BERLIN. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), stößt mit seiner Kritik am Wahlverhalten vieler Ostdeutscher weiter auf Widerspruch. „Was Herr Wanderwitz sagt und gesagt hat, ist undurchdacht und völlig widersprüchlich“, sagte die frühere Fraktionschefin der Grünen im sächsischen Landtag, Antje Hermenau, der JUNGEN FREIHEIT.
„Eine CDU, die von sich selbst behauptet, eine Volkspartei zu sein und dann einen nicht unbeachtlichen Teil der Wähler im Osten aufgibt, das paßt nicht zusammen. Entweder man will Volkspartei sein und möglichst viele Wählerschichten für sich gewinnen und repräsentieren, oder man verzichtet auf bis zu 25 Prozent der Stimmen. Dann ist man aber auch keine Volkspartei.“
Wanderwitz, der auch Bundestags-Spitzenkandidat für die sächsische CDU ist, hatte im FAZ-„Podcast für Deutschland“ bekräftigt, er sehe bei Menschen in Ostdeutschland eine stärkere Neigung zur Wahl rechtsradikaler Parteien als im Westen.
„AfD gerade bei Jungwählern stark“
„Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, daß sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“, ergänzte Wanderwitz. Ein Teil der Bevölkerung habe „gefestigte nicht-demokratische Ansichten“. Nur wenige AfD-Wähler seien „potentiell rückholbar“, man könne darum nur „auf die nächste Generation“ hoffen. Die CDU dürfe sich nicht von der AfD treiben lassen, sondern müsse sich auf den politischen Wettbewerb mit anderen Parteien fokussieren.
Dem hielt Hermenau entgegen, daß auch viele junge und jüngere Wähler der AfD ihre Stimme gäben, die kaum oder gar nicht in der DDR sozialisiert worden seien. „Die AfD ist gerade auch bei Jungwählern stark. Die haben aber keine Diktaturerfahrung, sondern eher eine aktuelle Demokratieerfahrung. Insofern sollte sich die CDU, die immerhin seit mehr als 15 Jahren Regierungsverantwortung trägt, fragen, warum diese Wähler ihr Kreuz nicht bei ihr, sondern bei der AfD machen. Das wäre sinnvoller, als sie zu beschimpfen.“
Daß Wanderwitz ihr Wahlverhalten als unveränderbar einstufe und sie damit abschreibe, könne sie nicht nachvollziehen, erläuterte die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen. „Ich habe als junger Mensch auch gedacht, die DDR bleibt für immer bestehen. Wenn man aber so denkt, dann kann man auch nichts verändern. Und wenn Herr Wanderwitz und die CDU glauben, die Zukunft sei schon festgeschrieben, dann frage ich mich schon, warum sie überhaupt noch einen Gestaltungsanspruch haben und Politik machen.“
Widerspruch aus sächsischer Landesgruppe
Wanderwitz dagegen bekräftigte am Mittwoch seine Haltung. „Ich bin fest davon überzeugt, daß die AfD im Westen mittelfristig unter fünf Prozent fallen wird“, sagte er der Rheinischen Post. „Im Osten ist das völlig ausgeschlossen. Ich beschreibe einen vorhandenen und verfestigten Zustand.“
Wanderwitz beklagte zudem auch eine Zurückhaltung innerhalb seiner Partei, rechtsradikales Wählerpotenzial in Ostdeutschland klar als solches zu benennen. „Offensichtlich sind nicht alle der Meinung, daß man das in der gleichen Klarheit wie ich tun sollte.“ Auf die Frage, warum das nicht jeder seiner Parteikollegen so mache, antworte Wanderwitz: „Na ja, Sie sehen ja, wie unbeliebt man sich damit auch macht.“ Er jedenfalls mache sich „große Sorgen um die Demokratie in den neuen Bundesländern“.
Widerspruch erhielt Wanderwitz aber auch aus der eignen Partei und Landesgruppe im Bundestag. Der sächsische CDU-Abgeordnete Alexander Krauß sagte der JF: „Die Mehrzahl der Ostdeutschen schätzt die Demokratie – vielleicht sind das sogar mehr als in Westdeutschland, weil die Menschen wissen, was eine Diktatur ist.“ Für die Union gehe es auch darum, Wähler von der AfD zurückzugewinnen, betonte Krauß. „Da sich die AfD rechtsradikalisiert hat – gerade im Osten –, kann uns als Union das jetzt leichter gelingen. Viele ehemalige AfD-Wähler wenden sich aufgrund des Rechtsdralls von der AfD ab.“
„Nicht der Wähler ist das Problem“
Auch weitere CDU-Abgeordnete aus den Ost-Verbänden teilen Wanderwitz’ Ansichten nicht, wollen sich aber nicht namentlich nennen lassen. Um so deutlicher wurde die Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke. Wanderwitz’ Aussage sei nicht nur in der Sache falsch, sondern auch gefährlich, sagte sie Tichys Einblick. „Erinnern wir uns an ähnlich absurde Debatten aus der Nachwendezeit, in denen es unter anderem hieß, die Erziehung in DDR-Kindergärten sei verantwortlich für Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Mit solchen Schlußfolgerungen wird die Lebensgeschichte von Generationen entwertet und politische Ränder gestärkt“, warnte Schimke.
„Die friedliche Revolution 1989 hat übrigens gezeigt, daß die Menschen andere Verhältnisse haben wollten, als bisher. Das Demokratieempfinden ist hier sogar besonders stark ausgeprägt, weil die Diktaturerfahrung noch viel lebendiger in den Köpfen ist, als in den alten Ländern.“
Das Problem im Umgang mit der AfD beginne schon mit der Analyse. „Nicht der Wähler ist das Problem, es sind die eigenen Versäumnisse. Anders gesagt: Wähler zu beschimpfen, hat noch nie zum Erfolg geführt.“ Mit einer solchen Steilvorlage für den politischen Wettbewerbe müßten die Wahlkämpfer der CDU nun leider umgehen – besonders in Sachsen-Anhalt. (krk)