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Konservatismus: Die tiefe Sehnsucht nach einer CDU, die es nie gab

Konservatismus: Die tiefe Sehnsucht nach einer CDU, die es nie gab

Konservatismus: Die tiefe Sehnsucht nach einer CDU, die es nie gab

CDU-Chef Armin Laschet: Die Union dreht sich wie ein unstetes Blatt im Wind
CDU-Chef Armin Laschet: Die Union dreht sich wie ein unstetes Blatt im Wind
CDU-Chef Armin Laschet: Die Union dreht sich wie ein unstetes Blatt im Wind Fotos: picture alliance / dpa | Ralf Hirschberger / Philipp von Ditfurth / JF-Montage
Konservatismus
 

Die tiefe Sehnsucht nach einer CDU, die es nie gab

Unter CDU-Anhängern breitet sich die wohltuende Erzählung einer besseren, konservativeren CDU vor der Machtübernahme Angela Merkels aus. Doch rechts antäuschen und anschließend durchwurschteln ist seit Jahrzehnten die DNS der Union. Eine Betrachtung von Marco F. Gallina.
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Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Es fallen die Blätter im politischen Herbst der Kanzlerin; es fallen die Umfragewerte; und es fallen einstige Gefährten. Unter CDU-Anhängern breitet sich ein Mythos aus. Er ist nicht neu. CDU-affine, jedoch merkelkritische Geister pflegen ihn seit mehr als einem Jahrzehnt.

Aber er gewinnt an Raum, vor allem an der Basis. Es ist die Erzählung einer reinen, besseren CDU vor der Machtübernahme Angela Merkels. Sie handelt von einer aufrechten Union, die zu ihren Werten stand und diese nicht für schnöde Machtpolitik aufgab. Dann kam die Pastorentochter aus dem Osten, die als kühle Rechenschieberin des politischen Spiels bereit war, die Parteiseele an den roten Teufel zu verkaufen.

Es ist eine wohltuende Erzählung, weil sie dem Christdemokraten ein Narrativ bietet, an dem er sich festhalten kann. Armin Laschet ist der Anlaß, Angela Merkel jedoch die Ursache des drohenden Niedergangs der Christdemokratie. Die Legende enthält einen wahren Kern. Sie paßt in das postfaktische Zeitalter, in dem Narrative die Funktion von Fakten übernommen haben.

Die Nostalgie der Union – und Merkels Rolle dabei

Es ist nicht das einzige Narrativ in der Geschichte der CDU. Lange vergessen: Der Aufstieg Merkels an die Spitze der Partei – und des Landes – begann ebenfalls mit einer Legende. Sie handelte von einer unschuldigen Jungfrau im Stil der Johanna von Orleans. Ihr Angriff auf Ziehvater Helmut Kohl erschien nicht als opportunistischer Dolchstoß, um die Macht innerhalb der Union an sich zu reißen, sondern als Befreiungsschlag.

Merkel hatte keine Vorgeschichte, weder im Postengeschacher der traditionellen Männervereine und Seilschaften noch im Morast des Spendenskandals, der die CDU zu zerreißen drohte. Der Untergang der zweiten großen christdemokratischen Partei Europas, der italienischen Democrazia Cristiana, lag zu diesem Zeitpunkt nur wenige Jahre zurück – zerbrochen an einem Korruptionsskandal. Daß die deutsche Christdemokratie nicht ein ähnliches Schicksal erfuhr, wird als wesentliches Verdienst der späteren und nun scheidenden Kanzlerin gehandelt. In Wahrheit war der Rauswurf der alten Eliten aber nur der Wechsel des einen Klüngels zugunsten des anderen.

Die Nostalgie der Union gilt demnach einer Zeit, die es nie gegeben hat. Die CDU folgte bereits vor der Übernahme Merkels den bekannten Parteienmechanismen. Daß die Schwarzgeldaffäre der Partei heute nahezu vergessen ist, verwundert nicht; das kollektive Gedächtnis des Wahlvolkes hat bereits die Cum-Ex-Affäre des derzeitigen Umfragelieblings Olaf Scholz vergessen.

Stromlinienförmigkeit kennt kein Wertebewußtsein

Korruption, Amigo-Geschäfte, freundschaftliche Hilfen und Nepotismus sind Angelegenheiten, die man mit Vorliebe den Mittelmeerstaaten oder Bananenrepubliken zuschreibt, aber nicht den „anständigen“ Parteien der Bundesrepublik. Dabei sind diese Affären nur Ausdruck einer verinnerlichten Form des Politikverständnisses der großen Parteien.

Sie gehen auf einen feudalen, antimeritokratischen Gedanken zurück, der Loyalität belohnt und Unabhängigkeit oder Leistung als systemische Bedrohung ansieht. Es ist eine Mentalität, die auf Stromlinienförmigkeit abzielt. Es handelt sich um eine parteiliche Essenz: Sie manifestiert sich im Abgeordneten, der nicht wegen seiner Kompetenzen aufsteigt, sondern, weil er wie die anderen Parteikollegen abstimmt.

Eine solche Mentalität kennt kein Wertebewußtsein, sondern vorrangig die Konstanten des Machbaren und Möglichen. Ihrer „idealen“ Linie konnte die Union – ähnlich wie die SPD – nur in der Opposition treu bleiben. Sie leistete sich seit jeher „Querdenker“ wie den Andreas Hermes, Reichsminister in der Weimarer Republik, die aber niemals zu Schicksalsfiguren der Partei avancierten – oder durften.

Das Abgleiten der Partei in Beliebigkeit erfolgt unausweichlich

Das Selbstverständnis der CDU spiegelt sich in der Konservatismus-Definition des Mainzer Historikers Andreas Rödder wider. Demnach verteidige der Konservatismus heute, was er gestern „bekämpft“ habe. Er zieht dafür das Diktum von Robert Cecil, 3. Marquess of Salisbury, heran: „Es geht darum, den Wandel zu verzögern, bis er harmlos geworden ist.“ Rödder konstatiert: „Ewige Werte gibt es nicht.“ Der Historiker ist nicht zufälligerweise CDU-Parteimitglied. Seine Konservatismus-Definition ist eine Blaupause der CDU-Ideologie.

Die CDU versteht sich als Partei der behutsamen Veränderung. Rödder erkennt hier eine Traditionslinie zu Aristoteles, im Gegensatz zum Utopismus der linken Platon-Anhänger. Bloß: Es ist ein Aristoteles ohne Metaphysik. Das Abgleiten der Partei in Relativismus und Beliebigkeit erfolgt unausweichlich, wenn das Naturrecht nur eine Option darstellt.

Gott, Familie und Heimat sind Konstanten konservativen Denkens seit der Sinai-Besteigung des Moses. Der Zentrismus der CDU hat dagegen dazu geführt, daß eine diffuse Bezugnahme auf das „christliche Menschenbild“ heute ausreichen soll, um den Hintergrund des Parteinamens zu erhellen. Das Gros der Wähler hat den Markenschwindel mit dem Kreuz längst bemerkt.

Konkret heißt das: Rechts antäuschen und anschließend durchwurschteln ist die DNS der Union seit Jahrzehnten. Kohl kündigte eine geistig-moralische Wende an, die in 16 Jahren nicht zustande kam. Die Schwesterpartei CSU schloß eine Finanzierung der DDR aus und war federführend dabei, als die Bundesregierung einen Kredit an das Regime gewährte.

Das eine fordern, das andere tun

Die in den 90er Jahren geforderte Reform im Arbeits- und Sozialbereich setzte nicht die Union um, sondern die Sozialdemokratie unter Gerhard Schröder. Kohl warnte davor, daß der Sozialismus bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginne – und hatte selbst eine der höchsten Staatsquoten der bundesrepublikanischen Geschichte zu verantworten.

Die „Pizza-Connection“ aus schwarzen und grünen Jungpolitikern bildete sich bereits vor Merkel, die diese anschließend zu fördern und für sich zu vereinnahmen verstand. Und zuletzt: Nicht der Eintritt für den Lebensschutz, sondern das Gegenteil machte die Gründung der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) nötig. Die Initiative bildet eines der wenigen genuin konservativen Refugien der Partei.

Es liegt in der Logik der christdemokratischen Politik, daß sie 1995 das Konzept „Hilfe statt Strafe“ in der Gesetzgebung bei Abtreibungen verankerte, trotz lauter Kritik aus dem Lager der Lebensschützer. Die Regelung hat langfristig das Unrechtbewußtsein zerstört, das dem sogenannten Schwangerschaftsabbruch innewohnt.

Freilich diktiert das politische Tagesgeschäft oftmals, daß – frei nach Adenauer – das „Geschwätz von gestern“ nicht daran hindern sollte, jeden Tag etwas klüger zu werden. Daß ein Politiker auf dem Marktplatz anders reden muß als im Rathaus, sah Machiavelli als Theoretiker der Macht nicht als Ausweis der Wendehalsigkeit, sondern der Klugheit an.

Die Bezüge zu einer Neuorientierung liegen in der Zukunft

Das entbindet die Union jedoch nicht davon, einen programmatischen Leitfaden zu entwerfen, der eine Ausrichtung hat, die man tatsächlich konservativ, oder wenigstens christdemokratisch nennen kann – und diesen auch umzusetzen, statt ihn nur zu beschwören.

Kein Zufall, daß es die CDL war, die das fehlende Bekenntnis zur klassischen Familie sowie die mangelnde konservative Handschrift bei Themen wie Suizidhilfe oder Abtreibung im aktuellen Wahlprogramm beklagte. Die Bezüge zu einer Neuorientierung liegen jedoch nicht in der Ära vor Merkel – sondern in der Zukunft.

Ob die Union als ausgezehrter Kanzlerwahlverein noch die Kraft hat, diesen Schritt zu wagen, bleibt zweifelhaft. Nicht nur in den vergangenen 16 Jahren drehte sich die Union wie ein unstetes Blatt im Herbstwind.

CDU-Chef Armin Laschet: Die Union dreht sich wie ein unstetes Blatt im Wind Fotos: picture alliance / dpa | Ralf Hirschberger / Philipp von Ditfurth / JF-Montage
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