Seit Monaten schon reißen die Diskussionen um die künftige Einstufung der AfD durch den Verfassungschutz nicht ab. Für die Partei steht dabei einiges auf dem Spiel. Welche konkreten Auswirkungen das über der Partei schwebende Damoklesschwert des „Verdachtfalls“ haben kann, beweist nicht zuletzt auch ein Fall aus Berlin, über den zuerst der Tagesspiegel berichtet hatte.
Die Geschichte beginnt harmlos: Marc B. fängt 2015 sein Studium für den gehobenen Polizeidienst an, das er drei Jahre später erfolgreich abschließt. Anschließend nimmt der junge Berliner seine Arbeit als Polizeikommissar im Bezirk Spandau auf – zunächst als Beamter auf Probe, die Probezeit läuft bis 2021. Nebenbei engagiert sich B. im Berliner Landesverband der Jungen Alternative (JA). Der Polizist kandidiert schließlich für das Amt des stellvertretenden Schatzmeisters und gewinnt die Wahl. Durch die mediale Berichterstattung erhält spätestens jetzt auch die Polizeiführung Kenntnis über sein politisches Engagement – das ihm nun zum Verhängnis werden könnte.
„Ich habe keine Kontakte zu Rechtsextremisten“
Mitte Januar 2019 trifft den Parteinachwuchs der AfD eine Hiobsbotschaft: Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die JA als Verdachtsfall ein. Demnach gebe es bei der Teilorganisation der AfD „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“.
Ob gerechtfertigt oder nicht – als im öffentlichen Dienst Tätiger ahnt B., was folgen könnte. Er reagiert umgehend: „Ich habe mein Amt am 16. Januar, also unmittelbar nach der Einstufung der JA als sogenanntem ‘Verdachtsfall’, mit sofortiger Wirkung niedergelegt und bin aus der JA ausgetreten“, erklärt der 24jährige im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Ich hatte dieses Vorgehen bereits bei meiner Kandidatur angekündigt.“
Dennoch leitet die Berliner Polizei im Frühjahr 2019 ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Offenbar versucht man ihn loszuwerden. Ein halbes Jahr später verbietet ihm sein Arbeitgeber sogar die Ausübung der Dienstgeschäfte. Das Verfahren, zu dem Marc B. aus juristischen Gründen keine näheren Angaben machen möchte, läuft noch immer.
Dabei soll es vor allem um die Amtsausübung bei der JA gehen, die er zu diesem Zeitpunkt bereits beendet hatte. Laut geltendem Beamtenrecht dürfen sich Beamte zwar politisch betätigen. Gemäß „ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes“ müssen sie jedoch maßvoll und zurückhaltend bleiben, wie es im Gesetzestext heißt. Hier liegt nun der Knackpunkt. Hat sich B. maßvoll verhalten?
Bei den Anschuldigungen soll es auch um einen Satz gehen, den der junge Polizist in seiner Bewerbungsrede für das Schatzmeisteramt äußerte. B. appellierte an seine Zuhörer: „Kein Deutscher, der seinen Namen wert ist, kann den Verfall seines Vaterlandes einfach so hinnehmen.“ Der Polizeikommissar bestätigt gegenüber der JF, daß der Satz so gefallen ist. „Dieser Satz ist, obwohl er aus dem Zusammenhang gerissen ist, für mich vollkommen unproblematisch“, meint er.
Verfassungstreuepflicht schließe Kritik nicht aus
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 1980 scheint ihm recht zu geben. Darin heißt es: Die Verfassungstreuepflicht für Beamten schließe nicht aus „Kritik an Erscheinungen des Staates üben zu dürfen und für eine Änderung der bestehenden Verhältnisse eintreten zu können, solange nicht eben dieser Staat und seine verfassungsgemäße Ordnung in Frage gestellt wird“. Gibt es vielleicht weitere, öffentliche Äußerungen von B., die problematisch sein könnten?
Der junge Beamte verneint. Etwaige „Äußerungen und Einträge in sozialen Netzwerken gibt es von mir nicht“, versichert er. „Meiner Einschätzung nach habe ich nicht gegen die mir obliegende Zurückhaltungspflicht sowie das Mäßigungsgebot verstoßen. Ich bekenne mich uneingeschränkt zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und habe dahingehend einen Eid geschworen, welchem ich mich verpflichtet fühle.“
Auch während seines Dienstes habe er sich „immer pflichtgemäß und politisch neutral verhalten“. Mit den Kollegen habe es keinerlei Probleme gegeben. Im Gegenteil: Sein politisches Engagement sei hier „positiv bis neutral“ aufgenommen worden. „Es gab keine Kollegen, die daraufhin nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollten.“
Laut dem Tagesspiegel soll es im Disziplinarverfahren auch um Kontakte in rechtsextremistische Kreise gehen. Gemeint ist die Identitäre Bewegung. Der Verfassungsschutz sehe hier Verbindungen zur JA, was diese wiederum bestreitet. Auf Nachfrage der JF will sich die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, zuständig für den Verfassungsschutz, „nicht öffentlich zur Einschätzung einzelner Gruppierungen, Bündnisse, Initiativen oder sonstiger Organisationen“ äußern. Auch zum Fall B. herrscht „aus rechtlichen Gründen“ Stillschweigen. Marc B. jedenfalls versichert: „Ich habe weder in die rechtsextremistische Szene noch zur Identitären Bewegung Kontakte.“
Wird der Verfassungsschutz instrumentalisiert?
Seine Erlebnisse stuft er als Teil einer generellen Entwicklung ein. „Neben meinem Fall gibt es noch viele weitere. Erst in den letzten Tagen ist mir ein Fall bekanntgeworden, in dem ebenfalls ein Beamter auf Probe aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden soll, weil er sich in der JA engagiert hat. Es gibt dahingehend bundesweit bei verschiedenen Behörden oder auch der Bundeswehr ähnliche Fälle.“
Der Vorsitzende der Berliner JA, Vadim Derksen, pflichtet ihm bei. Das Verfahren gegen B. sei „ein politisch motivierter Versuch, einen jungen und engagierten Polizisten beruflich zu zerstören“, sagt Derksen der JF. Es handele sich womöglich um eine „Blaupause für ganz Deutschland, da ähnliche Maßnahmen gegen AfD- und JA-Mitglieder auch in Thüringen und andernorts bereits angekündigt wurden“. Polizisten würden durch das Druckmittel „Verdachtsfall“ eingeschüchtert werden. „Daß ein Nachrichtendienst eingesetzt wird, um die Opposition im eigenen Land zu gängeln, kennt man eigentlich vor allem aus unfreieren Ländern.“
So oder so: Für die JA, wie auch für die Gesamtpartei, dürfte es künftig immer schwieriger werden, neue Mitglieder aus der Beamtenschaft zu gewinnen. Wer ist schon bereit, womöglich seine berufliche Zukunft und damit seine gesamte Existenz aufs Spiel zu setzen.
„Die Leute machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft“
Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess bemerkt schon länger eine Beunruhigung in Polizeikreisen, die von der Debatte um eine möglicherweise drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz verursacht wird. „Gerade weil wir uns für die Polizisten einsetzen, weil wir die einzige Partei sind, die Rechtsstaatlichkeit hochhält.“ Schließlich wolle die AfD, „daß bei uns Recht und Gesetz gelten und nicht dieser Dauerzustand der Rechtlosigkeit wie zum Beispiel in der Migrationspolitik“, bekräftigt er gegenüber der JF.
„Die Polizeibeamten müssen ja die Folgen dieser desaströsen Politik ausbaden, da ist es klar, daß wir genau dort Sympathiepunkte sammeln.“ Der Verfassungsschutz werde instrumentalisiert, um in der AfD für Verunsicherung vor allem unter Beamten mit ihrer besonderen Treuepflicht zum Staat zu sorgen.
„Ich bekomme laufend Anrufe von Leuten, die sich fragen, ob es in der jetzigen Situation klug und ratsam ist, sich in der AfD zu engagieren oder zu exponieren. Und solche Willkürmaßnahmen wie durch den SPD-geführten Innensenat in Berlin verstärken diese Verunsicherung. Die Leute machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Daß das Engagement in einer demokratisch legitimierten Partei solche inakzeptablen Auswirkungen hat, ist einer Demokratie unwürdig“, bemerkt der Innenpolitikexperte, der selbst als Polizeibeamter in Baden-Württemberg lange auch in der Ausbildung des Nachwuchses tätig war.
JF 4/20