Sie haben Millionen Zuschauer und sind am nächsten Tag oft Gesprächsthema in den sozialen Netzwerken sowie den Medien: Die Politik-Talkshows von ARD und ZDF sind eine Macht in der öffentlichen Debatte. Kaum ein Politiker, der nicht alles andere stehen und liegen läßt, um auf einem der begehrten Studiosessel bei den öffentlich-rechtlichen Sendern Platz zu nehmen.
Seit der Bundestagswahl im vergangenen Jahr waren nach Recherchen der JUNGEN FREIHEIT 426mal Politiker zu Gast bei den Sendungen von Maybritt Illner, Markus Lanz, Sandra Maischberger, Anne Will oder bei „Hart aber fair“. Einige natürlich öfter. So kam Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seit September 2021 auf satte 21 Auftritte.
Seit der Bundestagswahl wurde die AfD nicht eingeladen
Am häufigsten kamen dabei Politiker von CDU und CSU zu Wort. Sie waren 122mal eingeladen. Ihre Kollegen von der SPD kamen auf 119 Auftritte, Grünen-Politiker auf 86, FDP-Politiker waren 72mal zu Gast. Und die AfD? Nicht ein einziges mal saßen Vertreter der Oppositionspartei in den TV-Studios von ARD und ZDF. Selbst die nur knapp durch drei gewonnene Direktmandate in den Bundestag eingezogene Linkspartei war 26mal vertreten.
Interessant wird es, wenn die Anzahl der Talkshow-Auftritte mit dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl in Zusammenhang gesetzt werden:
Partei | Wahlergebnis | Talkshow-Anteil |
CDU/CSU | 24,1 Prozent | 28,7 Prozent |
SPD | 25,7 Prozent | 28,0 Prozent |
Grüne | 14,8 Prozent | 20,2 Prozent |
FDP | 11,5 Prozent | 16,9 Prozent |
AfD | 10,3 Prozent | 0,0 Prozent |
Linkspartei | 4,9 Prozent | 6,1 Prozent |
Alle Parteien – bis auf die AfD – sind verglichen mit ihrem Wahlergebnis in den Talkshows überrepräsentiert. Kann das Zufall sein oder führen ARD und ZDF tatsächlich einen „Medienkrieg“ gegen die AfD, wie einige in der Partei behaupten?
ARD: Talkshows sind keine „Ersatz-Parlamente“
Die JUNGE FREIHEIT fragte die beiden großen Sender, wieso die AfD nicht eingeladen wird und nach welchen Kriterien die Gäste eigentlich ausgewählt werden. Talkshows seien keine „Ersatz-Parlamente“, rechtfertigt die ARD den AfD-Bann. Eingeladen werde „themenbezogen“ und nach „rein journalistischen Kriterien“. Und: „Dabei werden Mitglieder verschiedener Parteien weder per se bevorzugt noch benachteiligt.“
Vom ZDF heißt es, die Gäste sollten „unterschiedliche Positionen und Perspektiven auf das Thema haben, kommen aus Politik, Wissenschaft und Journalismus oder sind engagierte, betroffene Bürgerinnen und Bürger“. Durch „kontroverse Debatten“ könnten sich Zuschauer eine Meinung bilden oder hinterfragen. Allerdings sei es nicht immer möglich, „alle denkbaren Positionen in einer Sendung abzubilden“. Der Sender verweist darauf, daß die Nachrichten- und aktuellen Magazinsendungen „inhaltlich und mit O-Tönen über die im Bundestag vertretenen Parteien“ berichten.
Kann das sein? 425 Politiker aus Opposition und Regierungsfraktionen werden eingeladen und wegen „journalistischer Kriterien“ ist keiner von der AfD dabei, obwohl die Partei fraglos zahlreiche Alleinstellungsmerkmale hat, die eine gewünschte „kontroverse Debatte“ vielleicht erst möglich machen?
AfD-Chef ist stinksauer
AfD-Chef Tino Chrupalla glaubt nicht an einen Zufall. „Die offenkundig systematische Ausgrenzung der AfD bei Einladungen zu den Talk-Formaten von ARD und ZDF ist eine klare Verletzung des Programmauftrags und der Pflicht zur Ausgewogenheit“, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Einer politischen Kraft mit Millionen Wählern werde „die Präsenz in wichtigen Formaten verweigert“.
Chrupalla wirft den öffentlich-rechtlichen Sendern Manipulation vor, die den politischen Diskurs und die Demokratie beschädige. „Für den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt ist das ein Armutszeugnis. Das gesamte System des durch Zwangsgebühren finanzierten Rundfunks hat sich überlebt und muß dringend reformiert und zurechtgestutzt werden.“
Sender müssen Meinungsvielfalt abbilden
Der Auftrag, der mit Milliarden Euro aus Rundfunkgebühren finanzierten Sender, ist im Rundfunkstaatsvertrag definiert: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schrieb 2016 in einem Gutachten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei „zur Ausgewogenheit und Vielfalt verpflichtet“ und müsse „zumindest allen Tendenzen Raum“ geben.
Einklagbar sind solche Grundsätze allerdings nicht, da die Sender offiziell autonom arbeiten. Und da die „journalistischen Kriterien“, nach denen die Gäste ausgesucht werden, nirgendwo definiert oder veröffentlicht wurden, können ARD und ZDF wohl auch weiter nach Gutsherrenart einladen.