Als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat die Bundesregierung die staatliche Entwicklungshilfe für das Land ausgesetzt. Für das laufende Jahre waren ursprünglich 250 Millionen Euro vorgesehen. Während sich der Westen aus Afghanistan zurückzieht, versucht eine neue Macht, ihr Einflußgebiet auszuweiten: China. Über Sinn und Unsinn der Entwicklungshilfe, mögliche regionale Lösungen für Flüchtlingsströme und wie der Westen auf den chinesischen Einfluß reagieren sollte, haben wir mit dem entwicklungspolitischen Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Markus Frohnmaier gesprochen.
Die Bundesregierung hat nach der Machtübernahme der Taliban die Entwicklungshilfe für Afghanistan ausgesetzt. Eine richtige Entscheidung?
Frohnmaier: Die Entscheidung ist richtig. Bereits die Entwicklungshilfe, die zuvor nach Afghanistan floß, war mehr als fragwürdig. Gebäude, die von deutscher Entwicklungshilfe gebaut wurden, hatten die Taliban schon vor ihrer Machtergreifung zu Koranschulen und in einem dokumentierten Fall zu einer Kaserne für Gotteskrieger umfunktioniert. Solange dort ein Terror-Regime an der Macht ist, darf die Bundesregierung dieses nicht durch Entwicklungshilfe sponsern.
Was hat die Entwicklungsarbeit in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan überhaupt gebracht?
Frohnmaier: Wenn man es vom Ergebnis her betrachtet: Gar nichts, weil die Taliban jetzt die Früchte ernten. Zwischenzeitlich gab es sicherlich eine marginale Verbesserung der Lebensbedingungen in den Großstädten. Aber es wurde auch viel Geld für Kokolores ausgegeben.
Zum Beispiel?
Frohnmaier: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die für den deutschen Staat Entwicklungsprojekte durchführt, hat auch in Afghanistan absurde Gender-Projekte finanziert. Und die Bundesregierung hatte mit dem Programm „Perspektive Heimat“ ein sogenanntes Migrationsberatungszentrum in Afghanistan eingerichtet. Dort konnten sich Einheimische dann über legale Migrationswege nach Deutschland informieren.
Wie läuft die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Nachbarländern wie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan?
Frohnmaier: Die Bundesregierung läßt die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Turkmenistan und Tadschikistan auslaufen. Lediglich Usbekistan ist noch Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. In der langen Reihe von Fehlern der Bundesregierung kommt dieser hinzu: Daß wir uns durch die Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit mit einem Großteil der zentralasiatischen Staaten so gut wie aller Einflußmöglichkeiten und Druckmittel beraubt haben. Das rächt sich nun, wenn es darum geht, Migrationsströme zu bremsen. Übrigens hatte ich für meine Fraktion bereits Anfang 2020 gefordert, mit den zentralasiatischen Staaten enger zusammen zu arbeiten.
„Nur von Macron hört man derzeit, daß Migrationsvermeidung das Gebot der Stunde ist“
Viele Afghanen wollen das Land nun verlassen. Glaubt man Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), könnten es mehrere Millionen sein, die an die Pforten Europas klopfen werden. Gäbe es in den erwähnten Nachbarländern Alternativen zum Beispiel für Aufnahmelager vor Ort? Und würden diese Länder einem solchen Vorhaben mit Unterstützung der EU überhaupt zustimmen?
Frohnmaier: Die Möglichkeit einer Flüchtlingsaufnahme in diesen Ländern besteht auf jeden Fall. Staaten wie Tadschikistan zum Beispiel sind politisch relativ stabil und würden auch Sicherheit bieten. Die tadschikische Regierung geht beispielsweise resolut gegen Islamismus vor, davon konnte ich mich bei einer Auslandsreise in Duschanbe selbst überzeugen. Aber das werden die Regierungen vor Ort natürlich nur machen, wenn wir das jetzt politisch wie finanziell forcieren. Bei der Inkompetenz unserer Bundesregierung habe ich wenig Hoffnung. Lediglich vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron hört man ja derzeit, daß Migrationsvermeidung das Gebot der Stunde ist.
Auch Österreichs Regierung will sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, Abschiebezentren im afghanischen Umland einzurichten, sodaß EU-Staaten weiterhin Afghanen abschieben können.
Frohnmaier: Genau, wenn die Bundesregierung im Interesse des deutschen Volkes handeln will, sollte sie sich diesem Vorstoß anschließen.
Für die heimatnahe Unterbringung von Flüchtlingen spricht auch die ethnische Zusammensetzung der Afghanen.
Frohnmaier: Ja, rund 27 Prozent der Menschen in Afghanistan sind Tadschiken und Perser. Neun Prozent sind Usbeken. Gerade für die Ortskräfte wäre eine Unterbringung in den erwähnten Nachbarländern sinnvoller. Außerdem: Deutschland ist in mehr als 40 Ländern aktiv, hat dort bilaterale Partnerschaften. Darunter gibt es sehr viele fragile Staatsgebilde. Und wir können nicht jedesmal, wenn es zu einem Regimechange kommt, dortige sogenannte Locals und ihre Angehörigen nach Deutschland ausfliegen. Das wäre unbillig. Im Fall Afghanistan bietet sich die tausende Kilometer lange offene Landgrenze zu Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan an, diese Menschen dort unterzubringen, und daß die Länder dort eventuell mit unserer Unterstützung Verantwortung übernehmen.
Ein anderes Nachbarland Afghanistans ist China. Fan Hongda von der Shanghaier Universität für internationale Studien mahnte vor einigen Tagen: „Als Nachbarland und wichtiges Land in der Welt muß China Afghanistan helfen, Stabilität und Frieden herzustellen – schon wegen unserer eigenen nationalen Sicherheitsinteressen.“ Wird China, das gute Beziehungen zu den Taliban pflegt, nun verstärkt in Afghanistan aktiv werden, etwa in Form von Entwicklungshilfe und wirtschaftlicher Zusammenarbeit?
Frohnmaier: Definitiv. Die Taliban sind für die Chinesen weniger ein Problem, weil es sich um Islamisten handelt. Das Problematische an den Taliban als islamistische Gruppierung war immer, daß sie anderen Terrorgruppen Unterschlupf geboten hat, die ihr Tätigkeitsfeld außerhalb Afghanistans sehen. Die Chinesen haben daher ein vitales Interesse daran, daß in Afghanistan keine islamistischen Gruppierungen seßhaft werden, die beispielsweise auf die Idee kämen, Konzentrationslager für Uiguren im benachbarten Xinjiang zu befreien. Dafür wird Peking gerne das Scheckbuch zücken. Und sich natürlich obendrein Einfluß, Rohstoffe und Zugang zum afghanischen Markt sichern.
„Strikte Ausrichtung der eigenen Politik anhand wirtschaftlicher Interessen“
Wie sollte der Westen darauf reagieren?
Frohnmaier: Der Westen muß sich außen- wie entwicklungspolitisch komplett neu sortieren, wenn er nicht konkurrenzmäßig ausgestochen werden will. Das heißt konkret: Keine militärischen Interventionen in fremden Räumen, stattdessen strikte Ausrichtung der eigenen Entwicklungs- und Außenhandelspolitik anhand wirtschaftlicher Interessen. China hat halb Afrika aufgekauft, ohne einen einzigen Soldaten geopfert zu haben, der Westen zieht sich jetzt geschlagen aus Afghanistan zurück, nachdem er tausende Menschenleben und astronomische Milliardenbeträge verschleudert hat. Es braucht eine Rückkehr zum Realismus, bei der nationale Interessen Richtschnur sind, und nicht die Frage, ob in Kabul die Regenbogenflagge wehen darf.
Welche Rolle spielt Rußland dabei?
Frohnmaier: Rußland hat aus den Fehlern der Vergangenheit, namentlich aus der mißglückten Einmischung der Sowjetunion in Afghanistan, gelernt. Die Russen nehmen die reale Gefahr des Terrors, die von einer Machtergreifung der Taliban ausgeht, ernst, suchen aber gleichzeitig nach realpolitischen Wegen, diese Gefahr zu reduzieren. Russische Vertreter haben beispielsweise erst am Dienstag gegenüber den Taliban durchgesetzt, daß die russische Botschaft in Kabul weiter operieren kann. Sobald sich eine neue Regierung in Kabul konstituiert hat, sollten wir auch prüfen, ob und wie sich wieder eine diplomatische Vertretung in Afghanistan einrichten läßt, um unsere Interessen vor Ort zu wahren.
Welche Interessen sind das in Afghanistan oder in der Region nördlich davon, wo auch die chinesische neue Seidenstraße verläuft?
Frohnmaier: Ich würde drei wichtige deutsche Interessenfelder identifizieren: Migrationsvermeidung, Terrorismusbekämpfung und Wirtschaft. Wenn wir nicht wollen, daß Menschen sich in Bewegung setzen und das ganze Land zu einem Ausbildungslager für Terroristen wird, müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden diplomatischen Hebel betätigen. Das wird wahrscheinlich früher als später vor allem die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der Taliban-Regierung sein. Diese sollten wir weniger von der Menschenrechtslage abhängig machen und mehr davon, ob die dortige Regierung bereit ist, uns bestimmte migrations- und sicherheitspolitische Garantien zu geben.
Eine weitere akute Frage wird sein, ob wir eine wirtschaftliche Vasallisierung Afghanistans durch China zulassen sollten. Wenn wir das nicht wollen, werden wir nicht vermeiden können, uns auch hier über entsprechende Abkommen Zugang zum Markt und den dortigen Bodenschätzen zu sichern. Was übrigens auch im Interesse des afghanischen Volkes wäre, weil China sich anders als Deutschland herzlich wenig für Arbeitsbedingungen und soziale Standards in seinen Satellitenstaaten interessiert.
„Wir sollten uns nicht einseitig auf die USA als Partner festlegen“
Können die USA für Deutschland entwicklungspolitich ein verläßlicher Partner sein, wenn man auf den schnellen und ungeordnet wirkenden Abzug in Afghanistan blickt, oder sollte sich Deutschland neue Partner suchen?
Frohnmaier: Hier muß man differenzieren. Die Entscheidung, sich aus Afghanistan zurückziehen, war absolut richtig. Diese ist ja auch bereits getroffen worden, als Donald Trump noch US-Präsident war. Aber die Umsetzung des Rückzugs war auf operativer Ebene eine Katastrophe und wirft kein gutes Licht auf US-Präsident Joe Biden. Seine Administration hat ja im Wesentlichen die Strategie verfolgt: Erst ziehen wir die Truppen ab, dann verbrennen wir sensible Dokumente, dann schließen wir die Botschaft und am Ende holen wir unsere eigenen Staatsbürger raus.
Ich behaupte, daß die umgekehrte Reihenfolge die richtige gewesen wäre. Insofern glaube ich grundsätzlich schon, daß man mit den USA partnerschaftlich zusammenarbeiten kann, insbesondere wenn sie ihre Interventionspolitik überdenken. Die Amerikaner haben auch geholfen, unsere Staatsangehörigen auszufliegen, als unsere eigene Regierung damit überfordert war. Beim derzeit amtierenden US-Präsidenten wird man aber wohl häufiger mit Aussetzern rechnen müssen. Allein deshalb sollten wir uns nicht einseitig nur auf die USA als Partner festlegen.