Aussichtslos erscheint die Idee des OB-Kandidaten der AfD in Görlitz: Er will den Berzdorfer See, ein geflutetes Tagebauloch, zum „Görlitzer Meer“ umfirmieren. Die alten Bergleute schütteln den Kopf: „Das wollen wir nicht.“ Die städtischen Touristiker winken ab, der Widerstand der Bürger sei zu groß.
Und doch bleibt Sebastian Wippel, ein sportlicher, schlanker Mann von 36 Jahren, Vater dreier Kinder, stur bei seiner Meinung. Was vielleicht auch gut ist: Zu viel Übereinstimmung schadet dem Image, da ist er ein typischer Görlitzer Dickschädel.
In der schlesischen Grenzstadt ringen vier Kandidaten um die Gunst der Bürger. Offizielle Prognosen gibt es keine, aber in den Kneipen und auf der Straße genießt trotz „Görlitzer Meer“ zweifelsfrei einer die meisten Sympathien: Polizeioberkommissar Wippel. Auch weil er als einziger Kandidat jenes einzigartige Görlitzer Idiom spricht, die schlesischen Tradition hochhält und als „einer von uns“ gilt. Damit hat er nicht nur Stallgeruch, sondern verkörpert, wofür einmal Kurt Biedenkopfs Sachsen-Union stand: Heimatliebe, Ehrlichkeit, Fortschritt.
Wippel gilt in der AfD als gemäßigt
Wird Görlitz also am 26. Mai, dem Tag an dem auch die EU-Wahl stattfindet, die erste größere Kommune im Freistaat mit einem AfD-Oberbürgermeister? Die Signale aus seiner Vaterstadt sind Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer schon heute so unangenehm, daß er sich auffallend schmallippig zeigt, wenn er an der Neiße Wahlkampf für den CDU-Kandidaten macht: Die Görlitzer müßten sich entscheiden, sagt er und schweigt.
Entscheiden müssen sie sich zweimal: Im Mai bei der OB- und Europawahl und am 1. September, wenn bei der Landtagswahl Kretschmer selbst als Direktkandidat für den Wahlkreis antritt. So bleibt vorerst die Frage Tabu, ob die Stadt unter Quarantäne gestellt wird, sollte tatsächlich Wippel und ein starker AfD-Rat ins Rathaus einziehen.
Wippel gilt in der AfD als gemäßigt. Der Diplom-Verwaltungswirt ist vor sieben Jahren als Kommissar in seine Heimatstadt zurückgekehrt, die er nach dem Abitur verlassen hatte. Hier wechselte er von der FDP, für die er sich kommunalpolitisch engagierte, in die im Aufbau befindliche AfD, wurde 2014 in den Kreistag gewählt und zog über die Liste in den Landtag ein. Seit dem traktiert er die Regierung mit Anfragen zur Sicherheitslage.
Thema Grenzkriminalität
Das wird er wohl auch in Görlitz, eine Hochburg der Grenzkriminalität, tun. Da ein Bürgermeister nicht die Grenze schließen kann, setzt er auf die polnische und tschechische Polizei. Ohnehin ist es abschreckender, wenn Kriminelle bei den Nachbarn ins Kittchen kommen.
Bisher haben seine Gegner, neben der AfD-Mitgliedschaft, nur einen Vorwurf gegen Wippel parat: Wie die grüne Kandidatin hat er einen guten Listenplatz. Klappt es mit der OB-Wahl nicht, bleibt er im Landtag.
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> Eine Reportage aus dem Wahlkampf erscheint am 10. Mai in der Ausgabe 20/19 der JUNGEN FREIHEIT.