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Deutschlands desolate Führung: Energiekrise: Zitternd in der Sackgasse

Deutschlands desolate Führung: Energiekrise: Zitternd in der Sackgasse

Deutschlands desolate Führung: Energiekrise: Zitternd in der Sackgasse

Außenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz
Außenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz
Außenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Deutschlands desolate Führung
 

Energiekrise: Zitternd in der Sackgasse

Parallel zum Ukraine-Krieg läuft ein faktischer Wirtschaftskrieg gegen Deutschland und Europa. Die Bundesrepublik, deren Staatsräson auf Selbstverleugnung und -destruktion angelegt ist, wird dabei zur willenlosen Funktion fremder Kalkulationen. Ein Kommentar von Thorsten Hinz.
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Wohl dem, der in seiner gasbeheizten Wohnung den alten Kachelofen stehen ließ. Was seinerzeit Nostalgie war, bedeutet nun einen brennwerten Vorteil. Nur um Feuerholz muß er sich noch kümmern. Bald werden Stadtbewohner mit Tragekörben und Rucksäcken in die umliegenden Wälder ausschwärmen und der Welt vorführen, wie eine mitteleuropäische Hochzivilisation im Digitalzeitalter sich zu einem Volk der Jäger und Sammler zurückbildet.

Panikmache? Übertreibung? Nur ein bißchen! Immerhin erwartet selbst der oberste Sachwalter der Republik, daß die explodierenden Energiepreise im Herbst und Winter auch die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland ansteigen läßt. Zitat Steinmeier: „Arme Menschen, gerade auch Familien, drohen ihre Wohnung zu verlieren.“ Und arm kann morgen sein, wer heute sich noch im Wohlstand wähnt. Im 73. Jahr ihres Bestehens und 32 Jahre nach der Wiedervereinigung steht das Geschäfts- und Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik vor dem Ende.

Politik und Medien behandeln die Energiekrise als ein Fatum, das sich so wenig abwenden läßt wie ein durch seismische Schwingungen angekündigtes Erdbeben. Doch es handelt sich um kein Naturereignis, sondern um das Ergebnis ideologischer Verblendung und politischer Schwäche.

Verblendet war die abrupte Energiewende, die vor 20 Jahren vom rot-grünen Schröder-Kabinett eingeleitet wurde und mit dem 2011 beschlossenen Atomausstieg unter Merkel eskalierte. Und zwar gegen alle naturwissenschaftliche Evidenz und ökonomische Notwendigkeiten, unter Negierung globaler Proportionen und Zusammenhänge, unter Mißachtung des Natur- und Landschaftsschutzes. Denn das sollte Deutschlands neue Mission sein: Rettung des Klimas und des Planeten.

Deutschland ist in ein neues „Wintermärchen“ verfallen

Ein altes deutsches Lied wird neu intoniert. Nach dem Ersten Weltkrieg donnerte Stefan George ganz ernsthaft, „daß einst das Herz des Kontinents / Die Welt erretten soll“. 80 Jahre zuvor hatte Heinrich Heine sich über die deutsche Neigung, Idealismus und Romantik mit Politik zu verwechseln, noch lustig gemacht: „Franzosen und Russen gehört das Land, Das Meer gehört den Briten, Wir aber besitzen im Luftreich‘ des Traums Die Herrschaft unbestritten.“ Nach dem Absturz in die totale Irrationalität, die das Land 1945 bis an den Rand zur Selbstvernichtung führte, müßte die romantische Neigung, sich über Realitäten hinwegzusetzen, sich ein für alle Mal erledigt haben. Doch Deutschland ist bereits in ein neues „Wintermärchen“ verfallen, genauer: in einen giftgrünen Albtraum, der alle Bereiche der Gesellschaft erfaßt hat.

In eine Art Schlafwandel verfallen, wird die Bundesrepublik zur willenlosen Funktion fremder Kalkulationen. Deutschland, tönen seine Nachbarn und repetieren seine Funktionseliten, habe sich mit den Gasimporten aus Rußland – die übrigens die Energiewende absichern sollten – von diesem abhängig und erpreßbar gemacht. Beispiele für Nötigungen aus Moskau bleibt man freilich schuldig. Die sehr reale Erpressung jedoch, die sich vor versammelter Presse und laufender Kamera am 7. Februar 2022 im Weißen Haus abspielte, wird krampfhaft ignoriert.

Nach möglichen Rußland-Sanktionen befragt, hatte Kanzler Olaf Scholz aus der Erwägung, daß russische Gaslieferungen für die Energiesicherheit, die wirtschaftliche Prosperität und den relativen Wohlstand Deutschlands unabdingbar sind, die explizite Erwähnung von Nord Stream 2 vermieden. Daraufhin degradierte Präsident Joe Biden ihn zum Befehlsempfänger. Im O-Ton – nachzulesen auf der Website des Weißen Hauses – klingt „Sleepy Joe“ konfus und gleichzeitig noch brutaler als in den geglätteten Übersetzungen der Presse: „Wenn Deutschland – wenn Rußland einmarschiert – das heißt, Panzer oder Truppen überqueren wieder die – die Grenze der Ukraine – dann wird es – wir – es wird kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

Darauf eine Reporterfrage: „Aber wie werden Sie – wie werden Sie das genau machen, da das Projekt und die Kontrolle über das Projekt in der Hand Deutschlands liegt?“ Biden: „Wir werden – ich verspreche es Ihnen, wir werden es schaffen.“ Weiter führte der Präsident aus, der Stop des Gas-Exports würde „für Rußland sehr schmerzhaft sein“. Das sei aber „nicht nur eine Einbahnstraße. (This is not just a one-way street.) Deshalb prüfen wir, was wir tun können, um den Verlust des Gases in Europa auszugleichen, falls er eintritt.“ Mit der Zerstörung der Ostsee-Pipelines Nordstream 1 und 2 ist der Gasverlust irreversibel geworden.

Biden demonstriert, wer die wirkliche Entscheidungsgewalt hat

Der US-Präsident demonstrierte, wer über die wirkliche Entscheidungsgewalt verfügt. Seine Erklärung war ein performativer Akt, der Deutschlands Beziehungen zu einem Drittstaat und wichtigen Handelspartner kappte und zerstörerisch in seine wirtschaftlichen und sozialen Belange eingriff. Was für die Deutschen die Aussicht auf Blackouts, Kontingentierung und faktische Kriegswirtschaft bedeutet, schlägt für die USA zum Vorteil aus, denn die von Biden angekündigte Alternative besteht aus amerikanischen Gasimporten, die wesentlich teurer sind als die russischen und die zusätzliche Milliardeninvestitionen voraussetzen.

Bidens Auftritt war die faktische Zurücknahme des nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedeten Marschall-Plans, der darin bestand, die westeuropäischen Länder einschließlich der Bundesrepublik mit Krediten und Sachleistungen als Hilfe zur Selbsthilfe auszustatten. Ein Hauptgedanke war, die Verelendung (West-)Europas und seine Sturmreife für den Sowjetkommunismus aufzuhalten. Außerdem entstand ein großer Absatzmarkt für amerikanische Waren. Das war ein geostrategischer, politischer und wirtschaftlicher Schachzug von Weitblick und allgemeinem Nutzen, der in der Bundesrepublik freilich zum Mythos vom gütigen Uncle Sam überhöht wurde. Der zeigt nun seine egoistische Seite und nimmt keine Rücksicht darauf, daß sich heute die bundesdeutschen Interessen in Bezug auf Rußland von den amerikanischen in wichtigen Punkten unterscheiden.

Scholz sah sich in eine ähnliche Lage versetzt wie der vorletzte, bis März 1990 amtierende DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der in seinen Memoiren klagte, daß der sowjetische Parteichef Gorbatschow es für unnötig gehalten hatte, ihn im Vorfeld der Wiedervereinigung zu informieren, geschweige denn zu konsultieren. „Als existierten wir nur als eine zu Stummheit und Fügsamkeit verurteilte Plangröße in den Spielen der Weltmacht Sowjetunion. Seltsam.“ Seltsam war daran gar nichts. Der Hegemon hat’s gegeben, der Hegemon hat’s genommen.

Es läuft ein Wirtschaftskrieg gegen Deutschland

Parallel zum Ukraine-Krieg läuft ein faktischer Wirtschaftskrieg gegen Deutschland und Europa. Es gehört zu den Grundprinzipien amerikanischer Außenpolitik, eine von den USA unkontrollierte Zusammenarbeit Europas und vor allem Deutschlands mit Rußland zu verhindern. Die USA, um ihre Wirtschaft und insbesondere das Bankensystem zu erhalten, ist auf den Ressourcen von außen angewiesen. Am leichtesten und ohne erhebliche militärische und politische Kosten lassen sich die europäischen Länder abschöpfen, die durch EU- und NATO-Verpflichtungen gebunden sind. Der Ukraine-Krieg und die in seinem Kontext beschlossenen Sanktionspakete haben den für Washington günstigen Effekt, daß sie deren Handelsbeziehungen mit Rußland unterbrechen und Europa und Deutschland schwächen, was einen massiven Kapitalabfluß sowie eine Abwanderung hochqualifizierten Personals in Richtung USA wahrscheinlich macht.

Als Aktivposten der US-Politik erweisen sich die Grünen und ihre Ideologie. Die deutsche Umweltbewegung ist hochgradig dogmatisch; der Romantizismus hat sich bis zum Fanatismus gesteigert, der für wirtschaftliche Argumente unzugänglich ist. Ihre ideologische Begrenztheit, der Druck der Partei und schiere Inkompetenz hindert Politiker wie Baerbock und Habeck daran, ihr destruktives Tun als solches zu reflektieren und zu korrigieren. Zur selben Zeit, als Kanzler Scholz sich in Washington sträubte, das N-Wort auszusprechen, besuchte Außenministerin Baerbock Kiew und tönte dort, die möglichen Rußland-Sanktionen seien „präzedenzlos“. Mit Verweis auf die „engen wirtschaftlichen Verflechtungen insbesondere auch meines Landes“ mit Rußland fügte sie hinzu: „Ja, wir sind bereit, dafür auch einen hohen wirtschaftlichen Preis zu bezahlen.“

Die deutschen Medien sind Teil des autodestruktiven Systems. Während sie den verbalen Fehltritten des grünen Politik-Personals eine höhere Vernunft zu unterlegen versuchen, sind sie schonungslos mit der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, die mit allerlei Winkelzügen versucht hatte, Nord Stream 2 zu retten. Schwesigs Vorgehen erscheint im Rückblick naiv; sie hatte schlichtweg keine Vorstellung, mit welchen Kräften sie sich anlegte. Aber wenigstens hatte sie versucht, im Interesse ihres Bundeslands und der Energiesicherheit Deutschlands zu handeln.

Selbstdestruktion als bundesdeutsche Staatsräson

Das Pochen auf eigene Interessen aber wird als Verstoß gegen die – weltweit einmalige – bundesdeutsche Staatsräson geahndet, die auf Selbstverleugnung und -destruktion angelegt ist. Besonders lautstark trommelten die Organe des Springer-Konzerns – zu dessen „Essentials“ das „transatlantische Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa“ gehört – gegen die SPD-Frau. Bild: „So biederte sich Pipeline-Schwesig beim Kreml an“. Die Welt titelte: „Schwesig stellte sich in Rußland gegen den Kurs der Bundesregierung“. Der Witz an dieser Schlagzeile liegt darin, daß die Bundesregierung über keinen eigenen Kurs verfügt; er wurde ihr diktiert.

Martin L. Schmidt schrieb kürzlich zum Ukraine-Konflikt. „Auch aus der Sicht einer an spezifisch deutschen Interessen orientierten Außenpolitik muß betont werden, daß im Sinne des sprichwörtlichen Bismarckschen Spiels mit den fünf Kugeln die russische Kugel mittlerweile deutlich unbedeutender ist als die US-amerikanische und die EU-Kugel, sicherlich auch unwichtiger als die chinesische und vermutlich sogar als die des perspektivisch um Japan, Südostasien und Indien erweiterten Aukus-Paktes.“ Das trifft zu, ist aber nur die Hälfte der Wahrheit, denn Tatsache ist auch, daß die EU und das rohstoffarme Deutschland ohne den Zufluß aus Rußlands natürlichem Ressourcenpool energiepolitische Habenichtse sind und sich in ständiger Abhängigkeit von den USA befinden.

Hinter Schmidts Empfehlung, sich „jenseits überkommener Denkkategorien mit dem Intermarium-Konzept (zu) befassen“, steht der Gedanke, daß die mittelost- und osteuropäischen Staaten zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria – eventuell unter Einschluß der Ukraine – ein konservatives Zwischeneuropa bilden könnten, das der westlichen Dekadenz widersteht. Das klingt verführerisch, ist aber unrealistisch. Dieses Zwischeneuropa würde sich nach Lage der Dinge als US-affiner Cordon Sanitaire zwischen Rußland und Westeuropa herausstellen und jede Aussicht auf eine eigenständige europäische Politik zunichte machen. Der Tweet „Thank you, USA“, mit dem der ehemalige polnische Außenminister Radosław Sikorski – Ehemann der US-Neoconistin Anne Appelbaum – die Zerstörung der Nord-Stream-Leitungen feierte, spricht eine klare Sprache.

Folgenlose Frustentladung während der Energiekrise

Zu dieser aus deutscher Sicht desolaten Lage hat die Führung in Berlin kräftig beigetragen. An die Erklärung, die Gasleitungen zwischen Deutschland und Rußland hätten ausschließlich wirtschaftliche und keinerlei politische Bedeutung, mögen ihre Politik-Funktionäre, die das eigene Handeln nicht begreifen, geglaubt haben. Das Ausland aber ließ sich über das politische Potential des Projekts nicht täuschen. Ärgerlich war die Unprofessionalität von Kanzler Gerhard Schröder, der über die Einwände und historischen Traumata der Nachbarn im Osten hinwegging, statt sie zu konsultieren und einzubinden. Naiv war die Annahme, daß die USA den Deutschen die Sicherheit ihrer Handelsrouten garantieren würden, ohne ihnen eines Tages die Rechnung zu präsentieren. Um den Druck aus Washington zu mildern, hätte die Bundesrepublik – wie in der Nato vereinbart – Geld in ihr Militär investieren müssen. Das wäre zugleich eine strategische Volte gewesen, um den östlichen Nachbarn ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Stattdessen hat sie Milliardenbeträge in ihre Willkommensexzesse investiert und sich anschließend darüber empört, daß die Nachbarn deren Folgen nicht mittragen wollten. So macht man sich unbeliebt, verächtlich und bekommt die Narrenkappe aufgesetzt.

Nun ist von einem heißen Winter die Rede. Doch welches realistische Ziel könnten Proteste und Demonstrationen jetzt haben? Mit der Sprengung der Ostsee-Pipelines sind die Forderungen, die Gaszufuhr aus Rußland wieder aufzunehmen, hinfällig geworden. Es ist wahr, daß die da oben es nicht können und die da unten spüren, daß es so nicht weitergehen kann, aber selbst wenn die Unteren nach oben rückten, könnten sie kaum anders, so tief wurde das Land in die Sackgasse manövriert. Echte Handlungsspielräume könnten erst wieder durch Umbrüche wie 1989 entstehen. Ob das aber Umbrüche zum Positiven wären, ist diesmal zweifelhaft.

So wird es wohl bei der folgenlosen Frustentladung einer tapferen Minderheit bleiben. Andere werden jagen und sammeln, und die Mehrheit wird jene stille Resignation pflegen, die Friedrike Kempner in eine ihrer herrlich trivialen Strophen faßte: „Aber in des Armen Hütte Ist von Tadel keine Spur, Eingefroren ist das Wasser Und man weint und zittert nur.“

Außenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz Foto: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
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