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Sturm aufs Kapitol: Das war ein Ausdruck der Ohnmacht und kein „Umsturzversuch“

Sturm aufs Kapitol: Das war ein Ausdruck der Ohnmacht und kein „Umsturzversuch“

Sturm aufs Kapitol: Das war ein Ausdruck der Ohnmacht und kein „Umsturzversuch“

Trump-Anhänger am 6. Januar: Ein Umsturzversuch sieht anders aus
Trump-Anhänger am 6. Januar: Ein Umsturzversuch sieht anders aus
Trump-Anhänger am 6. Januar: Ein Umsturzversuch sieht anders aus Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Paula Bronstein
Sturm aufs Kapitol
 

Das war ein Ausdruck der Ohnmacht und kein „Umsturzversuch“

Man kann die Vorkommnisse rund um das Kapitol nur einordnen, wenn man auch auf den berechtigten Zorn der Trump-Anhänger über die Präsidentschaftswahl eingeht. Die Proteste waren ein Ausdruck von Hilflosigkeit und kein gewaltsamer Umsturzversuch. Ob die amerikanische Republik bewahrt werden kann, hängt nun vor allem von den Demokraten ab. Ein Kommentar von Thorsten Brückner.
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Zitate verlieren, wenn sie inflationär gebraucht werden, schnell ihre Durchschlagskraft, nutzen sich ab. Das gilt sicher auch für einen Ausspruch des amerikanischen Gründervaters Benjamin Franklin am Rande der Constitutional Convention 1787 in Philadelphia. Auf die Frage, ob die neu ausgearbeitete Verfassung die einer Monarchie oder einer Republik sei, antwortete Franklin: „Eine Republik, falls ihr es schafft, sie zu bewahren.“ Fast bei jeder Wahl, bei Abstimmungen im Kongreß, sogar bei anstehenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, wird das Zitat bemüht. Selten verfügte es über eine ähnliche Relevanz wie seit dem 3. November 2020.

Es ist völlig unmöglich, die Vorkommnisse rund um das Kapitol, den Sitz des Kongresses, am Mittwoch einzuordnen, ohne den Blick zurück auf eine Wahl zu richten, die die Hälfte des Landes mit dem Gefühl zurückließ, betrogen worden zu sein. Berechtigten Zorn kann den Trump-Sympathisanten, die an diesem Tag in Washington mehrheitlich friedlich gegen Wahlbetrug protestierten, nur absprechen, wer sich in den vergangenen zwei Monaten konsequent allen Indizien verschlossen hat, die eine Manipulation der US-Wahl in mehreren Bundesstaaten nahelegen.

Nur ein Bruchteil griff zur Gewalt

Das Eindringen einer zahlenmäßig kleinen Gruppe jener Demonstranten in das Kapitol zu einem Zeitpunkt, als dort Repräsentantenhaus und Senat in einer gemeinsamen Sitzung über den Ausgang der Präsidentschaftswahl abstimmten, kann auch als ein Schrei der Hilflosigkeit interpretiert werden. Ein Ausdruck von Ohnmacht jener, die sich vom politischen System, den Medien, den Gerichten, ja selbst weiten Teilen der Republikanischen Partei keine Hilfe mehr erwarten, die Unregelmäßigkeiten der Präsidentschaftswahl aufzuarbeiten.

Nur ein Bruchteil dieser Gruppe griff zu Gewalt und schlug etwa Scheiben und Türen ein, verwüstete Büros. Die meisten begnügten sich mit Posen für Erinnerungsfotos. Etwa Richard Barnett aus Arkansas, der in das Büro von Haussprecherin Nancy Pelosi spazierte und dort seine Füße auf ihrem Schreibtisch ruhen ließ. „Ich hab dann gesehen, daß mich eines dieser Arschlöcher verletzt hat und ich auf einen ihrer Briefumschläge geblutet hab“, diktierte Barnett später Journalisten in die Blöcke.

„Also habe ich den Umschlag genommen, ihn in die Tasche gesteckt und ihr einen Vierteldollar auf den Tisch gelegt. Ich bin schließlich kein Dieb.“ Das ist nicht gerade, wie man sich einen Umsturzversuch vorstellt. Zumal es sich auch nicht um den ersten Vorfall dieser Art handelt. Unvergessen die Bilder, als im Februar und März 2011 mehrere Tausend Menschen wochenlang das State Capitol in Madison im Bundesstaat Wisconsin wegen einer, zumindest verglichen mit der heutigen Situation, Petitesse, besetzten. Damals handelte es sich um linke Demonstranten.

Das Establishment kennt kein Halten mehr

Das politisch-mediale Establishment kennt nun dennoch kein Halten mehr. Die demokratische Kongreßabgeordnete Ilhan Omar ging sogar so weit, ein erneutes Amtsenthebungsverfahren gegen den in zwei Wochen ausscheidenden Präsidenten anzustreben. Ein Vorstoß, so bizarr, daß sich ihm allerdings zunächst nicht mehr als zwei Dutzend Demokraten, meist vom linksradikalen Parteiflügel, anschließen wollten. Jedoch stieg, ausgehend von jenem Narrensaum und angefeuert durch die ihm gewogenen Medien auch der Druck auf den moderaten Flügel der Partei, oder was auch immer man dafür halten mag.

Am gestrigen Donnerstag stellte sich der neue Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, hinter die Forderung, später auch Haussprecherin Nancy Pelosi. Unklar wäre allerdings, mit welcher Begründung. Eine Aufforderung zur Gewalt, wie sie Trump zahlreiche Gegner unterstellt haben, ist aus seiner Rede am 6. Januar nicht einmal ansatzweise abzuleiten. Bliebe der 25. Verfassungszusatz. Laut diesem müßten der Vizepräsident und die Mehrheit von Trumps Kabinett den Präsidenten für unzurechnungsfähig erklären.

Sollte Trump seiner Absetzung widersprechen, könnte dann nach Ablauf von weiteren acht Tagen Mike Pence noch für wenige Tage Präsident der Vereinigten Staaten spielen. Man kann sich den entsprechenden Vorstoß von Chuck Schumer fast nur damit erklären, daß der New Yorker Senator vermutlich zu viel seiner Freizeit mit der Fernsehserie „House of Cards“ totgeschlagen hat.

Eine Art Reichstagsbrand für die Linke

Der „Sturm aufs Kapitol“, für die amerikanische Linke eine Art Reichstagsbrand, war auch die Stunde jener frustrierten Republikaner, die Trump schon immer als Fremdkörper in „ihrer“ Partei betrachtet haben. George W. Bush meldete sich aus der texanischen Vergessenheit zu Wort. Der in der Vergangenheit nicht gerade für seine Zimperlichkeit beim Umsturz ausländischer Regierungen bekannte 43. Präsident der USA, warnte vor einem „Aufstand“, der der Nation großen Schaden zufüge.

Der frühere Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, der sich nur schwer entscheiden kann, ob er hauptberuflich Senator aus Utah oder Anti-Trump-Aktivist sein will, setzte noch einen drauf: Man sehe „einen noch nie dagewesenen Angriff auf unsere Demokratie“, die „durch den verletzten Stolz eines selbstsüchtigen Mannes“ hervorgerufen sei. Doch auch viele Unterstützer wendeten sich von Trump ab.

Das ging so weit, daß Senatoren wie Kelly Loeffler oder Lindsey Graham, die seit Wochen der Nation erklärt haben, daß die Wahl nach Strich und Faden manipuliert gewesen sei, in einem gigantischen Sinneswandel erklärten, sie werden sich der Bestätigung des Wahlresultates durch den Kongreß nun nicht mehr entgegenstellen.

Auch im Trump-Lager gibt es Absetzbewegungen

Auch innerhalb der Administration gibt es Absetzbewegungen. Trumps früherer Stabschef Mick Mulvaney, zuletzt Sondergesandter für Nordirland, trat aus Protest zurück. Ein Schritt, den man nicht überbewerten darf. Es handelt sich um eine Art „Virtue Signaling“ für den nächsten Arbeitgeber. Und mit Elaine Chao verließ die Frau des bisherigen republikanischen Mehrheitsführers Mitch McConnell, ein Intimfeind Trumps, das sinkende Schiff. Sein ehemaliger Verteidigungsminister James Mattis, bei dem sich immer mehr auch einer breiten Öffentlichkeit die wahre Bedeutung seines Spitznamens „verrückter Hund“ erschließt, brachte gar einen Gang Trumps ins Exil ins Gespräch.

Auch zwischen Trump und seinem Vizepräsidenten Pence geht ein Riß, der nicht mehr zu kitten sein dürfte. Marc Short, der derzeitige Stabschef des Vizepräsidenten, wurde zuletzt der Zutritt zum Weißen Haus verwehrt. Zuvor hatte sich Pence geweigert, seinen Widerstand gegen das Wahlergebnis geltend zu machen. Das Pence-Lager verurteilte die Szenen im Kapitol in den schärfsten Worten.

Pence’ früherer Stabschef im Amt des Gouverneurs von Indiana, Bill Smith, ein bis heute enger Vertrauter des Vizepräsidenten, forderte gar, die Demonstranten, die in das Kapitol eindrangen, sollten wegen Hochverrats vor Gericht gestellt werden – ein Straftatbestand, der in Amerika bis heute mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

Man fragt sich bei solchen Wortmeldungen, ob die jeweiligen Personen sich mal intensiver mit der Entstehungsgeschichte des eigenen Landes beschäftigt haben. Oder zumindest, warum diese selbsternannten Verteidiger der amerikanischen Demokratie nicht mit ähnlich steilen Stellungnahmen um die Ecke kamen, als „Black Lives Matter“-Demonstranten im Sommer amerikanische Innenstädte planiert haben.

Es fand tatsächlich ein Verbrechen statt …

Bei all der geheuchelten Empörung über ein paar Halbstarke ging an diesem ereignisreichen Dreikönigstag völlig unter, daß in den hehren Hallen des Kapitols an diesem Tag tatsächlich ein Verbrechen stattfand. Die unbewaffnete 35 Jahre alte Ashli Babbitt aus San Diego, Kalifornien, eine leidenschaftliche Trump-Unterstützerin wurde von der Kapitolpolizei bei dem Versuch erschossen, in den Saal des Repräsentantenhauses einzudringen.

Sie war politisch sehr aktiv. Die Corona-Restriktionen in ihrem Heimatstaat Kalifornien nannte sie zuletzt „kommunistischen Bullshit“. Babbitt hat ihrem Land 14 Jahre bei den Luftstreitkräften gedient und war dort laut Kusi, einem Fernsehsender aus ihrer Heimatstadt, in einer „hochrangigen, sicherheitsrelevanten Position“ tätig. Die Art von Amerikanerin, die Landsleute ansonsten ehrfürchtig mit der Floskel „Danke für Ihren Dienst“ („Thank you for your service“) ansprechen.

… eine unbewaffnete Veteranin wurde erschossen

Doch im Falle der Getöteten reichte es noch nicht einmal zum einfachen Respekt, der einer Verstorbenen gebührt. Auf Twitter mußte sich Babbitt posthum, auch von ehemaligen Kollegen der Streitkräfte als „heimische Terroristin“ beschimpfen lassen. Andere freuten sich offen über ihren Tod und wünschten der jungen Frau, sie möge in der Hölle enden. Eine „amerikanische Versagerin“, nannten sie andere. Wie wäre wohl die Reaktion der Öffentlichkeit ausgefallen, hätte die Capitol Police an gleicher Stelle eine schwarze Anti-Trump-Demonstrantin erschossen? Hätte Senator Graham dann auch den Einsatz tödlicher Gewalt gegen die Demonstranten verteidigt und gar noch beklagt, daß zu wenig von der Schußwaffe Gebrauch gemacht worden sei?

Donald Trump war die Möglichkeit einer Stellungnahme zu den Ereignissen zunächst verwehrt. Twitter und Facebook sperrten seine Accounts, darunter ein Video, in dem er seine Unterstützer unzweideutig dazu aufforderte, nach Hause zu gehen. Trump wird am 21. Januar nicht mehr Präsident sein. Aber der Unmut seiner Unterstützer wird sich nicht so leicht aus dem Weißen Haus werfen lassen wie der bisweilen auf Krawall gebürstete 74jährige, der fraglos bei Personalentscheidungen innerhalb der Republikanischen Partei in den nächsten Jahren weiter am Rande ein gewichtiges Wort mitreden wird.

Die Linke befindet sich auf einem Rachefeldzug

Doch die amerikanische Linke ist auf einem Rachefeldzug – nicht nur gegen Trump, sondern auch gegen seine Unterstützer. Der für Politik verantwortliche Direktor von ABC News, Rick Klein, phantasierte auf Twitter darüber, Trumps „Bewegung zu säubern“. Später wurde der Eintrag gelöscht.

Ob die Republik bewahrt werden kann, wird nicht zuletzt auch vom Verhalten der Demokraten abhängen. Werden sie auf Trumps Anhänger zugehen, ihnen ein Angebot machen oder mit derselben Geringschätzung, mit der Hillary Clinton sie einst als „Beklagenswerte“ abstempelte, den Graben bis zur endgültigen Spaltung vertiefen?

Die Hoffnung liegt hier weniger auf Joe Biden, der angesichts des Nachlassens seiner kognitiven Fähigkeiten in Zukunft mehr damit zu tun haben dürfte, im Weißen Haus die richtige Bürotür zu finden. Vielmehr darf man hoffen, daß moderate demokratische Senatoren wie Joe Manchin aus West Virginia oder Kyrsten Sinema aus Arizona zumindest den schlimmsten ideologischen Narreteien ihrer Partei Einhalt gebieten.

Trump-Anhänger am 6. Januar: Ein Umsturzversuch sieht anders aus Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Paula Bronstein
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