: Viele Flugzeuge können nicht fliegen, Fahrzeuge nicht fahren, Schiffe nicht in See stechen. Munition würde bei einer kriegerischen Auseinandersetzung nur für Tage reichen. Schlimmer noch: Der letzte Bericht über die Einsatzfähigkeit der Hauptwaffensysteme erschien Ende 2021. Weitere Berichte dieser Art hat Christine Lambrecht (SPD) unterbunden.

Immerhin gibt es nun ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und die Absicht, man wolle die Nato-Verpflichtung erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Alle anderen Aufgaben hätten sich dem unterzuordnen, erklärte Scholz am 16. September auf einer Führungskräftetagung: „Daran können Sie mich messen.“

Wie rüstet sich Deutschland gegen einen Cyber-Krieg?

Was aber ist seit dem 27. Februar 2022 geschehen? Der Etat der Bundeswehr wurde von 50,4 (2022) auf 50,1 Milliarden Euro für 2023 gekürzt. Das entspricht 1,5 Prozent des BIP. 8,4 Milliarden Euro hat der Haushaltsausschuß am 11. November 2022 aus den 100 Milliarden Euro für 2023 freigegeben. Darunter 1,8 Milliarden für Munitionsbevorratung für die nächsten drei (!) Jahre, wo der Nachholbedarf hier doch auf 20 Milliarden Euro geschätzt wird.

Damit hat sich der BIP-Anteil auf rund 1,7 Prozent erhöht. Zum Nato-Zwei-Prozent-Ziel fehlen jährlich gut 20 Milliarden. Zudem könnten die 100 Milliarden Euro inflationsbedingt bald nur noch 85 Milliarden Euro wert sein. Daran wird der „Neue“ im Bendler-Block, Boris Pistorius, gedacht haben, als er meinte, 100 Milliarden Euro würden ohnehin nicht ausreichen.

Zudem sind für den Kauf von 35 Stück des US-Kampfjets F-35A 8,3 Milliarden Euro genehmigt. Er soll 2028 einsatzfähig sein. 60 Stück des Transporthubschraubers CH-47 Chinook sind bei Boeing bestellt und werden ab 2026 ausgeliefert. Von einem Preis von sechs Milliarden Euro war die Rede. Nun werden es womöglich zwölf Milliarden Euro.

Noch keineswegs mitkalkuliert sind die Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll um 20.000 Mann wachsen) anfallen. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie sich Deutschland gegen einen Cyber-Krieg rüstet. Und noch nicht hochgerechnet sind die Kosten einer Vision von Scholz, der im August 2022 in Prag ein „European Sky Shield“ ankündigte.

Wird Deutschland noch mehr liefern?

Daß die Bundeswehr blank dasteht, bewies sich bei ihren Auslandseinsätzen. Dafür mußte Material aus allen Standorten zusammengesammelt werden, um deutsche Kontingente auszustatten. Wie sehr die Bundeswehr wackelt, zeigt jetzt das Beispiel VJTF („Very High Readiness Joint Task Force“). VJTF ist die schnelle Eingreiftruppe der Nato, für die Deutschland 2023 Leitnation ist. Für diese Aufgabe mußte die Bundeswehr nach dem Ausfall von 18 Puma-Schützenpanzern den in den 1970er Jahren produzierten „Marder“ mobilisieren.

Nun hat Deutschland der Ukraine bislang geliefert beziehungsweise zugesagt: ein Paket Patriot-Flugabwehr, 30 Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer, 14 Panzerhaubitzen 2000 und 40 Marder-Schützenpanzer. Klar war, daß diese Schützenpanzer ihre Wirkung nur im Verbund mit Kampfpanzern entfalten. Deutschland hat der Ukraine am 25. Januar nun in einer ersten Tranche 14 „Leopard 2A6“-Kampfpanzer versprochen und verbündeten Staaten die Genehmigung erteilt, ebenfalls „Leos“ zu liefern.

Beisteuern wollen die Niederlande 18 Stück, Polen 14, Norwegen acht, Kanada vier, Portugal vier. Spanien und Finnland haben sich noch nicht erklärt. Die USA liefern nun doch 31 „M1 Abrams“-Kampfpanzer, die Briten haben 14 „Challenger 2“-Kampfpanzer angekündigt. Frankreich mit seinem Kampfpanzer Leclerc zögert.

Wird Deutschland in noch größerem Umfang helfen können? Von den 312 vorhandenen „Leos“ (darunter 53 der neuesten Version 2A7V) waren 99 im Frühsommer 2022 in der Instandsetzung. Seitens der Industrie ist die Rede von 22 „Leo2“- und 88 „Leo1“-Panzern, die binnen eines Jahres einsatzbereit wären. Hinzu könnten 29 Stück kommen, die im April 2023 aus Beständen von Rheinmetall nach Tschechien und in die Slowakei geliefert werden sollten. Das wären alles in allem weitere 139 mittelfristig verfügbare „Leos“ aus deutschem Bestand.

Rüstungsindustrie gerät ins Hintertreffen

Deutschland war eine führende Panzerschmiede – auch ab den 1960er Jahren wieder. Verkauft wurde der „Leo“ an 19 Länder. Wie sehr Deutschland als vormalige Panzerschmiede allerdings ins Hintertreffen geraten ist, zeigt, daß Polen mit Hyundai (Südkorea) eintausend Panzer baut. Die ersten davon sind in Gdingen angekommen. Überall gerät die vormals potente deutsche Rüstungsindustrie also ins Hintertreffen. Zum Beispiel ist sie bei der F-35 und dem CH-47 außen vor – auch als Serviceleister.

Die Bundeswehr zur stärksten Armee der EU machen: Das ist eine aktuelle Pistorius-Ansage. Sehen wir mal von Frankreich als Atommacht ab: Es wird Jahre dauern, bis die Bundeswehr eine echte Verteidigungs- und Bündnisstreitkraft sein wird. Und es wird dauern, bis die Bundeswehr das Erbe von 16 Jahren Merkel-Regierung samt fünfeinhalb Von-der-Leyen-Jahren sowie das eine Jahr Lambrecht-Lethargie überwunden haben wird.

Daß es dabei auch um eine drastische Beschleunigung des Beschaffungswesens gehen muß (verwaltet derzeit von 11.000 Leuten an 116 Standorten), ist überfällig. Sicherheitspolitik muß außerdem in den Fokus der Forschung. Denn es ist ein Unding, daß deutsche Hochschulen mittels „Zivilklausel“ alle Forschung untersagen, die sicherheitspolitisch und sicherheitstechnisch relevant sein könnte. Mit „Friedensdividende“ ist nach dem 24. Februar 2022 jedenfalls kein Blumentopf mehr zu verteidigen.

JF 6/23

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten
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