PARIS. Rund 100.000 Menschen haben sich am Sonntag in der Hauptstadt Frankreichs versammelt, um gegen Judenfeindlichkeit zu demonstrieren. Am Protestzug unter dem Motto „Gegen den Antisemitismus, für die Republik“ nahm neben den Vertretern jüdischer Gemeinden sowie mehrerer wichtiger Parteien auch die Fraktionschefin der rechten Rassemblement National (RN) in der Nationalversammlung, Marine Le Pen, teil. „Wir sind da, um unsere jüdischen Mitbürger zu unterstützen und um den Fundamentalismus zu bekämpfen“, sagte die Politikerin den Anwesenden. Was sich ereigne, erfordere die Einheit „des gesamten französischen Volkes“.
Neben ihr marschierten weitere RN-Parlamentarier, darunter Le Pens Nachfolger an der Parteispitze, Jordan Bardella. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron blieb der Veranstaltung hingegen fern. Zwar hatte er diese im Vorfeld der Demo als „Grund zur Hoffnung“ gelobt, äußerte jedoch, es sei nicht die Aufgabe des Staatsoberhauptes, zu demonstrieren, sondern zu handeln. In seiner Vertretung nahm Premierministerin Élisabeth Borne teil, um die Demonstration zu führen. „Es war mir wichtig, hier zu sein, um klar zu machen, daß die Republik ihre Bürger schützen muß“, betonte sie.
Le Pens Teilnahme spaltet die Politik
Bereits im Vorfeld der Kundgebung hatte es deutliche Kritik daran gegeben, die Beteiligung einer rechten Politikerin zuzulassen. „Es geht nicht, mit der extremen Rechten gegen den Antisemitismus zu demonstrieren“, beklagte Antoine Léaument, der die linksradikale La France Insoumise (LFI) in der Nationalversammlung vertritt. Die Bewegung blieb der Veranstaltung fern und organisierte am selben Tag ihren eigenen Protest mit dem Leitslogan „Finger weg von der Erinnerung“.
L’extrême-droite raciste et violente n’y pourra rien.
Nous serons de tous les combats antiracistes.
Que ça leur plaise ou non.
La gerbe de mon groupe parlementaire @FiAssemblee est bien déposée au pied du monument rendant hommage aux martyrs juifs du Vel d’Hiv. pic.twitter.com/SzpXwrozKs
— Mathilde Panot (@MathildePanot) November 12, 2023
Der ehemalige EU-Wirtschaftskommissar aus den Reihen der sozialdemokratischen Parti Socialiste, Pierre Moscovici, verteidigte die Teilnahme der rechten Abgeordneten hingegen. Marine Le Pen sei keine Antisemitin, sagte er in einem Interview mit dem jüdischen Lokalrundfunksender Radio J. Der liberale Ex-Premierminister Édouard Philippe distanzierte sich gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Radio France Info von der 55jährigen, betonte aber, ihre Anwesenheit sei „kein Problem für ihn“.
„Marine Le Pen n’est pas antisémite, je pense qu’elle ne l’a jamais été et que son propos est sincère“, a déclaré Pierre Moscovici sur Radio J. Après 30 ans de vie politique, l’ex-ministre PS „ne croit pas avoir dédouané le RN“. pic.twitter.com/C6bRbpbHcZ
— Nils Wilcke (@paul_denton) November 11, 2023
Zunahme antisemitischer Straftaten in Frankreich
Auch die Juden Frankreichs zeigten sich angesichts der Teilnahme der Fraktionschefin der RN gespalten. Deren Gründer und Le Pens Vater, Jean-Marie Le Pen, war aufgrund seiner Holocaustleugnung aus der Partei rausgeworfen worden.
„Wir wollen nicht, daß Personen anwesend sind, die Erben einer Partei sind, die von ehemaligen NS-Kollaborateuren mitgegründet wurde“, bekräftigte Yonathan Arfi, Vorsitzender des Repräsentativen Rats Jüdischer Institutionen Frankreichs. Er spielte damit darauf an, daß frühere RN-Mitglieder während des Zweiten Weltkriegs mit den deutschen Besatzern zusammenarbeiteten.
Der Chef der Vereinigung von den Kindern jüdischer Deportierter, Serge Klarsfeld, lobte hingegen die Anwesenheit Marine Le Pens. „Wenn ich sehe, wie eine große Partei, die aus der extremen Rechten hervorgegangen ist, den Antisemitismus und die Holocaustleugnung aufgibt und sich den republikanischen Werten annähert, freue ich mich darüber.“
Auch einige Demonstranten schlossen nicht aus, Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl zu wählen. „Die Gefahr kommt heute nicht mehr von Rechts“, merkte einer von ihnen gegenüber dem Spiegel an. Im Zuge des am 7. Oktober neu aufgeflammten Nahostkrieges gab es bislang rund 1.250 antisemitische Übergriffe in Frankreich, und damit dreimal so viele wie im gesamten Vorjahr. Stand Donnerstag hatten die dortigen Behörden 518 Verdächtige festgenommen, von denen rund ein Viertel Migranten ohne französischen Paß waren. (kuk)