Einen uralten VW-Bus, eine Kamera, ein Mikrofon und ein loses Mundwerk: Mehr braucht es heutzutage nicht, um zehntausende Menschen zu erreichen und Einfluß zu nehmen auf die Weltanschauung junger Leute. Die 21jährige Youtuberin „Eingollan“ hat 50.000 Abonnenten, über sieben Millionen Mal wurden ihre Videos bisher aufgerufen. Nonkonforme Youtube-Aktivisten stehen derzeit hoch im Kurs, selbst Fachkundige kommen kaum noch hinterher, bei den vielen neuen Kanälen. „Eingollan“ unterscheidet sich von den meisten ihrer Kollegen vor allem durch ihren jugendlichen Humor.
Der trägt mitunter skurrile Früchte, etwa wenn sie – in Anlehnung an die Trans-Debatte – mit aufgeklebtem Rauschebart im Weihnachtsmann-Kostüm über den Berliner Alexanderplatz flaniert und Passanten fragt, ob diese ihre neue Identität anerkennen würden.
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Ein anderes Mal geht sie mit ihrem Kumpel, dem „Ketzer der Neuzeit“, auf eine „Fridays for Future“-Demonstration, stellt Fragen und veralbert die Organisatoren. Die finden das gar nicht lustig und setzen kurzerhand zwei Ordner auf die beiden Frechdachse an, um zu verhindern, daß ahnungslose Klima-Besorgte mit ihnen sprechen. In solchen Momenten zahlt sich ihr jahrelanges Boxtraining aus, denn das sorgt für gute Ausdauer und macht flinke Füße. „Eingollan“ und der „Ketzer“ machen sich einen Spaß daraus, auf Kommando loszurennen und die Aufpasser abzuschütteln. Das Ergebnis: keine inhaltliche Debatte, dafür sehr gute Lacher in einem zehnminütigen Video.
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Die Amadeu Antonio Stiftung nennt sie „menschenfeindlich“
Doch sie kann auch anders: Immer wieder besucht sie deutschlandweit linke Veranstaltungen, filmt das Geschehen und stellt kritische Fragen. Das ist nicht immer ungefährlich. Bei einer Drag-Queen-Buchlesung für Kinder in München wird ihr vor laufender Kamera körperliche Gewalt angedroht. Auch auf ziviler Ebene ist sie durch ihren Erfolg zur Zielscheibe des politischen Gegners geworden.
Belltower News ist der Online-Blog der linken Amadeu Antonio Stiftung, die 1998 von der ehemaligen Staatssicherheits-Mitarbeiterin Anetta Kahane gegründet wurde. Dort erschien unlängst ein Text über „Eingollans“ Arbeit. Ohne Beispiele zu nennen oder sie persönlich zu befragen, werden ihr dort „menschenfeindliche Positionen“ unterstellt. Am Ende des Textes heißt es: „Man fragt sich, was hat sie bloß so ruiniert?“
„Eingollan“ hat eine Antwort. „Ich glaube, das hat mit 16, 17 Jahren durch meinen Vater angefangen. Er war immer schon sehr sehr kritisch“, sagt sie gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Sie habe schon bei der Migrationskrise im Sommer 2015 die Dinge anders gesehen, doch „Corona war die ausschlaggebende Zeit“, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie habe gesehen, wie ihre jüngere Schwester unter den Maßnahmen litt, und wollte ihren Ärger nicht länger in sich hineinfressen. Kurzerhand fing sie an, ihren vormals unpolitischen Reise-Kanal mit kritischen Videos zur Pandemie-Politik zu bespielen. Klima, Einwanderung, Gender und anderes kamen später dazu.
Hinter den Popkultur-Referenzen und selbstironischen Grimassen steckt eine nachdenkliche Frau. Sie hat kroatische und ostpreußische Wurzeln, dementsprechend ist sie katholisch, das volle Programm. Taufe, Kommunion und Firmung. Inzwischen habe sie jedoch die Kirche aus Gewissensgründen verlassen, da sie die Institution Kirche nicht unterstützen wollte und fand, daß sie ihren Glauben auch im Privaten ausleben könne. Spirituell sei sie weiterhin. „Wir sind alle göttliche Wesen“, sagt sie im Gespräch. Sie sei eigentlich für die Schauspielschule aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin gezogen.
„Eingollan“ ist dankbar für ihren Erfolg
Sie sei sich darüber bewußt, daß ihre Aussagen auf Youtube für ihre filmischen Ambitionen hinderlich sein könnten. Dennoch sei es ihr wichtig, öffentlich ihre Meinung zu äußern. Sie beklagt sich nicht darüber, sondern sagt: „Man ist genau richtig, wo man gerade ist.“ Daß der Youtube-Kanal so groß werden würde, habe sie nicht kommen sehen, doch sie sei dankbar. „Jeder Mensch hat nicht nur eine Gabe, sondern eine Lebensaufgabe in die Wiege gelegt bekommen“, sagt sie. Die Ideen für ihre Videos kämen meistens nachts, die Inhalte seien nicht tagespolitisch, sondern grundsätzlich. „Ich setze mich nicht für Video-Ideen aktiv hin und schaue mir die Nachrichten an.“
Sie ist optimistisch und blickt mit Vorfreude auf die Zukunft – trotz der Herausforderungen, die junge Frauen im Westen haben. „Eingollan“ möchte arbeiten und Spuren hinterlassen, doch sie will auch Kinder und Familie. Kein leichtes Ziel, doch machbar für jemanden mit ihrem Arbeitsethos. Montags bis donnerstags Schauspielschule, freitags bis sonntags Youtube. „Ich nehme mir wenig Freizeit“, sagt sie.
Was sie Olaf Scholz fragen würde, wenn sie dem Kanzler eine Frage stellen dürfte? „Wo gehen Sie zum Friseur?“ Wo sie ihre knapp bemessene Freizeit am liebsten verbringt? „Bei der Familie in Kroatien, ohne Internet.“ Ob Klima-Demonstrationen und 1.-Mai-Proteste in Berlin oder Drag-Queen-Lesungen für Kinder in München – solange ihr VW-Bus namens „Gunnar“ rollt und die Kamera genug Akku hat, werden „Eingollan“ die Themen nicht so schnell ausgehen.