In der Zusammensetzung der klassischen Wahlnachbetrachtungs-Talkshow bei Anne Will zeigte sich erneut die einseitige Einladungspolitik, die die Entscheidungsträger der Öffentlich-Rechtlichen in den Wochen und Monaten vor den Wahlen in immer krasserer und absurderer Form betrieben haben. Man argumentierte in bunter, beliebig austauschbarer, „vielseitiger“ Runde gemeinsam gegen die AfD. Zu den beiden linken Politikern, Manuela Schwesig (SPD) und Robert Habeck (Grüne), und dem nach links zumindest sehr offenen sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU), gesellten sich am Wahlsonntag noch die linken Journalisten Martin Machowecz von der Zeit und die frühere AfD-Expertin des Spiegel, Melanie Amann. Nicht zu vergessen natürlich die Genossin Moderatorin, Anne Will.
So gab es auch mal wieder die für solche Gesprächsrunden allzu typische Klassenkeile gegen Alexander Gauland (AfD), den einzig anwesenden Rechtskonservativen. Zu den erwartbaren Rechtsextremismus-Vorwürfen kam diesmal aber eine neue Variante des Sprechens über und gegen die Alternative für Deutschland. Der zumindest scheinbare Versuch, die Wähler der Partei zu verstehen. Wirklich rationale Gründe, den „Rechtspopulisten“ seine Stimme zu geben, schieden für die linksliberalen Politiker und Journalisten dabei von Anfang an aus.
Tiefenpsychologische Analyse
Über berechtigte Migrationskritik oder dem natürlichen Bedürfnis nach der Bewahrung nationaler und kultureller Identität, wurde als Motiv nicht einmal gesprochen. Stattdessen erging man sich in einer Art tiefenpsychologischen Analyse des AfD-Wählers als unbekanntes Wesen, die schon fast an Pathologisierung grenzte.
Vor allem Zeit-Journalist Machowecz wirkte extrem einfühlsam und verständnisvoll. Er finde es gut , jetzt über die Probleme und Empfindungen der Menschen im Osten zu sprechen. Die Ostdeutschen hätten diese Offenheit über ihr Gefühl des Abgehängtseins zu reden erst einmal lernen müssen, sagte er mit einer Ruhe, als hätte er Sorge, ein scheu gewordenes Tier oder Kind zu verschrecken.
Eher von der politischen Schule der schwarzen Pädagogik kommt dagegen freilich Melanie Amann. Das einzige, was man als AfD-Wähler erreiche, sei eine instabile Regierung, schimpfte die Spiegel-Journalistin, als sei es die Aufgabe der Wähler, den etablierten Parteien ein möglichst bequemes Regieren auf Lebenszeit zu sichern.
Habeck: Haben den öffentlichen Raum gehalten
Manuele Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und kommissarische SPD-Parteivorsitzende, setzt dagegen auf liebevolle Strenge gegenüber dem ostdeutschen Wahlvolk – welche sie gestern auch ausstrahlte und dabei nicht nur optisch wie eine blonde Version von Sahra Wagenknecht wirkte. Die Haare streng nach hinten gebunden, forderte Schwesig: Ostdeutsche Interessen müßten endlich auf Bundesebene ankommen. Zu diesen gehört für die Sozialdemokratin auch eine Grundrente für alle. Ohne Bedürftigkeitsprüfung, weil im Osten in der Regel beide Ehepartner gearbeitet hätten.
Moderatorin Will wies immer wieder darauf hin, daß sich die Menschen in Ostdeutschland als Bürger zweiter Klasse fühlten und fragte Gauland, ob die AfD nicht doch ihren Zenit überschritten habe. Immerhin hätte sie das angestrebte Ziel, stärkste Partei zu werden, doch in beiden Bundesländern verfehlt. Gauland sieht den Grund dafür in den relativ starken Ministerpräsidenten in Brandenburg und Sachsen. Die AfD habe überall dort Probleme gehabt, wo die CDU noch konservative Politik mache.
Auch die massive Kampagne gegen die AfD im Vorfeld der Landtagswahlen habe Wirkung gezeigt. Diese Querfront der „Demokraten“ lobte Habeck hingegen als „fantastischen Wahlkampf“, in dem, durch Gegenveranstaltungen zur AfD der „öffentliche Räume gehalten worden“ sei.
Haseloff nennt Kritik der WerteUnion „widerlich“
Haseloff versuchte, den schwarzen Peter in den Westen zu schieben. So sei die Alternative für Deutschland doch schließlich eine im Westen gegründete Partei, deren Führungsspitze auf Bundesebene von Westdeutschen besetzt sei. Die klare Abgrenzung zur AfD sei die richtige Taktik, sagte der CDU-Politiker, der sich noch in derselben Sendung über die Vorwürfe der WerteUnion empörte, die Grünen seien eine linksradikale Partei, mit der die CDU nicht zusammenarbeiten solle. Kein Wunder. Hat Haseloff seine Partei doch 2016 in die bundesweit erste „Kenia-Koalition“ mit den Grünen und der SPD geführt. Die Kritik an seinem grünen „Partner auf Zeit“ durch die konservative WerteUnion bezeichnete der CDU-Politiker, der die AfD so schrecklich findet, als „widerlich“.
Es wäre interessant gewesen, dieser erkennbaren Verschiebung des Wertefundaments der Union an diesem Abend einmal ausführlicher auf den Grund zu gehen. Aber hierfür hätte es dann tatsächlich einer tieferen analytischen Debatte und vor allem auch zumindest eines konservativen Journalisten oder Kommentatoren in der Runde bedurft. Dazu fehlten Will und ihrer Redaktion aber offenbar der Wille und vermutlich auch das nötige Grundverständnis für jegliches Denken außerhalb des linksgrünen Zeitgeistes. So fiel die Wahldebatte am Abend eben ähnlich flach und einseitig aus wie die meisten Zeitungskommentare am Morgen danach.