New York: Es war ein glasklarer Tag an diesem 11. September 2006. Die Sonne schickte ihre letzte Sommerwärme in die Stadt, und nicht ein einziges Wölkchen bedeckte den strahlend blauen Himmel. Die offizielle Gedenkfeier am Ground Zero begann früh morgens um 8.40 Uhr. Sechs Minuten später – zu dem Zeitpunkt, als das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Center einschlug – legte die Stadt, die niemals schläft, die erste von vier Gedenkminuten ein, während in ganz New York die Kirchenglocken läuteten. Die zweite Gedenkminute folgte um 9.03 Uhr, als der Südturm getroffen wurde. Die dritte und vierte um 9.59 Uhr und 10.29 Uhr – den Zeitpunkten, als die beiden Türme einstürzten. Und so schlug der Puls dieser nimmermüden Metropole für vier Minuten ein paar Takte langsamer, hielten die Menschen einen Moment lang inne, herrschte fast Stille im „Big Apple“. Mehrere Stunden dauerte die Gedenkfeier. Und jede Minute davon wurde live auf sämtlichen großen Fernsehsendern übertragen. 200 Angehörige von Opfern verlasen bedächtig und allzu oft mit Tränen in den Augen, dabei nur von einem Cello begleitet, die Namen derjenigen 2.749 Menschen, die an jenem Tag ihr Leben verloren hatten. Unterbrochen wurden sie nur von den Trompetern der New Yorker Polizei und Feuerwehr und von Bürgermeister Michael Bloomberg, der von einem „herzzerreißenden Jahrestag“ sprach, „an dem wir fünf Jahre danach immer noch fest geeint zusammenstehen“. Rudolph Giuliani, vor fünf Jahren der Bürgermeister von New York, wandte sich nach der dritten Gedenkminute an die Massen mit den Worten: „Gott segne all diejenigen, die ihr Leben verloren haben, Gott segne all diejenigen, die um sie trauern, ihrer gedenken, in ihrem Geiste weiterleben, und Gott segne Amerika.“ Präsident George W. Bush hatte mit seiner Frau Laura bereits am Abend zuvor am Ground Zero einen Kranz in einem rechteckigen Wasserbecken niedergelegt, das einen der eingestürzten Türme symbolisieren sollte. Den 11. September begann er mit einem Frühstück auf einer Feuerwache in New Yorks Lower Eastside, bevor er nach Shanksville, Pennsylvania, weiterflog, um dort, wie kurze Zeit später am Pentagon, mit seiner Frau einen Kranz niederzulegen. Am Abend wandte sich der Präsident in seiner erst fünften öffentlichen TV-Ansprache aus dem Oval Office an das amerikanische Volk. In seiner Rede schlug er schnell den Bogen vom 11. September zu den Konflikten in Afghanistan, dem Irak und dem Libanon, die er als „Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit“ bezeichnete. „Der Krieg gegen diesen Feind ist mehr als ein militärischer Konflikt. Es ist die entscheidende ideologische Schlacht des 21. Jahrhunderts und die Berufung unserer Generation.“ Der medialen Berichterstattung zum 11. September zu entgehen, war an diesem Tag so gut wie unmöglich. Sämtliche großen und kleinen Fernsehsendern berichteten. CNN strahlte noch einmal die Live-Berichterstattung von jenem Schicksalstag aus. Bereits Tage zuvor wurden auf allen Kanälen Sondersendungen, Dokumentationen und Interviews gezeigt. Doch nicht alles war in blau-weiß-roten Pathos getaucht. Es wurde auch Kritik laut, insbesondere an der Stadtverwaltung von New York und der US-Umweltschutzbehörde EPA. Ihnen wird vorgeworfen, Hunderte von Feuerwehrleuten und Polizisten, die am 11. September und in den Wochen danach am Ground Zero Hilfe geleistet hatten, unverantwortlich der Gefahr von giftigem Feinstaub ausgesetzt zu haben, der aus pulverisiertem Beton, Asbest, Baumaterialien und weiteren Substanzen bestand. Während bei den Aufräumarbeiten am Pentagon Atemschutzmasken Pflicht waren, arbeiteten die Helfer am Ground Zero wochenlang ohne jeglichen Schutz. So sind bei mehreren hundert „Helden des 11. September“ Jahre danach schwere Lungenschäden diagnostiziert worden, die einige von ihnen bereits mit ihrem Leben bezahlt haben. Die Stadt wälzt die Schuld auf die Umweltschutzbehörde, die wiederum den Schwarzen Peter an die Stadt zurückreicht. Die New Yorker indes begehen den Jahrestag auf ihre Weise. In über 80 städtischen Parks gaben am Nachmittag Musiker Konzerte, die um 14.00 Uhr für ein stadtweites Singen des Liedes „All You Need is Love“ von den Beatles unterbrochen wurden. Bei Sonnenuntergang leuchteten beim traditionellen „Tribute in Light“ am Ground Zero zwei gigantische Lichtkegel in den Himmel, die von 88 Riesenscheinwerfern gespeist wurden. Einige Menschen trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Wider das Vergessen“ oder „Wir stehen zusammen.“ Andere trugen Baseballkappen mit den Logos des FDNY, der New Yorker Feuerwehr oder des NYPD, der New Yorker Polizei. So auch die Spieler der beiden New Yorker Baseballmannschaften Mets und Yankees. Einige Bürger, wie der 53jährige Richard Kennaway aus New Jersey, der täglich zur Arbeit nach Manhattan pendelt, fühlten sich spontan berufen, ihren Gefühlen in Form eines Gedichts Ausdruck zu verleihen. So schreibt er auf einem Blatt Papier, das er an Freunde und Bekannte verteilte: „Ich denke an all diejenigen, deren Leben genommen/ Ich denke an Millionen, deren Tränen verronnen/… Gott segne Amerika und die USA/ Gemeinsam halten wir zusammen, Tag für Tag.“ Tim König , 30, arbeitet seit drei Jahren als Kundenberater in einer New Yorker Werbeagentur. Er studierte in Berlin, Paris und Austin (Texas) Betriebswirtschaftslehre. Foto: Blume auf dem Absperrgeländer von „Ground Zero“, wo bis 11. September 2001 das WTC stand: „Gott segne Amerika und die USA, gemeinsam halten wir zusammen“
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