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Traditionelle Besserwisserei

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Wenn man jemanden nur mit einem Wort zufriedenstellen kann, dann bitte, tue ich das“, sagte Donald Tusk mit ironischem Lächeln am 1. November vor versammelten Journalisten in Warschau. Der „Jemand“, der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski, hat die auffallend widerwillige Entschuldigung dennoch akzeptiert.

Der Eindruck bleibt, daß seine Annahme nicht minder widerwillig erfolgte. Stein des Anstoßes waren abwertende Äußerungen des künftigen polnischen Regierungschefs während der Wahlkampagne und speziell beim Fernsehduell am 12. Oktober (JF 43/07), in dem Tusk Lech Kaczynski stets nicht als Staatspräsidenten, sondern als „Bruder des Regierungschefs“ bezeichnete.

Jaroslaw Kaczynski war seit 2001 Chef der sozialkonservativen Partei PiS und seit 2006 Premier. In einer Stellungnahme meinte Lech Kaczynski, das „Brudersein ist ein biologischer und nicht ein politischer Zustand“. Danach weigerte er sich, dem dreisten Tusk zum Wahlsieg zu gratulieren (JF 44/07).

Ein übler Nachgeschmack ist geblieben

Nach der Entschuldigung hat Kaczynski nun Tusk vorige Woche mit der Regierungsbildung beauftragt. Der üble Nachgeschmack seiner Ausfälle gegen den politischen Gegner ist jedoch geblieben. Tusks Gegner bezeichnen ihn daher als „Cham“ (Flegel) und „Chamäleon“, da beide je nach Lage ihre Einstellungen verändern können. Am Wahlabend, als seine wirtschaftsliberale PO mit 41,4 Prozent stärkste Partei wurde, sagte der siegestrunkene Tusk, er liebe alle Polen, denn mit ihm hätten sie die Zukunft gewählt.

Mit ihm komme Fairneß, Anstand und Gerechtigkeit. Zwei Wochen zuvor tönte er völlig anders: „Wir sind bereit, mit jedem eine Koalition zu bilden, der uns helfen wird, an der PiS Rache zu nehmen.“ In seinem Buch „Solidarität und Stolz“ schrieb er wohl nicht zufällig: „Wahrheit muß nicht originell sein, Wahrheit ist oft banal. Man muß aber diese Banalität aussprechen“, und das „Verrückteste“, was er je in seinem Leben gemacht habe, sei um die Hand seiner Frau anzuhalten.

Ein Vierteljahrhundert ohne kirchlichen Segen

Doch mit seiner Ehefrau Malgorzata lebte der kaschubische Katholik fast ein Vierteljahrhundert lang ohne kirchlichen Segen zusammen – erst zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2005 führte Tusk sie vor den Traualtar. Dennoch unterlag der vormalige Vizechef von Sejm und Senat in der Stichwahl dem vor allem im Ausland belächelten Lech Kaczynski. Auch bei den Parlamentswahlen 2005 lag die PiS vor der PO – von einer zuvor angekündigten gemeinsamen Regierung wollte er dann nichts mehr wissen.

Was kann man angesichts dessen von dem 50jährigen Historiker Donald Tusk erwarten? Verläßlichkeit, Berechenbarkeit? Abgesehen von seinen „neoliberalen“ Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik (der Staatsbesitz bei den Aktiengesellschaften soll halbiert und die Liste der „Strategischen Unternehmen“ reduziert werden) ist Kontinuität zu erwarten.

Rigorose Privatisierungen und umfassender Sozialabbau sind mit dem kleinen Koalitionspartner, der konservativ-bäuerlichen Volkspartei PSL, nicht zu machen. Tusk war in den achtziger Jahren wie die Kaczynskis in der antikommunistisch-nationalen Solidarnosc-Opposition aktiv.

Keine einzige Regierung bei Wahlen im Amt bestätigt

Trotz freundlicher Worte Richtung Brüssel wird auch Tusk für eine überproportionale Gewichtung der mittelgroßen Staaten in der EU kämpfen. Es war PO-Fraktionschef Jan Rokita, der 2003 im Sejm die Parole „Nizza oder der Tod“ ausgab, um die postkommunistische SLD-Regierung zu einem kompromißlosen Festhalten an der Stimmengewichtung des Vertrags von Nizza zu bewegen.

Auch die PO hält die Forderungen des deutschen Bundes der Vertriebenen (BdV), ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, für einen Affront gegenüber Polen. Und es ist nicht zu erwarten, daß Tusks Duzfreundin Angela Merkel in der Frage der Rückgabe deutscher Kulturgüter nennenswerte Erfolge erzielen wird. Dafür bezeichnete er die Kanzlerin in der Gazeta Wyborcza immerhin als die „aus polnischer Sicht beste deutsche Politikerin“.

Womöglich verkörpert auch Tusk lediglich ein speziell polnisches Phänomen, dessen Wurzeln tief in der Geschichte liegen und in dem alle gegen alle fechten. Das einstige Liberum Veto, das Privileg der polnischen Schlachta (Kleinadel), lebt in diesem Land offensichtlich fort. Mit ihrem Veto im Sejm konnte die Schlachta, deren Ländereien bis nach Kiew reichten, schon vor 300 Jahren jeden königlichen Beschluß zu Fall bringen.

Magisterarbeit über  Nationalheld Pilsudski

Als Polen 1918 nach drei Teilungen wieder die Unabhängigkeit erlangte, kam die Demokratie. Die Veto-Haltung der Schlachta griff auf die polnische Allgemeinheit über, die zahlreichen politischen Parteien und Gruppierungen krankten an inneren Zwistigkeiten – trotz der bolschewistischen Bedrohung aus dem Osten. Der heute zum Nationalheld erhobene Marschall Józef Klemens Pilsudski (über den Tusk 1980 seine Magisterarbeit schrieb) sah sich gezwungen zu putschen. Die aus den Fugen geratenen „Demokraten“ wurden verjagt. Die Militärs griffen diszipliniert zu. Polen wurde gerettet.

Ob der gebürtige Danziger Donald Tusk wirklich „EU-“ und „Deutschland-hörig“ ist (wie die PiS behauptet) oder ob er die Rechte von Homosexuellen nach westlichen Vorstellungen in Polen salonfähig machen wird, ist daher zweitrangig. Denn Tusk wird damit bei der Mehrheit der Polen kaum Akzeptanz finden. Nicht weil diese katholisch ist, sondern weil diese „EU-Werte“ sich mit der slawischen Mentalität nicht vereinen lassen. Das übersieht man im Westen, wo man sich auf den strahlenden Sieger fokussiert, ohne diese Hintergründe begreifen zu wollen.

Denn auch Tusk schafft es nicht, sich von seinem „privaten“ Liberum-Veto-Erbe zu lösen. Die Fernsehduelle bestätigten das bis dahin Bekannte: seine „traditionelle“ Besserwisserei, die aber bald auf die Besserwisserei der anderen stoßen wird. Daß die Medien dies als Erfolg hochstilisierten, liegt nicht an der dominierenden Tuskschen Fachkompetenz, sondern an dem Show-Trend der wankelmütigen Masse, die sich an seiner Aktion amüsieren konnte.

Aber schon bald werden die heutigen Tusk-Fans sich betrogen fühlen, seine „Fehler“ verdammen, eigene wiederum „bessere“ Lösungen preisen, ihn mit bissigen Witzen belächeln – und mit ihrem Liberum Veto drohen. Damit müssen alle Interessierten zu leben lernen: Seit der Wende 1989 wurde keine einzige Regierung bei Wahlen im Amt bestätigt.

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