BARCELONA. Erneut ist ein Übersetzer des Gedichts, das die US-amerikanische Schriftstellerin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden vorgetragen hatte, von seiner Aufgabe entbunden worden. Der katalanische Schriftsteller Victor Obiols erklärte, er sei von dem Job abgezogen worden, weil er das falsche „Profil“ hätte, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.
„Mir wurde mitgeteilt, daß ich für die Übersetzung nicht geeignet sei“, sagte der 60jährige, der unter anderem Werke von William Shakespeare und Oscar Wilde ins Katalanische übersetzt hat. „Dabei wurde nicht meine Qualifikation infrage gestellt, sondern sie suchten nach jemanden mit einem anderen Profil, einer jungen Aktivistin, im besten Fall schwarz.“ Er hätte den ursprünglichen Auftrag vor drei Wochen erhalten und sogar schon ausgeführt.
Obiols wisse bislang nicht, ob die Ablehnung seiner Person vom Verlag oder von Gormans Agenten kam. „Aber wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie eine Frau ist, jung, schwarz, eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts, dann kann ich auch Homer nicht übersetzen, weil ich kein Grieche aus dem achten Jahrhundert vor Christus bin. Oder ich kann Shakespeare nicht übersetzen, weil ich kein Engländer des 16. Jahrhunderts bin.“
Niederländische Übersetzerin tritt von Aufgabe zurück
Zuvor war bereits die niederländische Schriftstellerin Marieke Lucas Rijneveld von der Aufgabe zurückgetreten. Damit hatte sie auf Kritik aus den sozialen Medien reagiert, wonach nur ein schwarze Dolmetscherin das Werk übersetzen könne, nicht aber eine weiße Frau.
Die 23jährige Gorman hatte bei der Vereidigung von US-Präsident Joe Biden im Januar das Gedicht „The Hill We Climb“ vorgetragen. Sie war die jüngste Poetin, die jemals bei der Inauguration eines US-Präsidenten auftreten durfte. In ihrem Vortrag thematisierte die schwarze Schriftstellerin unter anderem auch ihre Abstammung von Sklaven. (ha)