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Interview: „Die Polizei befindet sich mittlerweile im Wachkoma“

Interview: „Die Polizei befindet sich mittlerweile im Wachkoma“

Interview: „Die Polizei befindet sich mittlerweile im Wachkoma“

Jan Timke
Jan Timke
Jan Timke Foto: BiW
Interview
 

„Die Polizei befindet sich mittlerweile im Wachkoma“

Nach den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg ist die Angst vor weiterer Gewalt groß. Die JUNGE FREIHEIT hat mit dem Polizeiexperten Jan Timke über die Überlastung der Sicherheitsbehörden, die mangelhafte Überprüfung von Asylbewerbern und das Versagen der Politik gesprochen.
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Nach den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg ist die Angst vor weiterer Gewalt groß. Die JUNGE FREIHEIT hat mit dem Polizeiexperten Jan Timke über die Überlastung der Sicherheitsbehörden, die mangelhafte Überprüfung von Asylbewerbern und das Versagen der Politik gesprochen.

Herr Timke, die Terroranschläge von Ansbach und Würzburg schockieren Deutschland. Müssen wir uns an den Terror gewöhnen?

Timke: Ja, das steht leider zu befürchten. Gerade erst hat die Polizeibehörde Europol gewarnt, daß es in Europa mittlerweile mehrere hundert radikale Islamisten gebe, die bereit sein, Terroranschläge zu verüben. Deutschland steht neben Frankreich im Fokus der Extremisten, was durch die schrecklichen Anschläge der jüngsten Zeit auch der breiten Öffentlichkeit bewußt geworden ist. Die dürften aber erst der Anfang gewesen sein. Es ist leider mit weiteren Terrorakten in Deutschland zu rechnen.

Kann die Polizei uns noch schützen?

Timke: Seit dem Jahr 2000 sind deutschlandweit 16.000 Stellen sind bei der Polizei abgebaut worden. Diese Größenordnung entspricht der Personalstärke der Berliner Polizei. Ein derart dramatischer Aderlaß hat natürlich Folgen für die tägliche Arbeit der Polizei. In vielen Deliktbereichen wird Kriminalität nicht mehr bekämpft, sondern nur noch verwaltet. Die Polizei befindet sich mittlerweile im Wachkoma. Vor diesem Hintergrund ist es abwegig anzunehmen, die Polizei könne die Bevölkerung vor zukünftigen Attentaten umfassend schützen.

Warum fällt es den Sicherheitsbehörden so schwer, Islamisten unter den Asylsuchenden auszumachen und festzunehmen?

Timke: Die Asylsuchenden kommen nach wie vor unkontrolliert nach Deutschland. Wegen der Masse an Asylanträgen ist es den Mitarbeitern des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kaum möglich, Herkunft und Identität der Zuwanderer zu überprüfen, zumal über 70 Prozent ohne Personalpapiere einreisen. Trotzdem bleiben die meisten in Deutschland, erhalten vielfach einen Flüchtlingsstatus oder werden zumindest geduldet. In dieser Masse von Zuwanderer islamistische Gefährder zu identifizieren wäre für die Sicherheitsbehörden nur mit erheblichem Personaleinsatz möglich. An diesem Personal fehlt es aber.

Hinzu kommt, daß sich viele der Täter erst in Deutschland häufig über das Internet radikalisieren, und ihre Aktionen in kurzer Zeit vorbereiten und durchführen. Bis vor einigen Jahren war das noch anders. Früher haben sich Terroristen in Gruppen zusammengeschlossen und ihre Anschläge monatelang minutiös geplant, um eine möglichst große Wirkung mit internationaler Beachtung zu erzielen und in die Geschichtsbücher einzugehen.

Heute geht die Gefährdung in erster Linie von Einzeltätern aus

Das beste Beispiel ist 9/11. Doch die Extremisten haben gelernt. Man hat erkannt, daß eine lange Vorbereitungen und viele Mitwisser die Gefahr erhöhen, von den Sicherheitsbehörden entdeckt zu werden, bevor der Anschlag ausgeführt werden kann. So wie bei der 2007 verhafteten Sauerland-Gruppe, die in Deutschland Sprengstoffattentate begehen wollte.

Heute geht die Gefährdung in erster Linie von Einzeltätern aus, die in ihrem Umfeld gar nicht als potentielle Attentäter wahrgenommen werden, weil sie sich unauffällig verhalten. Diese Terroristen setzen auch keine Schußwaffen oder Sprengstoff bei der Tatbegehung ein, sondern nutzen Alltagsgegenstände wie Messer, Äxte oder Fahrzeuge, die sie gegen weiche Ziele verwenden. Für die Sicherheitsbehörden ist es faktisch unmöglich, solche Taten zu verhindern.

Warum weist die Bundespolizei an den Grenzen Asylbewerber ohne Papiere nicht einfach ab?

Timke: Zwar läßt es das Asylgesetz grundsätzlich zu, Asylsuchende, die ohne Papiere und damit illegal in die Bundesrepublik einreisen wollen, an der Grenze zurückzuweisen. Allerdings ist diese Regelung nach herrschender juristischer Meinung nicht mehr anwendbar, weil die nationalen Vorschriften durch europäisches Recht und hier insbesondere die Dublin-Verordnung überlagert werden. Danach sind Flüchtlinge in den EU-Mitgliedsstaat zurückzuführen, der für die Bearbeitung des Asylantrags nach den Vorschriften der Dublin VO zuständig ist. Und das sind im Regelfall nicht unsere Nachbarländer, sondern die Staaten, in denen der illegal eingereiste Ausländer erstmals den Boden den Schengenraums betreten hat, also vor allem Griechenland, Italien und Spanien.

Was wir brauchen sind Aufnahmezentren an den Außengrenzen der EU z.B. in ausgewählten Staaten Nordafrikas auf Basis vertraglicher Vereinbarungen mit den Regierungen dieser Länder. Die Aufnahmezentren werden von der EU finanziert und ggf. in Kooperation mit der UNO überwacht, um menschenwürdige Bedingungen sicherzustellen.

„Menschenleben retten“

Die Einrichtungen sollen als verbindliche Anlaufstelle für alle Zuwanderer fungieren, die aus Drittstaaten in die EU einreisen wollen und über kein Visum verfügen. Asylanträge können ausschließlich in diesen Zentren gestellt werden. Wer es dennoch tut, wird sofort in eines der Aufnahmezentren verbracht. Damit entfiele jeder Anreiz, sich auf die gefährliche Reise nach Europa zu machen. Dieses Modell würde nicht nur die Schlepperbanden arbeitslos machen, sondern auch unzählige Menschenleben retten.

Tatsächlich schutzbedürftige Menschen, deren Herkunft eindeutig geklärt werden konnte, werden aus den Aufnahmezentren auf sicherem Weg in die EU verbracht und dort nach einem bestimmten Schlüssel auf die Mitgliedsstaaten verteilt . Alle anderen sind in ihre Herkunftsländer zurückzuführen oder haben in den Zentren zu verbleiben.

Wenig zielführend ist dagegen der Vorschlag, daß Asylanträge zukünftig nur noch bei den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in aller Welt gestellt werden dürfen. Das würde die Zahl der Zuwanderungswilligen vervielfachen, weil sich niemand mehr auf die lange und kostspielige Reise nach Europa machen müßte, um Asyl begehren zu können.

Nach dem Zug-Attentat in Würzburg hat sich die sich die Eisenbahngewerkschaft dafür ausgesprochen sogenannte „Train Marshalls“ einzusetzen. Also bewaffnete Zivilpolizisten, die Attentate in Zügen verhindern sollen. Was halten Sie davon?

Timke: Dieses Modell wird im Luftverkehr schon seit längerem praktiziert. Dort werden auf bestimmten Linien Flugsicherheitsbegleiter der Bundespolizei, so genannte „Sky Marshalls“, eingesetzt, die im Ernstfall das Leben von Crew und Passagieren schützen. Ob dieses Konzept allerdings auf den Bahnverkehr übertragbar ist und zu mehr Sicherheit beitragen würde, wage ich zu bezweifeln.

Bei etwa 32.000 Personenzügen, die täglich durch Deutschland fahren, könnte nur ein Bruchteil der Züge von „Train Marshalls“ begleitet werden. Außerdem gibt es schon jetzt eine Sicherheitskooperation zwischen den Polizeibehörden von Bund und Ländern und der Deutschen Bahn, die dazu geführt hat, daß deutlich mehr uniformierte Sicherheitskräfte auf Bahnhöfen und in Zügen unterwegs sind als das früher der Fall war.

„Keine populistischen Schnellschüsse“

Die Selbstmordattentäter von Ansbach war abgelehnter Asylbewerber. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert nun die Wiedereinführung der „Abschiebehaft“. Sollten abgelehnte Asylbewerber, die nicht ausreisen, grundsätzlich hinter Schloß und Riegel?

Timke: Die Abschiebehaft ist zweifellos ein probates Mittel, um abgelehnte Asylbewerber bis zu ihrer Ausreise in staatliche Obhut zu nehmen. Abschiebehaft sollte grundsätzlich für ausreisepflichtige Personen angeordnet werden, die bereits straffällig geworden sind oder im Verdacht stehen, extremistische Gefährder zu sein. Durch die Abschiebehaft könnte auch verhindert werden, dass abgelehnte Asylbewerber in die Illegalität abtauchen, bevor sie außer Landes gebracht werden können.

Aus der Union werden Stimmen laut, alle Asylbewerber von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz in persönlichen Gesprächen durchleuchten zu lassen.

Timke: Forderungen dieser Art sind populistische Schnellschüsse aus den Reihen einer Partei, die seit Jahren den deutschen Innenminister stellt und durch falsche Prioritätensetzung und krassen Fehlentscheidungen maßgeblich zur derzeit schwierigen Sicherheitslage in Deutschland beigetragen hat! Fakt ist: Niemand kann in die Köpfe von Terroristen schauen, die sich auf persönliche Gespräche mit Vertretern von Sicherheitsdiensten natürlich vorbereiten und sie täuschen können. Außerdem fehlt auch für diese Maßnahme schlicht das erforderliche Personal.

Anstatt den Menschen mit solchen Vorschlägen Sand in die Augen zu streuen, müssen in Deutschland endlich konsequente Maßnahmen ergriffen werden, um der wachsenden Terrorgefahr zu begegnen. Zurzeit gehen die Sicherheitsbehörden deutschlandweit von etwa 1.100 potentiellen islamischen Terroristen aus, darunter auch ehemalige IS-Kämpfer, die aus dem Nahen Osten zurückgekehrt sind. Hinzu kommen ca. 9.000 Salafisten. Die Angehörigen dieses Personenkreises müssen – wenn immer rechtlich möglich – aus Deutschland abgeschoben werden. Die Botschaft muß klar formuliert sein: Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung unterwandern oder den Terror nach Deutschland bringen will, hat bei uns nichts zu suchen!


Jan Timke ist für die Bürger in Wut (BIW) seit 2008 Landtagsabgeordneter in Bremen. Zuvor arbeitete er als Polizeibeamter im BKA und bei der Bundespolizei.

Jan Timke Foto: BiW
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