Das Thema der Zwangsverheiratung und wie damit in Deutschland umgegangen wird, offenbart ein verschämtes Nichthinsehenwollen, hinter dem sich Hilflosigkeit verbirgt. Die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland“, die auf Initiative von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) entstand, zeigt dabei nicht nur kleinere methodische Schwächen, die bei Pionierstudien unvermeidlich sind, sondern auch die Omnipräsenz ideologischer Scheuklappen.
Gleich in der Einleitung heißt es: „In der Forschung besteht ebenso Einigkeit darüber, daß sich Zwangsverheiratungen nicht auf bestimmte religiöse Traditionen zurückführen lassen, sie kommen in unterschiedlichen sozialen, ethnischen und kulturellen Kontexten überall auf der Welt – und auch in Europa – vor.“ Die Zahlen der Studie sprechen indes eine deutlich andere Sprache.
3.443 registrierte Fälle von Zwangsverheiratungen für 2008
Zwar wurde nur in sechzig Prozent der Fälle eine Religionszugehörigkeit erfaßt, aber auch so führt der Islam mit 83 Prozent. Zählt man die kurdischen Jesiden hinzu, kommt man gar auf 92,5 Prozent. Alles nicht relevant? Weiter heißt es, daß „bereits in der Vorbereitung der Erhebungen eine kontroverse Diskussion über die Erhebung des Merkmals Religion“ stattfand. Man einigte sich darauf, dieses nicht zu interpretieren und „lediglich zu deskriptiven Zwecken“ zu erfassen.
Für die Untersuchung wurden anderthalbtausend soziale Einrichtungen nach Fällen von Zwangsverheiratung befragt, von denen etwa die Hälfte teilnahm. Zwei Fünftel bestätigten Fälle für das Stichjahr 2008, wodurch die Autoren auf eine Gesamtzahl von 3.443 von Zwangsverheiratung bedrohten oder betroffenen Personen kommen, darunter sieben Prozent Männer.
Besonders gefährdet sind junge Frauen zwischen 18 und 21 Jahr, die rund vierzig Prozent der Opfer ausmachen. Der Rest liegt mit jeweils rund dreißig Prozent über oder unter dieser Altersgruppe. Das jüngste Mädchen war neun Jahre alt. Diese Fallzahl kann aber nur als grober Richtwert dienen, wie auch die Autoren betonen. Einerseits sind Mehrfacherfassungen enthalten, andererseits sind häufig mitteldeutsche Einrichtungen vertreten, die – wenig verwunderlich – praktisch keine Fälle nennen können. Vor allem aber ist von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen: Lediglich ein Drittel der Hilfesuchenden hat sich aus eigener Initiative an die Einrichtungen gewandt. Ein weiteres Drittel nahm nur über Vertrauenspersonen Kontakt auf, und der Rest ließ sich gleich nur durch diese beraten.
„Mitschuld der Gesellschaft“
Und was sagen islamische Lobbyisten zur Studie? Es ist der übliche Dreiklang aus „hat nichts mit dem Islam zu tun“, „die Gesellschaft ist schuld“ und „Islamophobie“. Der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Mustafa Yeneroglu, griff dankbar die Vorlage der Autoren auf und behauptete eine „Versachlichung“, das heißt für ihn vor allem „Entislamisierung“ der Debatte. Ohne auf die Zahlen einzugehen, kritisierte er „ideologisch motivierte Erklärungsversuche“ und beklagte, als „‘Quasi-Mitschuldige’ behandelt und zum Teil des Problems gemacht“ zu werden, was „den Opfern in keinster Weise hilft“.
Die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime, Nurhan Soykan, rechnete unterdessen aus, daß die ermittelten Fälle lediglich 0,035 Prozent aller Ehen in Deutschland ausmachen würden. „Viel schlimmer ist die tägliche Gewalt gegen Frauen im Haus“, für die natürlich nicht der Islam, sondern die deutsche Gesellschaft verantwortlich ist: „Die gesellschaftlichen Strukturen, die die Gewalt gegen Frauen erzeugen, unterstützen und dulden, wurden nicht verändert.“
JF 47/11