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Corona, Euro und EU: Endspiele im Jauche-Bad

Corona, Euro und EU: Endspiele im Jauche-Bad

Corona, Euro und EU: Endspiele im Jauche-Bad

Angebrannte Euro-Münze
Angebrannte Euro-Münze
Angebrannte Euro-Münze: Die Weichwährungsländer setzten sich durch Foto: imago images / McPHOTO
Corona, Euro und EU
 

Endspiele im Jauche-Bad

Im Streit um Corona-Bonds werden begangene Fehler in der Euro-Politik deutlich. Deutschland opferte jegliche Vernunft auf dem Altar einer vermeintlich europäischen Idee und der einseitigen deutsch-französischen Freundschaft. Auch heute geben unsere Politiker ein jammervolles Bild ab. Indes geht die allgemeine Ermüdung und Demoralisierung weiter. Ein Kommentar von Thorsten Hinz.
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Vor 30 Jahren machte ein neuer Werbeslogan für einen alten Schokoriegel die Runde: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix!“ Ähnlich verhält es sich mit den Euro-Bonds, die jetzt „Corona-Bonds“ heißen. Während Euro-Bonds ökonomisch, finanz- und geldpolitisch begründet wurden – und entsprechend widerlegt werden konnten –, sind „Corona-Bonds“ unwiderlegbar. Sie appellieren an das Mitgefühl, das gute Herz, das Gewissen.

„Corona-Bonds“, lautet die Suggestion, dienen der Linderung eines medizinischen oder medizinisch verursachten Problems. Wer sie verweigert, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, er handelt unsolidarisch, ja unmenschlich. Das humanitäre und moralische Argument dient der politischen und finanziellen Erpressung – ein Verfahren, für das die Deutschen besonders empfänglich sind.

Als Erpresser treten die üblichen Verdächtigen auf: Italien, Spanien, Griechenland und natürlich Frankreich, das sich geschickt im Hintergrund hält. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez wählte in einem Beitrag, der in der FAZ erschien, martialische Formulierungen. Die Situation rufe nach einer „Kriegswirtschaft“ und „rigoroser Solidarität“. Nötig seien „Maßnahmen zur Stützung der Schulden, die wir in vielen Staaten aufnehmen“, und zwar über die akute Notlage hinaus. Europa benötige einen „neuen Marshall-Plan“, „einen groß angelegten Generalplan für eine rasche und solide Erholung des Kontinents“.

Damit es keine „Gräben zwischen Norden und Süden gibt“, müsse „ein neuer Mechanismus zur Vergemeinschaftung von Schulden eingerichtet“ werden, also eine Transfersunion von Nord nach Süd. „Wir Spanier haben uns stets vor das europäische Projekt gestellt und es verteidigt. Jetzt ist der Augenblick der Gegenseitigkeit.“

Sentimentale Darstellung

Das ist eine so einseitige wie sentimentale Darstellung. Spanien hat aus dem „europäischen Projekt“ einen enormen – auch geldwerten – Nutzen gezogen. Viele Jahre war es der größte Netto-Empfänger aus dem EU-Haushalt. Als vor 20 Jahren die EU-Osterweiterung verhandelt wurde, verhielt der damalige spanische Ministerpräsident Aznar sich aus Sorge um einen neuen Verteilerschlüssel höchst unsolidarisch und unkooperativ.

Doch Sanchez, Conte, Macron und ihre Gesinnungsfreunde können beruhigt sein. Längst treibt die Entwicklung in die von ihnen gewünschte Richtung. Das europäische Kurzarbeitergeld stellt einen Einstieg in die Bonds dar. Denn um die Hilfen zu finanzieren, soll sich die Kommission 100 Milliarden Euro an den Märkten leihen. Dank der höchsten Bonitätsnote, für die vor allem Deutschland sorgt, kann sie sich das Geld zu günstigen Konditionen beschaffen und den niedrigen Zinssatz an weniger kreditwürdige Mitgliedstaaten weiterleiten, die sonst höhere Zinsen zahlen müßten.

Angesichts solcher Erfolge kann Italien es sich sogar leisten, mit der Attitüde verletzten Stolzes die 39 Milliarden abzulehnen, die ihm aus dem Europäischen Rettungsschirm ESM zugedacht waren. Dabei sollte die Summe nur an eine einzige Auflage geknüpft sein: Die Gelder müssen im Gesundheitssystem eingesetzt werden. Weitergehende wirtschaftspolitische Reformen wurden nicht mehr verlangt. Offenbar ist die italienische Regierung zu dem Schluß gekommen, daß das strategische Ziel einer totalen Schulden-, Haftungs- und Transferunion zum Greifen nahe und es daher nützlicher ist, auf die Summe vorerst zu verzichten und stattdessen den moralischen Druck weiter zu verstärken, um den lang ersehnten Paradigmenwechsel festzuschreiben.

Der Teelöffel Jauche im Wein

Vor diesem Hintergrund klingt die Erklärung des Vizepräsidenten der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, in einer derart schweren Krise müsse man „aus alten Denkmustern ausbrechen“ und „an neuen Finanzierungsinstrumenten“ arbeiten, alarmierend.

Einer realistischen Diskussion um die Euro- oder Corona-Bonds müßte ein Zitat aus Schillers „Wallenstein“ vorangestellt werden: „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, / Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.“ Die böse Tat ist der Maastricht-Vertrag, mit dem die Außen- und Finanzminister 1992 die europäische Währungsunion vereinbarten. Es hätte sie – wenigstens in dieser Form – niemals geben dürfen. Nahezu alle Befürchtungen, die damals von den Kritikern geäußert wurden, haben sich bewahrheitet.

Die heutigen Rufe nach Solidarität und europäischer Gemeinsamkeit würden ehrlicher und überzeugender wirken, wenn die südeuropäischen Weichwährungsländer aus Einsicht in ihre Unzulänglichkeit auf den schnellen Beitritt zum Euro verzichtet hätten, damit eine von Hartwährungsländern getragenen Gemeinschaftswährung sich konsolidieren kann. In der Zwischenzeit hätten sie Gelegenheit gehabt, ihre Finanzen, ihre Steuerpolitik und Ökonomie gemäß den vereinbarten Standards zu ordnen und an den Euro-Verbund anschlußfähig zu werden. Doch weil es ihnen statt um Europa um Teilhabe an der Stärke und Bonität der Deutschen Mark ging, hantierten sie mit gefälschten Haushaltszahlen und errichteten potemkinsche Dörfer.

Allerdings konnte europäischen Kernländern nicht zugemutet werden, dauerhaft am Katzentisch der EU zu sitzen. Es hätte also klarer politischer Führung bedurft, um einerseits den Südländern eine Beitrittsperspektive zu eröffnen, andererseits aber zu verhindern, daß das Gift des geldpolitischen Schlendrians die Gemeinschaftswährung kontaminiert und sich im Euro das Schopenhauersche Entropie-Gesetz erfüllt: „Wenn man einen Teelöffel Wein in ein Faß Jauche gibt, ist das Resultat Jauche. Wenn man einen Teelöffel Jauche in ein Faß Wein gibt, ist das Resultat ebenfalls Jauche.“

Die Alternative wäre gewesen, einen Zeitrahmen aufzustellen, klare Reformvorgaben zu machen und deren Erfüllung akkurat zu überprüfen. Ein Kohäsionsfond hätte zusätzliche Leistungsanreize geben können. Die politische Initiative hätte von Deutschland ausgehen müssen, das mit der D-Mark über das Objekt des Begehrens verfügte und das stärkste Interesse an belastbaren Standards hatte, weil es mit der eigenen Währung seinen Kronschatz in das Projekt investierte.

Vernunft auf dem Altar einer vermeintlich europäischen Idee geopfert

Jegliche Vernunft wurde aber auf dem Altar einer vermeintlich europäischen Idee und der einseitigen deutsch-französischen Freundschaft geopfert. Frankreich war daran interessiert, Deutschland geldpolitisch zu entwaffnen und im Euro-Verbund einen möglichst starken „Club med“ zu etablieren. Man versteht die französische Europa-Politik nur, wenn man sich die Vision Charles de Gaulles von einem französisch bestimmten Europa vor Augen hält, für das ein politisch kastriertes Deutschland die ökonomischen und finanziellen Ressourcen bereitstellt.

Frankreich seinerseits dachte nicht im Entferntesten daran, seine Atomwaffen oder den ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat zu vergemeinschaften. Weil die Bundesrepublik Paris aber keine eigene politische Idee entgegenzusetzen hatte, wurde am Ende ein extra großer Wasserkrug voll Jauche in das Euro-Faß geschüttet.

Man muß mit einer gewissen Bewunderung konstatieren, daß die Franzosen ihr Konzept knallhart durchsetzen. Auf den Franzosen Jean-Claude Trichet folgte als EZB-Präsident der Italiener Mario Draghi, dem jetzt die Französin Christine Lagarde nachfolgte. Die durchsetzungsfähige Lagarde hat reale Macht inne, während Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die schon als Verteidigungsministerin („Flintenuschi“) ein Totalausfall war, eine Frühstückdirektorin abgibt.

Der Euro sollte Prospärität für alle schaffen

Der Euro sollte Prosperität und Wohlstand für alle schaffen, die Völker zusammenführen, ein europäisches Staatsvolk kreieren. Auf allen Gebieten sollte Europa einen gewaltigen Energieschub erhalten. Parallel zur Euro-Einführung wurde im März 2000 auf einem Sondergipfel in der portugiesischen Hauptstadt die sogenannte „Lissabon-Strategie“ verabschiedet. Innerhalb von zehn Jahren, bis 2010, sollte die EU vor den USA und Japan zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten, intelligentesten Wirtschaftsraum der Welt werden und zum echten Global Player aufsteigen.

Was kam, war ein kreditfinanzierter Konsum- und Bauboom in Südeuropa, der in einer Staatschuldenkrise mündete, die sich mit der Banken- und Finanzkrise verband. Zur Weltmacht aufgestiegen ist unterdessen China, das zielstrebig am Bau der Neuen Seidenstraße arbeitet, während die EU mit Krisengipfeln, dem Aufspannen von Rettungsschirmen und dem Schnüren von Rettungspaketen beschäftigt ist.

Anstatt der Hart- geben die Weichwährungsländer den Ton an, die sich in einer komfortablen Position befinden. Die Verbindlichkeiten und Forderungen der Deutschen Bundesbank, die sogenannten Target-2-Salden, die bei den nationalen Notenbanken beim grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr der Kreditinstitute entstehen, nähern sich der Billionenmarke. Bräche der Währungsraum auseinander, müßten sie offiziell abgeschrieben werden.

Deutsche Politiker geben ein jammervolles Bild ab

Die deutschen Politiker geben, wie gehabt, ein jammervolles Bild ab. Der damalige, für Maastricht mitverantwortliche Finanzminister Theo Waigel (CSU) hat bis heute nicht begriffen, was er angerichtet hat. Grünen-Chef Robert Habeck findet die Euro-Bonds ganz großartig. In der Begründung gibt er sich als Opfer des bundesdeutschen Geschichtsunterrichts zu erkennen: Auch die Deutschen seien nach dem Zweiten Weltkrieg „in besonderem Maß“ von der USA und den Nachbarstaaten finanziell und institutionell unterstützt worden, „trotz der Vergangenheit“.

Ging es für Helmut Kohl (CDU) bei der Euro-Einführung „um Krieg oder Frieden“, geht es für Sigmar Gabriel (SPD) und Joschka Fischer  (Grüne) in der Corona-Krise „um Leben und Tod – auch für Europa!“ Natürlich darf das Märchen nicht fehlen, daß Deutschland „von allen Ländern den größten wirtschaftlichen und finanziellen Gewinn aus dem Euro zieht und sogar an der Griechenland-Krise verdient hat“.

Zwar spricht die Bundesregierung sich offiziell gegen die Bonds aus, aber die Gegenwehr wirkt schwächlich, inkonsequent und kaum politisch begründet. Da die Target-Kredite aller Voraussicht nach ohnehin verloren sind, wäre der Schnitt zwischen einem Nord- und Südeuro zwar ein Ende mit Schrecken, aber immerhin das Ende eines grundlegenden Fehlers, das einen Neuanfang ermöglichte.

Das liegt für unsere Funktionseliten jenseits des Vorstellbaren. Es wird zu faulen Kompromissen kommen, und wenn sonst nichts hilft, wird man sich dem Argument beugen, daß ein Volk, das zwei Weltkriege angefangen und sechs Millionen Juden umgebracht hat, keine humanitär gebotenen „Corona-Bonds“ verweigern dürfe. Vielmehr müsse es gerade jetzt beweisen, daß es aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt habe. Was bedeutet, daß dem Krug Jauche ein ganzer Eimer hinterher geschüttet wird.

Auch durch Selbstzerstörung kann man an ein Ende kommen

Eine Prognose: Weder die EU noch der Euro-Raum werden mit einem Corona-Knall auseinanderfallen. Sie werden ihren Konkurs auf Kosten der Nordländer und insbesondere Deutschlands verschleppen, und  sei es um den Preis des Währungsschnitts. Überhaupt kann man sich schwerlich des Eindrucks erwehren, daß Deutschlands Politiker und noch mehr die Meinungsmacher das Corona-Virus als Chance sehen, die bitteren Konsequenzen, die sich aus dem fehlkonzipierten Euro-Verbund ergeben, auf eine unkalkulierbare höhere Gewalt zu schieben.

Aktiven Widerstand brauchen sie nicht fürchten. Fortschreiten wird jedoch die allgemeine Ermüdung, die Demoralisierung, die Auszehrung, die Zerstörung des Leistungsethos. Deutschland steigt ab, ohne daß seine Nachbarn deshalb aufsteigen. Im Gegenteil, wenn der deutsche Stabilitätsanker den Ermüdungsbruch erleidet, verliert die politisch führungslose EU den letzten Halt. Auch durch Selbstzerstörung kann man an ein Ende kommen.

Angebrannte Euro-Münze: Die Weichwährungsländer setzten sich durch Foto: imago images / McPHOTO
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