Die Feiertagsrede des Bundespräsidenten wurde ob seiner Worte an die aufgebotene Truppe von Jugendlichen mit viel Lob in der „Qualitätspresse“ bedacht. Nur einige Kritikaster nahmen am Stil der Rede Anstoß. Dafür bietet sie in der Tat Stoff genug, mit Sätzen wie folgenden: „Deutsche Einheit ist jeden Tag. Aber – spüren wir sie auch jeden Tag? Wann wird uns im Alltag eigentlich bewußt, daß wir Teil einer Gemeinschaft von 80 Millionen sind?“
Die „Gemeinschaft“ – offenbar Synonym für „Nation“ – wurde mit Mahnungen bedacht. Natürlich ging es um die namentlich nicht erwähnte AfD. Der Bundespräsident sprach von den neuen „Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung oder Wut, die bei manchen so fest geworden sind, daß Argumente nicht mehr durchdringen.“
Ursachen interessieren Steinmeier nicht
Nicht an einer Stelle fragte Frank-Walter Steinmeier, wo die Ursachen für derlei verfestigte Emotionen liegen könnten. Daß die Hauptverantwortliche Angela Merkel störrisch jegliche Verantwortung für das Chaos zurückweist und alles noch mal genauso machen würde, daß die Große Koalition – ohne jegliche Opposition im Parlament – politisch verantwortungslos handelte – solche Worte waren in einer Festrede auch kaum zu erwarten. Gut, mancher mag zufrieden sein, daß wenigstens die Bereicherungsphrase vom Redenschreiber nicht eingebaut wurde.
Sodann: „Wir müssen klar unterscheiden, wer politisch verfolgt ist und wer vor Armut flieht.“ Das hören wir seit über 30 Jahren. Es hat sich außer am Buchstaben, nichts an der Praxis des Mißbrauches von Art. 16 GG geändert. Das Volk hat seit langem den Eindruck, dahinter stecke nicht Schlamperei oder ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für überzählige Rechtsanwälte, sondern System. Und im Gegenzug kündigt der Bundespräsident „legale“ Zuwanderung auf noch neu zu schaffendem Gesetzeswege an. Unsere „Gemeinschaft“ wird mithin künftig noch bunter …
Wider der Realität
Diese Ankündigung erläuterte Steinmeier wie folgt: „Für die Neuen heißt das zunächst mal, unsere Sprache zu lernen. Ohne sie gibt es kein Verstehen und kein Verstanden werden. […] Und schließlich, bei allen Debatten, bei allen Unterschieden – eines ist nicht verhandelbar in dieser deutschen Demokratie: das Bekenntnis zu unserer Geschichte, einer Geschichte, die für nachwachsende Generationen zwar nicht persönliche Schuld, aber bleibende Verantwortung bedeutet. Die Lehren zweier Weltkriege, die Lehren aus dem Holocaust, die Absage an jedes völkische Denken, an Rassismus und Antisemitismus, die Verantwortung für die Sicherheit Israels – all das gehört zum Deutsch-Sein dazu. Und zum Deutsch-Werden gehört, unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen. Das sage ich auch denen, die aus Osteuropa, Afrika oder den muslimisch geprägten Regionen des Mittleren Ostens zu uns gekommen sind. Wer in Deutschland Heimat sucht, kann nicht sagen: ‘Das ist Eure Geschichte, nicht meine’“.
Der Bundespräsident – oder sein Redenschreiber – irrt sich gründlich. Mehr noch, er verschließt die Augen vor der Wirklichkeit: Die Mehrheit der „Neuen“ – nicht anders als die bereits in der dritten Generation „hier lebenden“ Neuen – ist an der deutschen Geschichte kaum interessiert und gewiß nicht bereit, die historische Erblast der Deutschen mitzutragen.