„Sagen wir es an diesem Festtag einmal deutlich: Dieses Land verdient das Vertrauen seiner Bürger. Auch gegenwärtig, da es mit ungelösten Problemen ringt.“ Also sprach der Bundespräsident zu Weihnachten und schob die Aufforderung nach, die Politiker nicht pauschal zu Schuldigen zu erklären. Nun, das deutsche Staatsvolk ist gerade dabei, im eigenen Haus die Hoheit zu verlieren: politisch, kulturell, sozial, lebensweltlich, und die Politiker können wirklich nicht erwarten, dafür aus der Verantwortung entlassen zu werden.
Wenn Angela Merkel die Terroranschläge als „schwere Prüfung“ bezeichnet, erklärt sie zum Schicksal und Gottesgericht, was wesentlich auf ihre fatalen Entscheidungen zurückgeht. Ein Staat aber, der seine Schutzfunktion aufgibt, verliert den Anspruch auf das Vertrauen, die Loyalität und Rechtstreue seiner Bürger.
Gläubigkeit gegenüber Institutionen ablegen
Da trifft es sich gut, daß in diesem Jahr der 200. Geburtstag des amerikanischen Schriftstellers Henry David Thoreau ansteht, der die Idee des zivilen Ungehorsams und Widerstands begründete. Thoreau hatte sich geweigert, Steuern für eine als falsch erachtete Politik zu entrichten und ging dafür sogar kurzzeitig ins Gefängnis. Seine 1849 erschienene Schrift „Resistance to Civil Government“ trägt im Deutschen den Titel „Widerstand gegen die Regierung“ beziehungsweise „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“.
Der Essay atmet einen amerikanischen Geist, der sich nicht deckungsgleich übertragen läßt. Auch legt Thoreau nicht trennscharf dar, wo die Grenze zwischen gerechtfertigtem Widerstand und bodenloser Anarchie verläuft. Dennoch darf man daraus lernen und ein klein wenig amerikanischer werden, indem man seine Gläubigkeit gegenüber den Institutionen ablegt und sie vor dem geistigen Auge schrumpfen läßt.
Mit einer Gegenöffentlichkeit sich das Land zurückholen
Dazu gehört, sich nicht ausschließlich auf Wahlen oder auf Artikel 20 des Grundgesetzes zu verlassen, der im vierten Absatz allen Deutschen „das Recht zum Widerstand“ zubilligt, allerdings nur, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Das formale Widerstandsrecht ist in Wahrheit eine Definitions- und damit Machtfrage. Was wiederum dazu zwingt, im Widerstand eine Taktik zu wählen, welche die Überlegenheit der Gegenseite einkalkuliert.
Der Einsatz wird je nach Alter, Stellung und Temperament unterschiedlich sein. Junge Aktivisten haben zuletzt geschickt Greenpeace-Aktionen adaptiert und die forcierte Migration als Anschlag auf ihre Zukunft angeprangert. Andere verweigern konsequent und demonstrativ die Rundfunkgebühren und zwingen auf diese Weise ARD und ZDF, ihren Zwangscharakter und ihre Politiknähe offenzulegen. Die neuen Medien erlauben den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit. Es sind Versuche auf Graswurzelniveau, um sich das Land zurückzuholen.
JF 02/17