MOSKAU. Nach der Teilmobilmachung in Rußland haben Tausende Bürger des Landes am Mittwoch Abend gegen den Krieg in der Ukraine protestiert. Dabei nahm die Polizei etwa 1.300 Demonstranten fest, wie das kremlkritische Bürgerrechtsportal „OVD-Info“ meldete.
Demnach gingen die Menschen in rund 40 Städten auf die Straße. Allein in St. Petersburg wurden demnach 556 Protestler in Gewahrsam genommen, in Moskau gab es 500 Festnahmen. Zuvor skandierten sie Slogans wie „Rußland ohne Putin“ oder „Nein zum Krieg“.
Auch im südrussischen Tomsk, in Jekaterinburg am Ural und im sibirischen Irkutsk kam es zu lautstarken Protesten, die sich gegen die Regierung von Präsident Wladimir Putin richteten. Einige Russen hielten dabei ukrainische Nationalflaggen hoch.
Акция в Петербурге: собравшиеся скандируют «Нет войне» и встали в сцепку
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— Медиазона (@mediazzzona) September 21, 2022
In den sozialen Medien kursieren Videos von den Demonstrationen.
Russische Demonstrantin: „Habe Angst um meinen Bruder“
„Ich habe Angst um meinen Bruder, der 25 Jahre alt ist und seinen Militärdienst abgeleistet hat. Er kann eingezogen werden“, zitierte die internationale Nachrichtenagentur AFP eine junge Studentin und Demonstrantin auf der Straße in St. Petersburg. Laut offiziellen Militärangaben und kürzlichen Aussagen von Verteidigungsminister Sergej Schoigu verfügt Rußland über rund 300.000 Reservisten, die jetzt in Reaktion auf die kürzliche Gegenoffensive der ukrainischen Armee einberufen werden könnten.
Die Moskauer Behörden hatten im Vorfeld die Protestzusammenkünfte untersagt und nachdrücklich vor einer Teilnahme gewarnt. Den Festgenommenen drohe nun bis zu 15 Jahren Haft, die zuständige Staatsanwaltschaft ermittle wegen Widerstand gegen die Polizei und „Diskreditierung der russischen Armee“.
Wehrfähige Russen flüchten wegen Teilmobilmachung
Eine Sprecherin des russischen Innenministeriums sagte der nicht-staatlichen Nachrichtenagentur Interfax, die Polizei habe „unerlaubte, inszenierte Aktionen“ unterbunden und eine „äußerst geringe Anzahl von Beteiligten“ festgenommen oder gestoppt. „Diejenigen Personen, die gegen Gesetze verstoßen haben, wurden festgenommen und zur Untersuchung auf Polizeistationen gebracht.“
Seit Beginn des Angriffes auf die Ukraine vor knapp sieben Monaten geht die russische Regierung immer repressiver gegen Kremlkritiker und Oppositionelle vor. Berichten zufolge sind die Preise für Auslandsflüge, vor allem in Richtung der Türkei, stark gestiegen. Wer eingezogen werden soll, dies aber nicht möchte und es sich leisten könne, verlasse Rußland.
Deutsche Politiker fordern Asyl für kritische Russen
Unterdessen haben deutsche Politiker Asyl für russische Dissidenten und Wehrdienstverweigerer gefordert. „Wer sich jetzt einer Einberufung gegenübersieht und nicht Teil einer Armee der Kriegsverbrechen sein will, stellt sich gegen das System Putin. Wir Europäer sollten russischen Regimegegnern ebenso wie unschuldigen Deserteuren jetzt schnell Asyl gewähren“, sagte Johannes Vogel, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, dem Spiegel. Russen, die auf der Seite des Rechts und des Friedens stünden, seien willkommen.
„Putin ist die größte Gefahr für russischsprachige Menschen. Wir können und sollten russische Deserteure vor Putins Mobilisierung schützen und temporäres Asyl gewähren“, zitierte das Nachrichtenmagazin den Außenpolitiker und Abgeordneten der Grünen, Robin Wagener. Niemand solle gezwungen sein, an „diesem Wahnsinn“ teilnehmen zu müssen. (ab)