Legitimation vollzieht sich in einer Demokratie durch Kommunikation. Die kann als „kommunikative politische Führung“ aus freien Stücken erfolgen, etwa durch öffentlichkeitswirksame Parlamentsdebatten, massenmediale Volkspädagogik oder „kommunikativen Nahkampf“ in Talkshows und politischen Debatten. Bisweilen aber scheuen Politiker derlei: Die Transaktionskosten wären zu hoch, solche Kommunikation wäre gerade nicht opportun, auch gute Argumente könnten derzeit mißverstanden werden.
Dann neigt man zum Politikmachen in „kommunikativen Nischen“, zum Agieren unter dem Radarschirm der – sich womöglich widersetzenden – Öffentlichkeit. Das mag manchem sogar schlau vorkommen. Doch in einer Demokratie ist dergleichen ungehörig, zumindest legitimitätsgefährdend, im Grunde illegitim.
Die AfD hat die Diskussion bereichert
Mit solchem Verhalten wurde Deutschlands Regierung unlängst ertappt, nämlich bei der Frage nach einem Beitritt der Bundesrepublik zum Migrationspakt, der kommende Woche in der marrokanischen Stadt Marrakesch vollzogen werden soll. Seit April 2017 im Rahmen der Uno ausgehandelt und im Juli 2018 von mehr als 190 Staaten beschlossen, war dieser Vertrag monatelang zwar gelegentlicher Gegenstand von Informationen der Bundesregierung ans Parlament.
Doch irgendeine systematische Öffentlichkeitsarbeit war hinsichtlich des Migrationspakts seitens der Regierung nicht zu erkennen, auch nicht seitens der regierungstragenden oder migrationsbefürwortenden Fraktionen.
Auch die reichweitenstärksten Medien unseres Landes widmeten sich zunächst kaum diesem Pakt, seinen Zielen, Inhalten, möglichen Konsequenzen.
Von heute her wirkt das alles so, als hätten große Teile unserer Politiker- und Journalistenschaft jenen Vertrag zur globalen Migrationspolitik als etwas behandeln wollen, das entweder so nachrangig oder so brisant wäre, daß Deutschlands Öffentlichkeit eine breite Debatte darüber nicht brauche oder nicht vertrüge. Im ersten Fall wäre eine solche Haltung ignorant, im zweiten Fall frivol. Falsch ist sie in jeder Hinsicht.
Und wie wäre es wohl gekommen, hätte sich nicht schon seit langem eine alternative Öffentlichkeit im Internet organisiert? Oder wenn der Bundestag weiterhin nur aus Union, Grünen, SPD und Linken bestünde? Zwar tut es unserer Demokratie keineswegs gut, daß die politische und kulturelle Öffentlichkeit immer mehr zerfällt in wechselseitig abgeschottete Meinungshöhlen, aus denen einander feindlich gesinnte Bewohner immer wieder ausbrechen, um die eigene Fahne zu schwenken oder die jeweils bösen Anderen zu attackieren.
Die politische Vernunft hätte zur Kommunikation geraten
Doch hätten wir die jetzt breite Mediendebatte zum Migrationspakt wirklich, wenn das Thema nicht wuchtvoll aus dem Paralleluniversum rechter Echokammern und Filterblasen hochgequollen wäre? Und gewiß kann man sich von der Linken bis zur rechten Mitte über die Existenz einer Bundestagsfraktion der AfD sowie über etliche Töne ihrer Redner ärgern. Doch hätten die etablierten Parteien ohne eine Art „Jagddruck“ seitens der AfD den Migrationspakt wirklich zum Thema von Plenardebatten, gar eines CDU-Bundesparteitags gemacht?
Zuversicht stiftet am ganzen mißlichen Kommunikationsdebakel, daß unsere Demokratie einmal mehr ganz nach Lehrbuch funktionierte: Wo der Öffentlichkeit Themen vorenthalten oder Forderungen entwunden werden, bietet der Werkzeugkasten demokratischer Politik genügend Instrumente, um den politischen und medialen Eliten eben doch noch jene Debatten aufzuzwingen, vor denen sie sich drücken wollen.
Straßenprotest organisiert sich über das Internet in Dimensionen, die jedes Ignorieren wirkungslos werden lassen; alternative Medien machen es alternativlos, sich auch mit ungeliebten Interessen oder Ansichten zu befassen; und eine neue Protestpartei unterläuft im Bundestag parlamentarische De-Thematisierungsstrategien, wie sie noch 2015 bei der Eurozonen- sowie Migrationspolitik ziemlich gut funktionierten.
Doch muß es denn immer wieder so weit kommen, daß sich nur aufgrund politischen Drucks vollzieht, wozu politische Vernunft und staatskluge Umsicht von vornherein raten könnten? Muß sich eine Regierung nachgerade panikartig aufs Niveau von Behauptungen wie der sinken lassen, ein Pakt mit dem Ziel einer besseren Regelung weltweiter Migration wäre ausgerechnet für jene Staaten ganz unverbindlich, die den sehr präzisen, im Vertrag klar formulierten Selbstverpflichtungen ausdrücklich beigetreten sind?
Die Regierung wußte, warum sie eine Debatte vermeiden wollte
Muß man in einer Demokratie, die auf das Mitmachen kluger Bürger vertraut, tatsächlich zum volksverdummenden Argument greifen, bei der Entwicklung und Fortentwicklung von Völkerrecht entstünden aus politischen Absichtserklärungen ganz gewiß keine rechtlich bindenden Dokumente, die nationale Ausnahmen kaum mehr zulassen? Wäre also sogenanntes „Soft Law“ nicht weiterhin eine Aussaat, deren Ernte bei den Gerichten aufginge?
Und mit wie guten Gründen hält man eine nicht blöde Bevölkerung für unfähig zur Vermutung, gut funktionierende demokratische Staaten wie der unsere könnten viel leichter zur Einlösung freiwilliger Zusagen veranlaßt werden als schlecht funktionierende Ursprungsländer von Migration oder als Diktaturen mit ausbeuterischer Beschäftigung migrantischer Arbeiter? Anscheinend hatte unsere Regierung durchaus gute Gründe dafür, eine breite Debatte über den Migrationspakt lieber zu vermeiden.
—————————–
Prof. Dr. Werner J. Patzelt lehrt Politikwissenschaft an der TU Dresden.
JF 50/18