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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Ukraine-Krise: Dunkle Wolken über Kiew

Ukraine-Krise: Dunkle Wolken über Kiew

Ukraine-Krise: Dunkle Wolken über Kiew

Krieg: Kämpfer eines ukrainischen Freiwilligenbattalions trainieren in der Nähe von Kiew
Krieg: Kämpfer eines ukrainischen Freiwilligenbattalions trainieren in der Nähe von Kiew
Kämpfer eines ukrainischen Freiwilligenbattalions trainieren in der Nähe von Kiew Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Efrem Lukatsky
Ukraine-Krise
 

Dunkle Wolken über Kiew

Der Nachschub bröckelt, die Moral wankt, die westlichen Bündnispartner werden immer zurückhaltender. Und auch intern gerät der lange Zeit gefeierte Präsident Selenskyj immer stärker unter Druck.
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Ein heftiges Wortgefecht wird von Kameras aufgezeichnet. Die Chefs der europäischen Nachbarstaaten Ukraine und Ungarn geraten beim Antrittsbesuch in Argentinien über den EU-Beitritt der Ukraine aneinander. Dabei geht es dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj um Gelder, weitere Militärunterstützung und seine politische Zukunft. Ungarns Staatspräsident Viktor Orbán, dem immer wieder eine Rußlandnähe unterstellt wird, blockiert den Beitritt vielleicht aus Eigennutz.

Zwar hat die Ukraine seit dem 23. Juni dieses Jahres den EU-Kandidatenstatus, doch wie es in den Beziehungen weitergeht, wird der Europäische Rat erst am 14. und 15. Dezember auf einem Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs entscheiden. Orbán hat Charles Michel, den Präsidenten des Europäischen Rates, am 4. Dezember aufgefordert, das Hilfspaket für Kiew und die Eröffnung der EU-Beitrittsverfahren von der Tagesordnung des Gipfels zu streichen.

Geschieht dies nicht, werde Budapest sein Veto einlegen. Um den Nachdruck zu erhöhen, hatte Orbáns Partei Fidesz, die über 58 Prozent der Sitze im ungarischen Parlament hält, zuvor einen Beschluß gefaßt, der es dem Staatspräsidenten verbietet, weitere Beitrittsschritte der Ukraine zu erlauben.

 Ein Sieg Donald Trumps wäre das Ende der Militärhilfen

In der EU wird daher darüber nachgedacht, das zu erwartende ungarische Veto zu umgehen. Assoziierungs-Gelder sollen in geringere Beträge für einen kürzeren Zeitraum bewilligt oder über nationale Wege umgeleitet werden. EU-Diplomaten halten es für denkbar, daß Orbán mit seinen Drohungen nur selbst an weitere EU-Fördermittel kommen will. Die Ukraine sei noch „Lichtjahre“ von einem EU-Beitritt entfernt, sagte Orbán und plädiert für eine „strategische Partnerschaft“ und eine „schrittweise Annäherung“.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz erklärte in Berlin, die Bundesrepublik müsse sich darauf einstellen, noch mehr zu leisten, „wenn andere schwächeln“. Die deutsche Ertüchtigungshilfe für die Ukraine soll daher von vier Milliarden in diesem Jahr auf acht im kommenden verdoppelt werden. Scholz denkt dabei vermutlich auch an die unklare politische Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen 2024. Würde dort Ex-Präsident Donald Trump siegen, erwarten Experten, daß der wie in seiner vergangenen Amtszeit die Militärhilfen nach Kiew einstellt.

In Washington liegt derzeit ein 110 Milliarden US-Dollar umfassendes Hilfspaket für die Ukraine (60 Milliarden Euro) und Israel auf Eis. Republikaner machen so Druck auf Amtsinhaber Joe Biden, mit dem Ziel die südliche Grenze zu Mexiko gegen Einwanderer besser zu schützen. In Bidens Augen ist es „einfach völlig verrückt“, die Ukraine nicht zu unterstützen. Selenskyj sagt daraufhin eine Live-Video-Schalte in den blockierenden Senat kurzfristig und ohne Begründung ab.

Ohne US-Hilfe wird die Ukraine den Krieg verlieren

Der Chef des ukrainischen Präsidialamtes und Aufsichtsratsmitglied des Staatskonzerns „Ukrainian Defense Industry“, Andrij Jermak, klagt, ohne US-Hilfe werde sein Land den Krieg gegen Rußland verlieren. Auch hier dringt ein Video an die Öffentlichkeit, das zeigt wie Jermak Selenskyj zurechtweist. US-Außenminister Antony Blinken kündigt derweil die Lieferung von Waffen und Ausrüstung im Wert von 175 Millionen Dollar an, die bereits bewilligt sind. Ein Tropfen auf den heißen Stein im Lichte der seit Kriegsbeginn bis einschließlich Oktober 2023 aus Washington geleisteten Geldzahlungen sowie Lieferungen von Waffen und humanitären Gütern über 70 Milliarden Euro, wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel berechnete.

„Angesichts der Ungewißheit über weitere US-Hilfen kann die Ukraine nur hoffen, daß die EU endlich ihr seit langem angekündigtes 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket verabschiedet“, sagt Christoph Trebesch vom Institut für Weltwirtschaft Kiel. Kiew werde abhängiger von den wenigen großen Unterstützern wie Deutschland, Großbritannien, den nordischen Ländern und den USA. Auch die ehemaligen russisch besetzten Staaten im Osten der EU leisten hohe Beiträge im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung.

Größter Finanzierer mit allein 77 Milliarden waren EU-Institutionen, dazu kommen noch Militär und humanitäre Güter im Wert von 7,7 Milliarden Euro. Erst nach der EU und den USA folgen laut dem Ukraine Support Tracker Deutschland (20,9 Mrd. Euro), Großbritannien (13,3 Mrd. Euro) und Norwegen (7,1 Mrd. Euro).

Bis die Kriterien einer Vollmitgliedschaft erfüllt seien, könnten Jahrzehnte vergehen

So kursieren in Brüssel jüngst Gedankenspiele, ein bevorzugtes beschleunigtes Aufnahmeverfahren  für die Ukraine zu kreieren. Kiew versucht derweil den internationalen Druck aufrechtzuhalten und warnte die Chefs der EU vor einem Scheitern ihres Treffens am Donnerstag und Freitag. Es hätte verheerende Konsequenzen, wenn sich Ungarn mit seiner Blockadehaltung durchsetze, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba vor Beratungen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.

Dabei waren noch vor kurzem auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz der Meinung Orbáns. Bis die Kriterien einer Vollmitgliedschaft erfüllt seien, könnten Jahrzehnte vergehen, war sich Macron noch im Mai 2023 sicher und schlug eine „europäische politische Gemeinschaft“ für die Ukraine und andere Beitrittswillige vor. Kiew lehnte beleidigt ab. „Wir brauchen keine Ersatzmittel für den EU-Kandidatenstatus, welche die zweitklassige Behandlung der Ukraine zeigen und die Gefühle der Ukrainer verletzen“, teilte Außenminister Kuleba schmallippig mit.

Rund 60 Prozent der Ukrainer sehen ihr Land in der EU

Präsident Selenskyj hatte vier Tage nach dem Beginn der Kampfhandlungen am 28. Februar 2022 den Aufnahmeantrag in die EU gestellt. Auch der Euromaidan vor zehn Jahren hatte eine Abkehr von Rußland und den Beitritt zur EU zum Ziel. Rund 60 Prozent der Ukrainer, so eine aktuelle Umfrage des Rasumkow-Zentrums, sehen ihr Land in weniger als zehn Jahren in der EU.

Seitdem mußten die Ukrainer sehr geschickt vorgehen, um Hilfslieferungen der westlichen Verbündeten zu erhalten. Aktuell versucht Kiew Wa­shington dazu zu bewegen, drei Drohnentypen von General Atomics, das Flugabwehrsystem THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) und F-18 „Hornet“-Kampfflugzeuge zu liefern.

Zusätzlich hätte die Ukraine als EU-Mitglied gemäß dem gegenwärtigen Aufteilungsschlüssel Anspruch auf 130 bis 190 Milliarden Euro pro siebenjähriger EU-Haushaltsperiode, heißt es in einem Papier des IW Köln, 186 Milliarden hatte eine Studie der EU errechnet. Bei den Agrarsubventionen wäre die Ukraine künftig der Hauptnutznießer und würde in einer Haushaltsperiode rund 96,5 Milliarden Euro beziehen. Größte Netto-Empfänger waren im Jahr 2022 Polen (11,9 Mrd. Euro), Rumänien (5,6 Mrd. Euro) und Ungarn (4,4 Mrd. Euro). Eine Aufnahme der Ukraine hätte aber auch wegen der EU-Beistandsgarantie eine zusätzliche sicherheitspolitische Konsequenz.

Streit innerhalb der Streitkräfte

Abseits der Weltpolitik bekommt Selenskyj immer mehr innenpolitischen Druck ab. Turnusgemäß stünden auch in der Ukraine 2024 Präsidentschaftswahlen an. Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, erhebt schwere Vorwürfe gegen Selenskyj und beschuldigt ihn, zu viel Macht an sich zu ziehen und das Land auf einen autoritären Weg zu führen. Klitschko wäre ein Kandidat für den Präsidentenposten.

Nur Tage zuvor hatte sich Selenskyj mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte entzweit. Walerij Saluschnyj, der auch Held der Ukraine genannt wird und ebenfalls Chancen auf das Amt hat, beschrieb die militärische Lage als Patt. Selenskyj intervenierte. Er hebt seit Beginn des Krieges ukrainische Erfolge hervor und meidet Mißerfolge. Die permanente Schönfärberei verfängt immer weniger, sowohl bei den Geld- und Waffengebern im Ausland als auch bei seinen Landsleuten.

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Kämpfer eines ukrainischen Freiwilligenbattalions trainieren in der Nähe von Kiew Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Efrem Lukatsky
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