In dieser Woche stand Frutti di Mare auf dem Speiseplan der Besetzer der Gerhart-Hauptmann-Schule. Die etwa 40 Männer hatten ihre deutschen Unterstützer am Montag um Knoblauch, Trockenfisch, Bananen, Avocados und Mangos gebeten. Zu diesem Zeitpunkt harrten sie bereits eine Woche in der leerstehenden Schule aus.
Die Lage rund um das besetzte Gebäude mitten im Berliner Stadtteil Kreuzberg war zu Beginn der Woche surreal, unwirklich. Der gesamte Häuserblock war abgeriegelt. Starke Polizeipräsenz, absolut ungewöhnlich für diese Gegend. Bis zu 1.720 Polizisten waren während des Auszugs der Masse der Bewohner vor einer Woche anwesend. Hunderte waren in mehreren Schichten täglich im Einsatz. Mehrfach wurde die Polizei von der linksextremen Sympathisantenszene attackiert, aber der ganz große Straßenkrieg bleib aus.
Riesiges Polizeiaufgebot
Journalisten durften zeitweise nicht durch. Anwohner mußten ihren Personalausweis vorzeigen, wenn sie heimkamen, Firmen Kunden am Gitter abholen. Die Polizei führte Einwohnerlisten. „Die Ladenbesitzer kotzen in Strahlen“, schimpfte der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses. Mehrere Läden haben zugemacht oder waren kurz davor, weil ihre Umsätze auf Null gesunken waren.
Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte für diesen Großeinsatz Beamte aus mehreren Bundesländern angefordert. Polizisten aus Thüringen erschienen mit Maschinenpistolen. Die angesichts der Geschichte der Straßenkämpfe in Kreuzberg nicht ungewöhnliche Bewaffnung hat in der linken Szene Schnappatmung ausgelöst. Inzwischen hat die Einsatzleitung diese Waffen untersagt.
Doch der martialische Auftritt der Staatsmacht steht im Widerspruch zu den wirklichen Machtverhältnissen.
Eine entschlossen handelnde Regierung hätte das besetzte Gebäude längst geräumt. Aber dazu konnte sich bis Redaktionsschluß weder der Berliner Senat aus SPD und CDU noch die Bezirksregierung von Friedrichshain-Kreuzberg (Grüne) durchringen. Beide Seiten schoben sich den Schwarzen Peter zu. Es sind die Nachbarn und die Steuerzahler, die dieses jüngste Kapitel aus der Geschichte der gescheiterten Einwanderungspolitik bezahlen müssen. Diese Kosten belaufen sich auf mehrere Millionen Euro alleine für den Polizeieinsatz und die neue Unterkunft der ehemaligen Besetzer.
Drogenhandel, Messerstechereien und Mord
Die Geschichte der Gerhart-Hauptmann-Schule begann 2012, als sich eine Handvoll Ausländer Zugang zu dem leerstehenden Gebäude verschaffte. Sie suchten ein Dach über dem Kopf. Ihre Anwesenheit wurde vom Besitzer, dem Bezirk, geduldet. Er übernahm sogar die Kosten für Strom und Wasser. Das Unheil nahm seinen Lauf. Schnell machte die Nachricht die Runde. Es kamen immer mehr Leute – vor allem Afrikaner, aber auch Osteuropäer, Zigeuner und Junkies, die alle eines gemeinsam wollten: eine kostenfreie Herberge, eine Matratze auf zwei mal zwei Metern.
Am Ende lebten über 200 Personen dort. Die Schule, in einem Problemgebiet gelegen, war schon vorher eine schlechte Adresse. Nun ging es richtig bergab. Sie entwickelte sich zum Kriminalitätsschwerpunkt. Es gab Körperverletzungen und Vergewaltigungen. Im April erstach ein Einwohner einen anderen. Die Afrikaner betreiben im nahegelegenen Görlitzer Park einen regen Drogenhandel.
Klagen der Anwohner blieben ungehört. Die Berliner Behörden unternahmen monatelang nichts. Weder der Bezirk noch der Senat. Diese Untätigkeit macht Ulrich Gospodar sprachlos. Der Pensionär war der letzte Leiter der Schule. Als er die Bilder aus der verwahrlosten Schule sah und von den Kosten für die Steuerzahler las, platzte ihm der Kragen. „Das kann doch nicht sein“, sagte er und zeigte den damaligen grünen Bezirksbürgermeister Franz Schulz an – wegen der Veruntreuung von Steuergeldern.
Die Behörden ignorierten die Mißstände
Es geschah lange nichts. Nach über zwei Monaten kam ein Brief der Justiz, der sinnbildlich für die Untätigkeit der Behörden steht. Staatsanwältin Silke Slota teilt mit, daß die Besetzung der Schule zu dulden sei. Der Bürgermeister habe innerhalb seiner Befugnisse gehandelt. „Denn“, so die abenteuerliche Begründung, „bei der Besetzung des Schulgebäudes handelte es sich um eine Demonstration, die unter dem Schutz des Grundgesetzes steht (Versammlungsfreiheit).“ Das Schreiben liegt der JUNGEN FREIHEIT exklusiv vor. Die Staatsanwältin wollte sich auf Nachfrage der JF nicht zu dem Verfahren geäußert.
Vor einer Woche nun unterbreitete die Schulz-Nachfolgerin Monika Herrmann (Grüne) den Besetzern ein unschlagbares Angebot: Sie erhalten eine vom Land bezahlte Unterkunft. 200 Personen, darunter mehrere Zigeunerfamilien, nahmen das Angebot an und zogen ab. Zeitgleich verschanzte sich aber der harte Kern, angeblich abgelehnte Asylbewerber, auf dem Dach. Die Männer fordern ein Bleiberecht.
Die linke Szene macht Mobil
Seitdem bekommt Herrmann Feuer von linksaußen: Sie habe den Polizeieinsatz befohlen. Ihretwegen herrsche „polizeistaatlicher Ausnahmezustand“ in Kreuzberg. Im Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses gerieten Grüne und Piraten aneinander. Linksextreme Aktivisten mußten von der Polizei aus der öffentlichen Sitzung entfernt werden.
Die linke Szene macht seit Tagen mobil, betreibt einen „Infopoint“ und demonstriert gegen die angebliche Polizeigewalt. Nachts kommt es wieder verstärkt zu Autobränden in Berlin. Der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) war schon zweimal als Vermittler bei den Besetzern. Nach seinem letzten Besuch wurde eine in schlechtem Englisch abgefaßte Erklärung Ströbeles verbreitet: „Ich weiß nur, daß sich die Leute im Bezirksamt auf ihrer Sitzung am Sonnabend gegen eine Räumung ausgesprochen haben.“
Monika Herrmann hat am Dienstag ihren Baustadtrat vorgeschickt, der dann seinerseits die Polizei gebeten hat, das Haus zu räumen. Ob und wann sie das macht, steht noch immer nicht fest.
JF 28/14