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Allianzen rechts der Mitte

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Europa hat gewählt, und an der grundsätzlichen Kräfteverteilung im EU-Parlament hat sich trotz Verlusten der drei großen Fraktionen wenig geändert. Die Bürgerlichen (EVP) haben ihre Position mit 264 Sitzen (-24) als stärkste Kraft behauptet, die Sozialdemokraten (SPE) mußten mit nur noch 161 Vertretern (-53) gewaltige Verluste hinnehmen. Die Liberalen (ALDE) kommen auf 80 Sitze (-20). Die Grünen legten um 10 auf 53 Sitze zu, die Linken erreichten nur 32 (-9). Obwohl die Sitzverteilung aufgrund von Fraktionswechseln und der neuen Wahlordnung einen Vergleich erschwert – 2004 hatte das Europaparlament 732 Mitglieder, seit 2007 (Beitritt Rumäniens und Bulgariens) waren es 785, nun sind es bis zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 736 –, offenbart der aktuelle Mandatstand einige interessante Details.

Die Verluste für die Regierungsparteien jeder Couleur überraschten wenig. Dramatisch waren die Verluste der regierenden Sozialdemokraten in Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Ungarn. Diese Länder sind zugleich typisch für einen weiteren Trend: Millionen Europäer haben nicht nur ihre Regierungen abgestraft, sondern zugleich rechten oder EU-kritischen Parteien zum Durchbruch verholfen. Das war – neben der auf 43,2 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung – eines der wichtigsten Kommentarthemen der Medien.

Fast ein Fünftel (146 der 736 EU-Parlamentarier) paßt nicht ins bundesdeutsche Parteienkorsett (JF 25/09). Bislang waren es 96, die zur rechten Fraktion Union für ein Europa der Nationen (UEN) bzw. der EU-kritischen Fraktion Unabhängigkeit/Demokratie (ID) zählten oder fraktionslos waren. Der österreichische EU-Abgeordnete Andreas Mölzer (FPÖ), der nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens (JF 4/07) die kurzlebige Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS) mit initiierte, zeigte sich noch am Wahl­abend darüber erfreut, daß nun „rund 100 Abgeordnete dem rechten Lager“ zugeordnet werden könnten. Doch dort sind nicht nur regierungserfahrene Parteien wie die britischen Tories, die PiS der Kaczyński-Brüder, die FPÖ oder die norditalienische Lega Nord angesiedelt, sondern eine ganze Schar von EU-Kritikern, Einzelkämpfern und Selbstdarstellern. Das dürfte die Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments am 14. Juli interessant machen.

Auch im EU-Parlament gilt: Wer sich durchsetzen will, dem hilft die Zugehörigkeit bei einer Fraktion. Nur so kommt man zu Büros, Personal und Budgets von der EU. Die Voraussetzung dafür wurden verschärft. Eine Fraktionsbildung ist erst ab 25 Abgeordneten (bisher 20) aus mindestens 7 (bisher 6) Ländern möglich. Doch wer schafft dies? Kann sich neue europaskeptisch-konservative oder eine „rechte“ Fraktion zusammenfinden?

In Brüssel und Straßburg werden hinter den Kulissen bisherige Bündnisse gebrochen und neue Allianzen geschmiedet. Die ID erfüllt – trotz der erstarkten britischen UKIP – nicht mehr die Voraussetzungen für eine EU-Fraktion. Die UEN ist durch den Abgang der Alleanza Nazionale (AN) geschwächt – die Postfaschisten gehören als Teil von Silvio Berlusconis PdL künftig zur EVP, wo sie mit CDU/CSU- oder ÖVP-Abgeordneten Politik machen. Dafür hat die EVP den Abgang der britischen Tories zu verkraften, deren 25 EU-Abgeordneten eine Schlüsselrolle zukommt. Als stärkster Partner böte sich die polnische PiS (15 Sitze) an, was die Existenz der UEN in Frage stellte. Diese neue Fraktion (Europäische Konservative/EC) wolle eine „Union europäischer Nationen und keine Vereinten Nationen von Europa“, so Tory-Chef David Cameron.

Als Verhandlungspartner gelten die erstarkte ungarische Ex-Regierungspartei Fidesz (14 Sitze/bislang EVP) und die rechtsliberale tschechische ODS von Ex-Premier Mirek Topolánek, die mit ihren nun 9 Abgeordneten schon bei der EVP „gekündigt“ hat. Einige rechte Abgeordnete aus kleineren EU-Ländern dürften hinzustoßen, um das Länder-Quorum zu erfüllen. Die vier PVV-Abgeordneten des rechtsliberalen niederländischen Islam-Kritikers Geert Wilders (er selbst verzichtet auf sein EU-Mandat) haben bislang keine Präferenzen geäußert.

Doch was sich theoretisch zur drittgrößten EU-Fraktion addiert, birgt inhaltlich Sprengkraft: Camerons Conservative Party tritt offen für die Homo-Ehe ein. Wie sich das mit der stramm katholischen PiS verträgt, ist ebenso fraglich wie die Verortung des ungarischen Fidesz von Viktor Orbán, der sich früher prima mit CDU und vor allem CSU verstand. Doch Orbáns populistisch-nationalistische Töne bereiten politische Bauchschmerzen. Das Engagement für die ungarische Minderheit im Ausland hat für Schlagzeilen gesorgt. Die rechtsnationale slowakische SNS will sich hingegen der UEN anschließen.

Jenseits dieser möglichen EC-Fraktion sind aus vielen EU-Ländern (große Ausnahmen sind Deutschland, Portugal, Spanien und Schweden) weitere Abgeordnete ins Parlament gewählt worden, die in den Medien meist als „nationalistisch“, „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“ oder „neofaschistisch“ gescholten werden. Bisherige „Feindbilder“ wie der Vlaams Belang (VB, nur noch 2 statt 3 Sitze), der französische Front National (FN, 3 statt 7) und die bulgarische Ataka (2 statt 3) wurden zwar geschwächt. Doch die Erfolge der Dänischen Volkspartei (DF) und der FPÖ (künftig je 2) und der Lega Nord (9 statt 4) haben dies wettgemacht. Neu sind die ungarische Rechtspartei Jobbik (3 Mandate) und die British National Party (BNP, 2 Mandate) sowie einzelne Abgeordnete etwa von den „Wahren Finnen“ oder der rechtsliberalen Liste Dedecker aus Belgien. Wegen des Länderquorums dürften sie sicher heiß umworben werden.

Mölzer kann sich eine Fraktion um Frank Vanhecke (VB), Jean-Marie Le Pen (FN) und Lega Nord vorstellen. Doch auch mit der BNP und Jobbik wird gesprochen. Eine „reanimierte“ ITS-Fraktion ist ebenso möglich wie eine mit neuen Parteien gestärkte UEN um Lega und DF. Die FPÖ hatte noch vor dem Urnengang im Juni um eine Aufnahme in die UEN angesucht – was an der irischen Regierungspartei Fianna Fáil gescheitert sein soll. Doch letztere sind geschwächt, sie könnte den Weg zur EVP gehen. Die UEN ist auf neue Kräfte angewiesen, sollte die EC-Fraktion zustandekommen. Eine Schlüsselrolle könnte der UKIP zufallen, die für den Austritt Großbritanniens aus der EU eintritt und die angesichts des drohenden Aus der ID auf „Fraktionssuche“ ist. Ein Beitritt zur EC-Fraktion der Tories ist aus innerbritischen Gründen unwahrscheinlich. Es wäre dann ein Treppenwitz der EU-Geschichte, wenn ausgerechnet EU-feindliche Briten Fraktionsbildungen rechts der EVP ermöglichten.

Fotos: Nigel Farage: UKIP, Großbritannien, 13 Sitze; Umberto Bossi: Lega Nord, Italien, 9 Sitze; Barry Madlener: PVV, Niederlande, 4 Sitze; Krisztina Morvai: Jobbik, Ungarn, 3 Sitze; Jean-Marie Le Pen: Front National (FN), Frankreich, 3 Sitze; Frank Vanhecke: Vlaams Belang, Belgien/Flandern, 2 Sitze; Andreas Mölzer: Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), 2 Sitze; Morten Messerschmidt: Dänische Volkspartei (DF), Dänemark, 2 Sitze

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