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Offener Brief im Fall Pirinçci: Ach, ihr Guten von Random House!

Offener Brief im Fall Pirinçci: Ach, ihr Guten von Random House!

Offener Brief im Fall Pirinçci: Ach, ihr Guten von Random House!

Schreiben
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Der Schriftsteller Thor Kunkel protestiert gegen den Boykott von Akif Pirinçcis Büchern Foto: picture alliance/Klaus Ohlenschläger
Offener Brief im Fall Pirinçci
 

Ach, ihr Guten von Random House!

Nach seiner Rede bei Pegida hat die Verlagskette Random House sämtliche Bücher von Akif Pirinçci aus dem Programm genommen. Ein Fall von krudester Zensur, findet der Schriftsteller Thor Kunkel. In einem offenen Brief ruft er das Unternehmen auf, die Entscheidung zu überdenken.
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Ich ahne, ihr wollt bei der sich abzeichnenden Kloppjagd auf Querdenker ganz vorne mitmischen – vielleicht nicht nur auf Druck eurer Grossisten, sondern um die Defizite eures momentanen Programm aufzuwerten. Fair ist fair. Daß ihr den Verkauf von Akif Pirinçcis Katzen-Krimis eingestellt habt, ja, daß es euch gelungen ist noch vor Amazon eine politisch-korrekte Duftmarke zu setzen, dürfte jeden Verlagssesselfurzer kurzzeitig in einen moralischen Höhenrausch hieven. Und der Triumph sei euch gegönnt.

Ich bin sicher, dank eurer beherzten Aktion werden jetzt in Thüringen weniger Wohncontainer für Flüchtlinge brennen… Und doch – bitte glaubt mir, ich sage das nur ungern – habt ihr mit eurer von der Mafia der Politischen Korrektheit gefeierten Entscheidung die Bücherverbrennung wieder salonfähig gemacht, – freilich in einem hochsymbolischen Rahmen, doch die komplette Auslöschung der Werke eines deutschen Autors in aller Öffentlichkeit und vom moralinsauren Gesabbel eures Verlagsjuristen gerahmt – entspricht ohne Zweifel einer Neuauflage des von den Nazis initiierten Rituals.

Krudeste Form von Zensur

Thor Kunkel Foto: Wikimedia/Hagen Schnauss mit CC 3.0-Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Thor Kunkel Foto: Wikimedia/Hagen Schnauss mit CC 3.0-Lizenz

Eure Aktion ist – bitte verzeiht – menschenverachtend und selbst eines jeden Dreck publizierenden Verlagskonglomerats nicht würdig. Womit natürlich nicht ihr gemeint seid, ihr steht ja bekanntlich für Hochliteratur. Doch was, wenn es bald überall im deutschen Verlagswesen große und kleines Nachahmer gibt, habt ihr euch das schon mal durch den Kopf gehen lassen? Das Durchforsten von Kinderbüchern nach „rassistischen“ Wörtern war eine Sache, das „Sperren“ von Büchern entspricht de facto der krudesten Form von Zensur.

Nun habe ich selbst vor drei Jahren einen Roman bei Random House publiziert, und ich erinnere mich an einen Disput, in dem es um Vor-Zensur ging: Ein Lektor störte sich an dem Wort Thingstätte, das er für „Nazi-Deutsch“ hielt und ich wollte beim besten Willen nicht auf das Wort in meinem Satzbau verzichten – was dann tatsächlich zu einer schriftlichen Abmahnung führte. Kein Witz. So streng ging das zu. Immerhin stand ich noch unter Beobachtung, ein intellektuell ausgebürgerter Dissident, der sich mit der Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit nicht abfinden wollte und deshalb in die Schweiz immigrierte – so einer galt selbst im Rahmen von Heyne Hardcore als Sicherheitsrisiko.

Es geht um die wirtschaftliche Vernichtung eines Autors

Der Verlagsleiter verbat sich damals das Wort Zensur, und doch – das Exempel, das man nun an Pirinçci statuiert, ist genau das – eine brutale, zumal willkürliche Zensur, denn Jahrzehntelang hat sich Random House an den Francis-Krimis dumm und dämlich verdient! Wieso sollte es plötzlich mündigen Bürgern unmöglich gemacht werden, Pirinçci zu lesen? Wer ermächtigt ein privat-wirtschaftliches Unternehmen zu dieser Form der Bevormundung?

Die Wahrheit ist, es geht gar nicht um Krimis, es geht euch um die wirtschaftliche Vernichtung eines Autors, der es wagt, sich offen gegen das System zu stellen. Ihr wollt ihn jetzt den überfälligen Preis zahlen lassen und habt dabei ein fürchterliches Zeichen gesetzt. Ist es in Deutschland denn wirklich wieder so weit, frage ich euch? Habt ihr vergessen, was 1933 geschah? Lest ihr eigentlich auch andere Bücher, die ihr verlegt habt – zum Beispiel Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“, in dem der Literaturkritiker die Schikanen und Ausgrenzungsrituale der Nazis gegen Autoren ausführlich schildert?

Feiges Schweigen

Ganz ehrlich, eure Begründung für Pirinçcis Vernichtung hätte dem Reichs-Propagandaminister gefallen… Der wußten auch alle Bosheit der Welt in schöne Worte zu kleiden. (Wobei die Nazi-Zensoren aber wenigstens selektiver verbrannten…) Bitte, tut mir einen Gefallen und lest das Buch, das vor einigen Jahren bei btp, einem eurer Verlage, erschien.

Und bitte, bitte erzählt mir später nicht, das seien ja fast alles Juden gewesen, denn dann habt ihr nichts, aber auch gar nichts aus der deutschen Geschichte gelernt. Daß nahezu alle eure kontemporären Autoren – vor allem die Gesinnungsliteraten, die sonst täglich zig Petitionen unterzeichnen – eure Aktion feige beschweigen, ist schon gar kein Freibrief, im Guten Böses zu tun. Ja, ich muß sagen, das gesammelte Schweigen der lieben Kollegen hat mich mehr als betroffen gemacht.

Gravierender Fehler

Man muß Akif Pirinçcis „Ghetto-Style“-Sprache und seine Nähe zu Pegida nicht mögen, um zu sehen, daß ihr Narren – ich meine euch, ihr Random-Häusler –, einen gravierenden Fehler macht und daß eure Aktion denen in die Hände spielt, die die Straße als Ersatz-Plattform verhinderter Meinungsäußerung im Sinne eines Aufbegehrens gegen die intolerante Regierung verstehen. Doch das juste Milieu, das sämtliche medienpolitischen Machtpositionen stramm kontrolliert, scheint nach einem Jahr Pegida auf Konfrontationskurs zu gehen.

Sie glauben tatsächlich, sie könnten mit ihren paar tausend Schwätzern ein ganzes Volk kontrollieren. So wie Sybille Berg, die sich kürzlich auf Spiegel Online über Pirinçcis Vernichtung mokierte: „Die Dummen, die Dreisten, die Brutalen waren schon immer hörbarer als die Leisen, die Denkenden. (Oh, das überrascht mich jetzt aber.) Das ist das Übel der Evolution. (Du meinst sicher die Bekleidungslinie von Nike, kann das sein, Bille?) Es überlebt, wer aggressiver ist. (Eh, voll hardcore!) Das Gute an dieser Taktik – die Sache erledigt sich dann irgendwann von selber.“

Katastrophale Entwicklung

Es ist der letzte, holprige Satz, der einen aufhorchen läßt, er besagt nämlich durch die Blume, daß die Guten in Zukunft noch dümmer, dreister und brutaler auftreten müssen als das „Pack“, dem Frau Berg diese Eigenschaften andichten will – eine Verschärfung der Gangart wird also gefordert und ausgerechnet Random House geht mit schlechtem Beispiel voran. Eine aus meiner Sicht katastrophale Entwicklung, die niemand bei euch, nicht einmal euer Berufs-Sykophant Herr Dresen für gut heißen kann. Ich würde mich wirklich freuen, wenn ihr ein Einsehen habt und von der Existenzvernichtung eines großen Provokateurs absehen würdet.

Zeigt einfach mal Größe! Fragt euch, was hätte Jesus an eurer Stelle getan. Und erinnert euch auch an den großen Schlingensief, der 1997 mit seiner Parole „Tötet Helmut Kohl!“ bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Wie kann es sein, daß ihr guten und edlen Menschen dem einen Provokateur alles durchgehen laßt und dem anderen für weit weniger den Garaus machen wollt? Was ist hier mit der von euch unermüdlich geforderten Gleichheit für alle?

Beste Grüße

Thor Kunkel

PS: Englische und französische Übersetzungen von Akifs Romanen lassen sich übrigens problemlos im Ausland bestellen. Das dürfte die Deutschen, die kürzlich von einem arroganten CDU-Politiker zur Auswanderung aufgefordert wurden, sicherlich freuen.

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Thor Kunkel ist Schriftsteller („Endstufe“, „Schaumschwester“) und lebt in der Schweiz.

Der Schriftsteller Thor Kunkel protestiert gegen den Boykott von Akif Pirinçcis Büchern Foto: picture alliance/Klaus Ohlenschläger
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