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Naturwissenschaft: Wasserstoff – Teuer und kein Markt vorhanden

Naturwissenschaft: Wasserstoff – Teuer und kein Markt vorhanden

Naturwissenschaft: Wasserstoff – Teuer und kein Markt vorhanden

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) stellt die Pläne für ein deutsches Wasserstoffkernnetz vo
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) stellt die Pläne für ein deutsches Wasserstoffkernnetz vo
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) stellt die Pläne für ein deutsches Wasserstoffkernnetz vor Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Naturwissenschaft
 

Wasserstoff – Teuer und kein Markt vorhanden

Die Industrie sieht die Ampel-Pläne zur Verwendung von Wasserstoff als Energielieferant zunehmend kritisch. Nun wurde auch das Projekt „Westküste 100“ nach nur wenigen Jahren abgebrochen.
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In Hemmingstedt in Holstein wird doch kein grüner Wasserstoff im industriellen Maßstab produziert. Das vom damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gestartete und seinem grünen Nachfolger Robert Habeck noch im September als ein „schlagendes Beispiel“ gelobte Leuchtturm-Projekt „Westküste 100“ wurde nach nur drei Jahren von den beteiligten Firmen Raffinerie Heide, Ørsted und Hynamics gestoppt. Dabei sollte ursprünglich schon in diesem Jahr eine Mischung aus der „Zukunftsenergie“ (Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger/FDP) und synthetischem Gas durch die Leitungen der Stadtwerke fließen und unter dem Motto „Grüner Heizen“ ein Testgebiet in der benachbarten Kreisstadt Heide mit 214 Haushalten versorgen.

Doch aus der 30-Megawatt-Elektrolyseanlage zur Erzeugung von Wasserstoff (H₂) aus einem Wasser mittels Strom aus Sonne und Wind wird nichts – trotz Fördermitteln des Wirtschafts- und Klimaministeriums (BMWK) und des Projektträgers Forschungszentrum Jülich (FZJ), des einstigen Kernforschungszentrums im Kreis Düren (NRW). „Die Bundesregierung hat die Reallabore in Deutschland damit beauftragt, die Machbarkeit der Produktion von grünem Wasserstoff zu untersuchen und Chancen, Hürden und Risiken auszuloten“, erklärte Roland Kühl, Geschäftsführer der Raffinerie Heide. Aber „ein Projekt lebt von der Wirtschaftlichkeit, und die war hier leider nicht gegeben“, kritisierte Jörg Kubitza, Geschäftsführer des dänischen Windkraftkonzerns Ørsted in Deutschland.

Erkenntnisse für Dekarbonisierung und künftige Projekte nutzen

H₂ sei „ein wichtiger Eckpfeiler in der Dekarbonisierung der deutschen Industrie“, dafür „müssen aber die Kosten stimmen und ein Markt geschaffen werden“, findet Kubitza – sprich: Ohne komplette Steuerzahlerhaftung geht es nicht. Und Antoine Aslanidès, Geschäftsführer von Hynamics, einer Tochterfirma des französischen Energiekonzerns EDF, bedankte sich dennoch bei der Bundesregierung: Das Projekt „Westküste 100“ habe es ermöglicht, „wertvolle Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln“. Man werde sich auch weiter für die „Dekarbonisierung“ einsetzen und das erarbeitete Wissen für zukünftige Projekte nutzen.

Nun erfolgt die Abwicklung. Der Verlust für den Steuerzahler soll nur eine Million Euro betragen. Bewilligt waren ursprünglich 36 Millionen Euro. Und zwar noch von Altmaier, der das Vorhaben in sein Programm „Reallabore der Energiewende“ aufgenommen hatte. Die schon im Kreis Dithmarschen verlegten „H₂-ready-Leitungen“ sind nicht nutzlos – die Stadtwerke Heide können sie für Erdgas oder „aufgetautes“ Flüssigerdgas (LNG) aus den USA nutzen. Dabei hatte Andreas Hein, Aufsichtsratschef der Stadtwerke und CDU-Landtagsabgeordneter, auf bunten Flyern versprochen, „grünen Wasserstoff in alle Sektoren zu bringen und auch deren Prozeßwärme zu nutzen“, denn dies bedeute „das Gelingen der Energiewende“ und die „größtmögliche Abkehr von CO₂-Emissionen“.

Die Entscheidung des „Westküste 100“-Konsortiums deckt sich mit der H₂-Stimmungslage. Das zeigt eine aktuelle Studie der deutschen Beratungsfirmen Advyce & Perlitz und PSvdL Consulting über den „Wasserstoffhochlauf“. Dieser scheitere vor allem an den hohen Kosten, fehlenden Finanzierungsmodellen und „ausreichend erneuerbarem Strom“.

Alte Bergwerkstollen

Das zeigten „50 qualitative Interviews mit Experten und Entscheidungsträgern aus acht Branchen der Wasserstoffwertschöpfungskette“. Die deutsche Elektrolysekapazität „auf mindestens zehn Gigawatt (GW; entspricht sieben AKW vom Typ Isar 2) im Jahr 2030 zu steigern, sei „ehrgeizig“. Aber ohne „blaue, türkise und orangene Wasserstoffvarianten“ werde es wohl nicht gehen.

Doch „blaues“ H₂ wird durch Dampfreformierung von Erdgas, Kohle oder Öl erzeugt. Das dabei entstehende CO₂ muß teuer durch Abscheidung und Speicherung (CCS-Technik; JF 44/23) in Tiefenspeicher verpreßt werden. „Türkises“ H₂ wird durch Erdgaspyrolyse gewonnen. Das dabei entstehende feste Kohlenstoffgranulat muß in alten Bergwerksstollen abgelagert werden, damit es nicht abbrennt und so doch wieder CO₂ entsteht.

Wenn die zur Pyrolyse benötigte Energie aus Ökoenergien stammt, gilt türkises H₂ aber als „klimaneutral“. Zukunftsmusik ist „oranges“ H₂: Dazu soll „weißes“ H₂, das durch die natürliche Verwitterung von bestimmten Gesteinen entsteht, künstlich angeregt werden, etwa durch die Verbindung von Eisenoxid (FeO) und Wasser („Orange hydrogen is the new green“, in Nature Geoscience Vol. 15 10/22).

Ein 9.700 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz geplant

Nicht erwähnt wird „gelbes“ H₂. Denn das wird wie das grüne Pendant aus Wasser (H₂O) mittels Elektrolyse hergestellt – allerdings mit Atomstrom. Und daran wird in Frankreich und von EDF – dem „Westküste 100“-Ex-Partner – schon längst gearbeitet. Denn statt AKWs bei geringer Stromnachfrage „runterzuregeln“, könnte mit der überschüssigen Kernernergie „gelbes“ H₂ für die deutsche Energiewende erzeugt werden. Wasserstoff soll schließlich in Deutschland nicht nur Gas, Öl und Kohle als Heizenergie ersetzen. Er soll Schiffe, Züge, Lkws und Flugzeuge antreiben, die Produktion von klimaneutralem Stahl ermöglichen und in „Dunkelflauten“ in Kraftwerken verbrannt werden.

Dazu soll bis 2032 ein 9.700 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz Häfen, Speicher, Kraftwerke und wichtige Industriezentren deutschlandweit miteinander verbinden. Dabei sollen zu etwa 60 Prozent vorhandene Erdgasleitungen genutzt werden. 19,8 Milliarden Euro soll die H₂-Autobahn kosten – formal finanziert von der Privatwirtschaft, verkündete Habeck. Die absehbare „Kostenlücke“ beim „Wasserstoffhochlauf“ soll allerdings ein „Amortisationskonto“ des Bundes füllen.

Das war zumindest das Versprechen am 14. November, zwei Tage vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Finanzpolitik der Ampel-Koalition. Doch das stellt auch die Milliarden für die H₂-Strategie in Frage. In Schleswig-Holstein setzt daher Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) auf das Prinzip Hoffnung. Mit „Westküste 100“ sei lediglich ein „kleinerer Baustein eines Projektes in Heide abgesagt worden“. Das dreimal so große Elektrolyseur-Projekt „Hyscale 100“ mit den Partnern Hynamics/EDF, der Raffinerie Heide und dem Baustoffkonzern Holcim, das sich noch in der Planungsphase befinde, laufe weiter.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) stellt die Pläne für ein deutsches Wasserstoffkernnetz vor Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
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