Vor drei Jahrzehnten brachte der kluge Peter Glotz den Begriff der Zweidrittelgesellschaft in die politische Debatte. Der sozialdemokratische Vordenker meinte damit eine Gesellschaft, die eine neue Armut duldet und nur den Kern der Arbeitnehmerschaft weiterhin ordentlich bezahlt, unorganisierte Randgruppen aber praktisch aufgibt. Das konnte man damals noch als Oppositionsgegrummel abtun, doch seit der rot-grünen Agenda 2010 ist es Realität in Deutschland: Es gibt ein neues Prekariat, und das besteht längst nicht nur aus ungelernten Arbeitern und Zugewanderten.
Kein Geld für Infrastruktur, Rentenkürzung, Abschaffung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsabsicherung, Hartz IV für unterbezahlte bzw. unverschuldet arbeitslos gewordene Arbeiter und Angestellte – anderseits Milliardenausgaben für Arbeitsscheue und angebliche Asylsuchende, Flatrates für EU, Klima- und Weltenrettung, Millionensaläre für angestellte Manager: Das hat die SPD-Wahlergebnisse im Bundesschnitt von 40 auf 20 Prozent halbiert und die Sozialdemokraten als Volkspartei zerstört.
Simone Lange hat sich für Hartz IV entschuldigt
Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange hat das zumindest teilweise erkannt und bei der Kampfabstimmung um den SPD-Vorsitz ein Drittel der Delegierten auf ihre Seite ziehen können – trotz heftigem Gegenwind aus der Funktionärsebene der Partei. Selbst der angeblich aufmüpfige Juso-Chef Kevin Kühnert hatte für die Politkarrieristin Andrea Nahles als neue SPD-Vorsitzende geworben. Dennoch hat die redegewandte Bundestagsfraktionsvorsitzende nur zwei Drittel der SPD-Delegierten überzeugen können. Es war das zweitschlechteste Ergebnis aller Zeiten bei der Wahl eines SPD-Vorsitzenden. Nur Oskar Lafontaine lag 1995 – gegen den eigentlich „gesetzten“ Rudolf Scharping – noch etwas schlechter.
Die Wahl Nahles heißt: Weiter so – auf Untergangskurs. Warum? Wer zur gut abgesicherten Zweidrittelgesellschaft gehört, hat im bundesdeutschen Sechs-Parteien-System vier bessere Alternativen. Um das verlorene Drittel werben inzwischen nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Linkspartei und AfD – und das mit Argumenten und Angeboten, die dort viel besser ankommen. Simone Lange hatte zwar keine besseren Antworten, aber sie hat sich immerhin bei all jenen entschuldigt, die trotz jahrelanger fleißiger Arbeit durch Hartz IV & Co. ins Prekariat abgestürzt sind. (fis)