Die Jugend Mannheims kann sich glücklich schätzen: Immerhin stellt ihr die Stadt mit dem Jugendkulturzentrum „Forum“ einen Ort zur Verfügung, „an dem allgemein- und persönlichkeitsbildende Erfahrungen durch kulturelles Schaffen möglich sind“. Und Kultur, so weiß man beim Forum, ist „ein entscheidender Faktor für die Persönlichkeitsbildung im Sinne eines ganzheitlichen Menschenbildes“. Die Jugendarbeit des Forums orientiert sich laut einem Konzept aus dem Jahr 2006 an sechs Grundprinzipien: „Demokratie leben, Antifaschismus, Toleranz gegenüber dem Anderssein, Antisexismus, Interkulturalität/Migration und Antirassimus“.
Nun wurde das Konzept offenbar noch um ein weiteres Prinzip erweitert: Anarchismus. Denn am zweiten Aprilwochenende fand in den Räumen des Forums die „1. Anarchistische Buchmesse“ Süddeutschlands statt. Neben Vorträgen wie „Anarchie und Sex“ oder Lesungen aus dem „Frauenkommunebuch“ über den „Alltag zwischen Patriarchat und Utopie“ konnte der Besucher dabei auch sein kapitalistisches Zahlungsmittel gegen geistreiche Kost eintauschen: Ob Anarcho-Blätter wie Graswurzelrevolution, das marxistische Theorieorgan analyse & kritik oder die Antifa-Magazine Der Rechte Rand und Antifaschistisches Info-Blatt. Im Angebot fand sich für jeden etwas.
Selbst für die Anhänger des gewaltbereiten linksextremen Spektrums war gesorgt. Sie konnten sich beispielsweise an der Bauwas! erfreuen, einer knapp 70seitigen Schrift der militanten Szene. Diese enthält eine detaillierte deutschlandweite Chronik linksextremistischer Anschläge aus dem Jahr 2009 sowie teilweise die dazugehörenden Bekennerschreiben. Die Verantwortlichen der Bauwas! machen aus ihrer Absicht keinen Hehl: Die in der Auflistung aufgeführten Brandanschläge, Überfälle, Farb- und Steinattacken sollten als „Denkanstöße“ verstanden werden, um auch die Zukunft „militant zu begehen…“
Im Rathaus wußte man von nichts
Da trifft es sich gut, daß am Nachbarstand gleich das passende Informationsmaterial der linksextremistischen Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe“ ausliegt. Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, daß der ein oder andere, inspiriert durch solcherlei Anregungen, die Grenzen des Gesetzes auslotet.
Um so weniger verwundert es, daß sich auch der Verfassungsschutz Baden-Württemberg für das Geschehen in dem Jugendzentrum interessiert: Die Buchmesse sei „eine von Linksextremisten beeinflußte Veranstaltung“, teilt die Behörde auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Verantwortlich sei unter anderem „die dem autonomen Spektrum zuzurechnende ‘Anarchistische Gruppe Mannheim’“, die als Teil des „Forums deutschsprachiger AnarchistInnen und Anarchisten“ eine „herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Grenzen, Klassen und Staaten“ anstrebe.
Im Mannheimer Rathaus zeigt man sich über den Vorgang überrascht, verweist aber darauf, daß für das inhaltliche Programm des Forums der Stadtjugendring als Träger zuständig sei. Die Stadt selbst stelle nur die Räume mietkostenfrei zur Verfügung und zahle dem Stadtjugendring einen jährlichen Betrag für die Betreuung des Jugendzentrums.
Dieser beläuft sich auf 280.745 Euro. Laut dem Stadtjugendring würden damit unter anderem die Personalkosten für „3,7 Stellen Pädagogische Fachkräfte“ und „Sachausgaben“ gedeckt. Für die Raumvergabe sei allerdings „das pädagogische Team“ des Forums verantwortlich.
„Wir wollten da nicht zensieren“
Dort wiederum ist man sich keiner Schuld bewußt: „Natürlich habe ich gewußt, um was für eine Veranstaltung es sich bei der Buchmesse handelt und wer die ‘Anarchistische Gruppe Mannheim’ ist“, sagt Karlheinz Paskuda, zuständig für die politische Bildungsarbeit im Forum. Auch daß die Gruppierung vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird, sei ihm bekannt gewesen. „Das ist für uns aber kein Grund, diese zu diskriminieren.“
Gleiches gelte auch für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), einem „Kooperationspartner“ des Jugendzentrums, der vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflußte“ Organisation eingestuft wird. „Wir engagieren uns in der Antirassismusarbeit und deshalb arbeiten wir selbstverständlich auch mit der VVN zusammen.“ Die Einschätzung des Verfassungsschutzes dagegen sei ein Skandal.
Und auch für das freizügige Literatur-angebot, das während der Buchmesse in dem Jugendzentrum offeriert wurde, hat Paskuda eine Erklärung: „Wir wollten da nicht zensieren.“ Sollte allerdings etwas Verbotenes darunter gewesen sein, so wäre das nicht in Ordnung. „Nur dafür sind dann nicht wir, sondern der Veranstalter verantwortlich.“
JF 17/11