Es ist Zeit, den weiten Bogenblick zu wagen. Denn der Fall Maaßen, bei dem sich die CDU-Spitze dem linken Diktat folgend in eine finale Zwickmühle der Unglaubwürdigkeit manövrierte, hat keineswegs etwas Solitäres. Der mal perfide und mal hektische Kampf derer, die in der Union nicht erst seit Merkel das Sagen haben, gegen alles, was einst stabile christliche Mitte war und mit einer mehr oder weniger geschickten und subtilen Verbalindoktrination zum rechten Rand diskreditiert wurde, ist weder neu noch nur ausschließlich der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel anzukreiden.
Und die bayerische Schwesterpartei, die den Ruf einer konservativen CSU genießt, steht in ihrem Verrat christlicher Freiheitswerte der klein gewordenen „großen“ Schwester in Nichts nach. Hier wie dort hätten ein Konrad Adenauer beziehungsweise ein Franz Josef Strauß keine Chance mehr – und auch keine politische Heimat. Sie würden – dem Wording von links-außen brav gehorchend – von den Polit-Opportunisten als rechts-außen verunmöglicht.
Vergessen sind Kristina Schröder oder Steffen Heitmann
Inzwischen bekommt eine fähige Kristina Schröder bei der CDU dieselben Ausgrenzungsprobleme wie noch vor wenigen Jahren ein Norbert Geis bei der CSU. Dieser hatte sich etwa noch für die Ehe aus einem Mann und einer Frau, für die Familie und vor allem für das unantastbare Lebensrecht jedes nicht-geborener Menschen eingesetzt. Die Süddeutsche Zeitung bot dem links-grünen Volker Beck 2012 zum Abschied von Geis aus dem Bundestag sogar noch die Bühne für viele Entgleisungen, so sehr fühlte man sich im Recht. Zehn Jahre später wirkt dieser Politiker sogar innerhalb weiter Teile der CSU wie ein peinliches Relikt am rechten Rand.
Konservative wurden und werden seit Jahren in Merkels Partei, die auf den Schultern eines Helmut Kohl steht, niedergemacht und ausgegrenzt. Selbst ein Wolfgang Bosbach konnte und durfte nichts wirklich Wichtiges werden. Und wer erinnert sich noch an Steffen Heitmann, den man sofort aussortierte, nachdem er – wie das heute so in der toleranzdiktierten Welt heißt – umstrittene Äußerungen zur Aufgabe der Frau und zur Nation gemacht hatte.
Kohls Herzenskandidat 1993 für das Amt des Bundespräsidenten war nichts mehr wert, nachdem die Medien ihn unmöglich gemacht hatten. Aber auch die CDU-Abgeordnete Sylvia Pantel aus Düsseldorf störte im Bundestag, weil sie es immer wieder wagte, einer aufgezwungenen Parteilinie unter Berufung auf die Kernkoordinaten der CDU nicht blindlinks zu folgen. Von Martin Hohmann, dessen Äußerungen damals gezielt als antisemitisch mißverstanden wurden, und Erika Steinbach ganz zu schweigen.
Verloren ist das konservative „C“
Zur Wahrheit über die CDU gehört auch dies: Helmut Kohl verkündete einst vollmundig die geistig-moralische Wende, setzte aber nichts um. Bereits unter ihm entwickelte sich die Familienpolitik zu einem einzigen Etikettenschwindel. Kohl war es, der eine Rita Süßmuth ins Kabinett holte und sein „Mädchen“, jene Angela Merkel die ihn später in der FAZ eiskalt zur Unperson stempeln sollte.
Kohls Claudia Nolte hingegen blieb eine längst vergessene Episode. Liberal-konservative Überzeugungen hatten schon unter dem Pfälzer, wenn sie sich etwa auf eine Förderung der Familie mit Blick auf die Kinder oder gar die Mütter bezogen, keine realistische Chance in der Union. Der analytische Blick auf unter Merkel Ausgegrenzte offenbart, daß Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik ebenso ein K.O.-Kriterium waren wie kritisches Nachfragen hinsichtlich der Anerkennung der „Homo-Ehe“ oder gar Hinweise auf das Lebensrecht am Anfang und am Ende des Lebens.
Bereits unter Kohl wurde der Lebensschutz zu einem Tabu-Thema. Wer es brach, versiebte sich in der Union jede Karriere- und Einfluß-Chance. So verschwand nach und nach eine rote Linie nach der anderen – man denke nur an den gekillten Widerstand gegen die Stammzellenforschung, um sich inhaltlich wie innerlich trotz äußerer schwarzer Farbe grün-rot zu durchtränken. Das „C“, und vielleicht nicht nur das C, verkümmerte zur Beiwerks-Floskel ohne Bedeutung. Es ist ein Kreuz mit diesem C, weil es sich letztlich dem gestalterischen Zugriff entzieht. Weil es mit Konsequenzen verbunden ist, die fordernd sind – und herausfordernd.
Die CDU war aus „Not und Tod“ eine christliche Partei
Wo sind die echten Köpfe, die wirklichen Hoffnungsträger? Wer oder was ist heute die Christlich Demokratische Union? Es gehört wohl wenig prophetische Begabung dazu, sich vorzustellen, daß diese Partei den Weg gehen wird, den in den 90er Jahren die italienische Democrazia Cristiana ging: ins Nichts. Der Diktatur des Relativismus, vor der ein Joseph Kardinal Ratzinger bereits vor vielen Jahren warnte, ist sie längst verfallen.
Das Verständnis der Union erhellt ein Blick in die Geschichte, um die fatalen Profilverluste einordnen zu können. Es ist in der Politik vergessen: Erst die Erfahrung des Nationalsozialismus mit seiner antichristlichen Ideologie und seiner Menschenverachtung brachte nach dem Zweiten Weltkrieg die Erkenntnis, daß die Christen der verschiedenen Konfessionen im täglichen und vor allem politischen Leben mehr eint als trennt.
Der einstige Bundestagspräsident Hermann Ehlers beschrieb das auf dem Hamburger Parteitag der CDU 1953 in der Rückschau: „Wir sind beim Neubeginn unseres politischen Weges 1945 nicht aus theoretischen Erwägungen, sondern aus praktischen, in Not und Tod bewährten Erfahrungen zu der Überzeugung gekommen, daß es für uns keine andere tragfähige Grundlage unseres politischen Handelns geben kann als die Verantwortung vor dem Worte Gottes.“ Ohne das C und seine Verpflichtung wäre die Gründung der Union nicht denkbar gewesen.
„Christlich, deutsch, sozial“
Konrad Adenauer beschrieb die damalige Überzeugung, „daß nur eine Partei, wurzelnd in dem weiten christlichen Boden, auf festen ethischen Grundsätzen und gestützt auf alle Schichten des deutschen Volkes, in der Lage sein würde, Deutschland aus seiner Not wieder aufzurichten“. Es mag für manche Ohren heute pathetisch klingen, ist aber genau so gemeint gewesen, was im September 1945 in den Kölner Leitsätzen gleichsam als Grundsatzprogramm so formuliert wurde: „Gott ist der Herr der Geschichte und der Völker, Christen die Kraft und das Gesetz unseres Lebens. (…) Deshalb bekennen wir uns zum demokratischen Staat, der christlich, deutsch und sozial ist.“
So etwas zu sagen würde sich heute niemand in der Parteispitze mehr trauen. Es herrscht eine gewisse Angst vor Erkenntnis – aus Feigheit vor dem Freund –, weil man sich lange zur Ergebenheit gegenüber dem politischen Gegner erziehen ließ. Kein Wunder, daß das „C“, und nicht nur dieser Buchstabe im Parteinamen, zu einem grundsätzlichen Placebo verkommen ist. Der Fall Maaßen und die Diskreditierungsversuche im Blick auf die WerteUnion sind nur die logische Konsequenz einer jahrzehntelangen Umformung. So gesehen ist Friedrich Merz die maßstabgetreue Folge von Kohl und Merkel. Denn auch für ihn gilt: Sie wissen nicht, wer sie sind.