MÜNCHEN/BERLIN. Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat inhaltlich fragwürdige Passagen einer Broschüre über die russische „Desinformationskampagne Doppelgänger“ zurückgenommen. Auf ein Abmahnschreiben der JUNGEN FREIHEIT von Montag erklärt das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz jetzt in einem Schreiben an die JF: „Da es in der öffentlichen Rezeption der Publikation … teilweise zu inhaltlichen Missverständnissen kam, hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) strukturelle Anpassungen des Berichts vorgenommen.“
Tatsächlich wurde die umstrittene Broschüre geändert und Textpassagen über die russische Propaganda eines „Akteurs“ (Betreibers von Fake-Nachrichtenseiten) zurückgenommen und umgeschrieben. Vorher hatte der Inlandsgeheimdienst den Eindruck erweckt, unter anderem die JUNGE FREIHEIT, die Berliner Zeitung, Tichys Einblick und der Freitag würden russische Narrative verwenden.
JF-Chefredakteur Dieter Stein hatte daraufhin in einem Abmahnschreiben verlangt, daß der Verfassungsschutz den Vorwurf zurücknimmt und eine Unterlassungserklärung abgibt. Noch vor Ablauf der Frist änderte die Behörde die entscheidende Passage und reagierte jetzt auch schriftlich. Hieß es vorher noch, die aufgelisteten Medien würden „russische Narrative“ verbreiten, lautet die entsprechende Kategorie nun: „Webseiten, deren Inhalte der Akteur in Teilen weiterverbreitet hat“.
Kubicki: „Einschätzungen des Verfassungsschutzes nicht sakrosankt“
Kritik an der Behörde kam am Donnerstag erneut auch aus der Politik. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung erklärte der Bundestagsvizepräsident und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki es sei gut und richtig, daß der bayrische Verfassungsschutz seine Einschätzung korrigiert habe. Weiter erklärte Kubicki gegenüber der NZZ: „Diese Korrektur sollte aber auch all jenen zu denken geben, die meinen, die Einschätzungen des Verfassungsschutzes seien per se sakrosankt. Wir müssen weiterhin gut aufpassen, daß Behörden aus politischen Erwägungen das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht einschränken – nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland.“ Der Medienrechtler Joachim Steinhöfel kritisierte auf X, die Fehlleistung des bayerischen Verfassungsschutzes sei „sicherlich eines der eklatantesten Beispiele, wie Staatsorgane versuchen, Medien herabzusetzen.“
Weidel: Verfassungsschutz, der unliebsame Meinungen bekämpft, gehört abgeschafft
AfD-Bundessprecherin Alice Weidel nahm die Affäre auf X zum Anlaß, um den Verfassungsschutz grundsätzlich in Frage zu stellen. Das bayerische Landesamt müsse zurückrudern, nachdem es „mehreren Medien – darunter JUNGE FREIHEIT und Berliner Zeitung – eine nicht vorhandene Russlandnähe unterstellt hatte“, so Weidel. Und schließt: „Ein Verfassungsschutz, der nicht die Verfassung schützt, sondern im Auftrag der Regierung unliebsame Meinungen bekämpft, gehört umgehend abgeschafft.“
Der Missbrauch des Verfassungsschutzes zur Einschränkung der Pressefreiheit nimmt weiter zu: Jetzt musste der VS in #Bayern zurückrudern, nachdem er mehreren Medien – darunter Junge Freiheit und Berliner Zeitung – eine nicht vorhandene Russlandnähe unterstellt hatte. Ein…
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) September 12, 2024
Verfassungsschutz: „Gezielt aus dem Kontext gerissen“
Im Text schreibt der Geheimdienst nun, „daß die betreffenden Inhalte aus Sicht des Akteurs das russische Narrativ unterstützen“. Und weiter: „Hierzu wurden manche der Artikel gezielt aus ihrem Kontext gerissen.“
Der Verfassungsschutz stellt dann richtig: „Das BayLfV unterstellt explizit nicht, daß die Verantwortlichen der hier aufgelisteten Webseiten russische Propaganda verbreiten oder in Kenntnis darüber sind bzw. es gutheißen, daß ihre Inhalte im Rahmen der ‚Doppelgänger‘-Kampagne weiterverbreitet werden. Ferner nimmt das BayLfV keinerlei Wertung der Inhalte der betreffenden Webseiten vor.“
JF-Text hatte nichts mit Rußland zu tun
Anstelle der Domain „jungefreiheit.de“ stellt die Behörde jetzt auch genau den Link zu dem JF-Artikel dar, den der offenbar russische „Akteur“ für seine Kampagne mißbrauchte. Im Falle der JF war das ein Interview mit der hessischen AfD-Politikerin Anna Nguyen. Allerdings hatte dieser Beitrag nicht das Geringste mit dem Ukraine-Krieg, Putin oder Rußland zu tun.
Vielmehr ging es darum, daß die übrigen Parteien der Kandidatin der zweistärksten Partei im Landtag den sonst üblichen Sitz im Präsidium verweigerten. Nur zum Ende des eine ganze Zeitungsseite umfassenden Interviews nahm die vietnamesisch-stämmige Gesprächspartnerin das Wort „Russen“ in den Mund – und zwar als sie berichtete, daß ihr linke politische Gegner übelst sexistisch unterstellten, sie würde gern von Russen vergewaltigt werden. (fh)