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Ein Nachruf: Gorbatschow – Ein Gescheiterter, der das unausweichliche Ende erkannte

Ein Nachruf: Gorbatschow – Ein Gescheiterter, der das unausweichliche Ende erkannte

Ein Nachruf: Gorbatschow – Ein Gescheiterter, der das unausweichliche Ende erkannte

Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow: Er setzte auf Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umgestaltung)
Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow: Er setzte auf Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umgestaltung)
Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow: Er setzte auf Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umgestaltung) Foto: picture alliance / CNP/ABACA
Ein Nachruf
 

Gorbatschow – Ein Gescheiterter, der das unausweichliche Ende erkannte

Der am Dienstag verstorbene Michail Gorbatschow war ein historischer Glücksfall für den Frieden in Europa und der Welt. Der letzte Präsident der Sowjetunion prägte ein Rußland der Freiheit ohne aggressive Rhetorik und militärische Konfliktbereitschaft.
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In den Augen von Altkanzler Helmut Kohl war Michail Gorbatschow ein Gescheiterter. Die politische Tragik des letzten Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der am Dienstag abend in Moskau verstorben ist, faßte der Christdemokrat zu seinen Lebzeiten mit den Worten zusammen: „Er ging über die Bücher und mußte erkennen, daß er am Arsch des Propheten war.“ Dem Deutschen stand Gorbatschows Nachfolger Boris Jelzin um einiges näher, schließlich war dieser hemdsärmelig, zum Anpacken bereit und keiner, der Weinberge umpflügen ließ, um den Sozialismus vor der Trunksucht zu retten.

Doch Gorbatschows Scheitern hat die Welt viel zu verdanken. Wenn die angestrebte Reform der marxistisch-leninistischen Gesellschaftsordnung gelungen wäre, hätte es das friedliche Ende des Kalten Krieges, die weitgehend unblutige Abwicklung des letzten europäischen Kolonialreichs und eine, wenn auch vorübergehende Öffnung Russlands für das moderne, westliche Europa in dieser Form wohl nicht gegeben.

Gorbatschow war neugieriges Organisationstalent voller Ehrgeiz

Dem jungen Gorbatschow, 1931 in einem Dorf am Steppenrand als Sohn einfacher Landarbeiter geboren, war keine Nomenklatura-Karriere in die Wiege gelegt. Beide Großväter erlebten während seiner frühen Lebensjahre Gefängnis, Folter und Gefangenschaft im Gulag. Einer der beiden saß 1937 als Trotzkist in Haft, der andere hatte sich als freier Bauer der Kollektivierung widersetzt. Als 1934 das Getreide nicht einmal mehr für die Saat reichte, wurde er als Saboteur nach Sibirien verbannt. Dennoch überstanden beide Männer das politische Elend, einer von ihnen stieg nach der Haft gar wieder zum Kolchose-Leiter auf.

Positives Denken, Neugier, Organisationstalent, Ehrgeiz, Einsatz und ein gewinnendes Naturell trugen dem damals erst 16 Jahre alten Michail den Orden des Roten Banners der Arbeit ein – so jung hatte zuvor noch keiner die begehrte Auszeichnung erhalten. Dieselben Eigenschaften bescherten ihm, nach einer bruchlos steilen Modellkarriere im Stawropoler Apparat schließlich den Aufstieg ins Zentralkomitee der KPdSU (1978) und zum Generalsekretär der Partei (1985). Der englische Dolmetscher Tony Bishop war bei Gorbatschows erstem Zusammentreffen mit Margaret Thatchers in London 1984 zugegen. Den Charakter des russischen Gastes, der damals noch nicht Generalsekretär war, beschrieb er als Kombination aus Intelligenz, modernem Denken, slawischem Nationalismus, Energie, Charme, Selbstsicherheit und Unbeirrbarkeit.

Kohls Annahme, Gorbatschow sei als neue Nummer Eins der Sowjetunion „über die Bücher“ gegangen und habe nur noch den Bankrott festgestellt, ist übertrieben. Der Mann aus Stawropol wußte genau, was ihn erwartete. Sein langjähriger Mentor, der frühere Amtsinhaber Juri Andropow, hatte ihm eine Reformbotschaft mit auf die Reise gegeben. Er war 15 Jahre lang KGB-Chef gewesen und in gesellschaftspolitischen Fragen ein Hardliner. Um die marode Lage der UdSSR wußte er. Aufzuräumen und das Land wirtschaftlich wieder auf die Füße zu stellen, war somit gewissermaßen Gorbatschows Regierungsauftrag.

Gorbatschow wollte retten, was zu retten war

Dieser trat an, um von der Sowjetunion zu retten, was zu retten war. Zum Totengräber des kommunistischen Weltreichs wurde er wider Willen. Die während der „Perestroika“ neu geweckten Kräfte sowie der ungestüme Freiheitsdrang und Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung wuchsen ihm über den Kopf. Sowohl das Reich als auch das System hatten sich überlebt. Der Augustputsch 1991 und die Selbstauflösung der UdSSR wenige Monate später waren nicht das Resultat der Schwäche eines Einzelnen. Wer in Rußland der 1991 angeblich versäumten chinesisch-autoritären Variante nachweint – wie es einige Nostalgiker bis heute tun –, der verkennt den fundamentalen Unterschied der politischen Mentalitäten. Die russische Geschichte erweist sich gerade in ihren chaotisch-anarchischen Zügen als genuin europäisch.

Gorbatschows eigentliches Verdienst sind nicht Reformen, sondern die Einsicht, daß sein Abgang und der seiner Partei so unausweichlich waren wie das Ende des von ihm geführten Imperiums. Darin liegt ein historischer Glücksfall für den Frieden in Europa und in der Welt. Kohl hat recht, wenn er konstatiert, von Gorbatschow sei übriggeblieben, „daß er den Kommunismus abgelöst hat, zum Teil wider Willen, aber de facto hat er ihn abgelöst“. Allein Kohls Nachsatz irritiert: „Sehr viel mehr, was wirklich bleibt, fällt mir nicht ein.“

Doch allein das war schon eine ungeheure Leistung. Zudem hat Gorbatschow der Welt gezeigt, daß Rußland auch ein anderes Gesicht hat als Repression, aggressive Rhetorik und militärische Konfliktbereitschaft – selbst wenn es drei Jahrzehnte später kaum noch sichtbar ist. Die inzwischen massiv zurückgestutzten Pflänzchen Marktwirtschaft, Freiheit und Demokratie wurzeln in Gorbatschows „Glasnost“- und „Perestroika“-Jahren. Putins autoritäre Denkschule hat er dennoch weithin mitgetragen, ebenso (und ganz ausdrücklich des Mehrheitswillens wegen) die Annexion der Halbinsel Krim. Zum russischen Krieg in der Ukraine soll er gesagt haben, so berichtet es der Journalist Alexej Wenediktow, Putin zerstöre sein Erbe und Lebenswerk.

Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow: Er setzte auf Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umgestaltung) Foto: picture alliance / CNP/ABACA
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