Eine Zensur findet nicht statt“, garantiert das Grundgesetz. Doch mit dem noch vom alten Bundestag verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sollen über den Umweg der tatsächlichen und vermeintlichen Haßsprache unliebsame Beiträge in sozialen Medien unterdrückt werden. Ab 1. Januar endet die Übergangsphase. Internetunternehmen drohen dann drastische Geldstrafen, wenn sie „offensichtlich strafbare“ Beiträge nicht innerhalb von 24 Stunden löschen.
Die Judikative ist bei diesem Verfahren praktisch entmachtet. Erstmals bestimmt nach dem Ende der SED-Diktatur wieder eine deutsche Regierung, was unter die Meinungsfreiheit fällt. Die Social-Media-Konzerne müssen Folge leisten, ein Beschwerde-Management einrichten und ohne Anhörung der Betroffenen so schnell wie möglich löschen. Sie greifen dabei auch auf automatisch löschende Algorithmen zurück. Manchmal reicht ein falsches, nicht beleidigendes Wort, damit ein ganzer Beitrag verschwindet.
Doch bereits vor dem Inkrafttreten des von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erarbeiteten Gesetzes ist es für ein demokratisch ausgerichtetes Land zu ungewöhnlichen Zensurmaßnahmen gekommen. Die JUNGE FREIHEIT dokumentiert elf Fälle aus dem ablaufenden Jahr, die nur beispielhaft für unzählige stehen.
Dazu gehören auch die Unterdrückung von Nachrichten und das Ausgrenzen von Opfern islamischer Anschläge, die die Flüchtlingspolitik in Frage stellen könnten. Denn Zensur hat viele Gesichter und zeigt sich auch im Umgang mit Angriffen auf Politiker. Nicht alles, was zensiert wird, geht auf das NetzDG zurück, zum Teil reicht Druck der Bundesregierung oder die politische Einstellung von Journalisten.
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ZDF lädt Anschlagsopfer aus
Könnten die zwölf Opfer des Weihnachtsmarkt-Anschlages von Berlin noch leben, wenn Angela Merkel nicht die Grenzen geöffnet hätte? Denn der Attentäter kam auf diesem Weg nach Deutschland. Diese Frage hätte Astrid Passin in der ZDF-Wahlarena „Klartext, Frau Merkel“ stellen können. Doch die Sprecherin der Opfer wurde kurz vor Sendebeginn ausgeladen. Ihr Auftritt hätte die Kanzlerin, die nicht einmal kondoliert hatte, in Schwierigkeiten bringen können. Das wollten offenbar weder Kanzleramt noch ZDF.
Film von „Achse des Guten“ gelöscht
Daß Zensur auch renommierte Journalisten treffen kann, erlebten Welt-Kolumnist Henryk M. Broder und Islam-Experte Hamed Abdel-Samad. Sie interviewten für die „Achse des Guten“ Seyran Ates, die in Berlin eine Reformmoschee führt. Sie erhält Morddrohungen, lebt unter ständigem Polizeischutz. Broder fragte nach der Solidarität angeblich friedlicher Muslime. Ates‘ Antwort: Vielleicht seien die doch „nicht so friedlich“. Youtube löschte das Video. Auch andere Youtuber wie Hagen Grell oder Martin Sellner berichten von Sperren und Reichweiteneinschränkungen. Kommendes Jahr will die Videoplattform 10.000 neue Mitarbeiter für die Kontrolle und das Löschen von „extremistischen“ Inhalten einstellen.
WDR stoppt Antisemitismus-Film
WDR und Arte gaben einen Film über Antisemitismus in Europa in Auftrag. Doch als darin nicht nur alte und neue Nazis vorkamen, sondern auch muslimische Migranten, die Juden ermordeten oder „Juden ins Gas“ riefen, wurde die geplante Ausstrahlung gestoppt. Grund: Die Doku sei nicht ausgewogen genug. Antisemitismus auch als Problem der Zuwanderung gilt als „Thema verfehlt“. Nach heftigen Protesten zeigte der öffentlich-rechtliche Sender die Produktion doch – allerdings mit konterkarierenden Untertiteln.
MDR entfernt Pegida-Retter aus „Tatort“
Im „Tatort“ ist eine Mördergattung überrepräsentiert: der weiße deutsche Mann, meist Unternehmer und konservativer Gesinnung. Migranten spielen als Opfer oder zu Unrecht Verdächtigte mit. Menschen mit Pegida-Abzeichen aber retteten im Dresden-„Tatort“ einen Rollstuhlfahrer vor dem Selbstmord. Kurz vor der Sendung mußte der Film „überarbeitet“ werden. Die Hinweise auf Pegida verschwanden. Tip an den Regisseur: Demnächst einfach Pegida-Demonstranten als Mörder zeigen, dann wird nichts zensiert.
Kritik an Maas: Twitter sperrt Account
Mit dem Herrn über die Meinungsfreiheit sollte sich besser niemand anlegen. Der Unternehmer Kolja Bonke fragte über Twitter, ob Heiko Maas noch zu seiner Aussage stehe, es gebe keine nachweisbare Verbindung zwischen Terroristen und Flüchtlingen. Dann folgte ein weiterer kritischer Tweet gegen den Minister – Twitter sperrte den Account vorübergehend. Als Bonke es danach ironisch als „total gemein“ bezeichnete, daß Maas’ Anti-Rechts-Buch nicht positiv rezensiert werde, folgte die dauerhafte Sperre.
Facebook entschuldigt sich bei Hayali
Auch Promis können gesperrt werden, bekommen aber schnell eine Entschuldigung. So löschte Facebook einen ironischen Beitrag der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, der sich gegen einen Internet-Hater richtete. „Emre“ hatte die Journalistin wegen ihrer Türkei-Kritik als „eine falsche ratte wie der rest von diesem land“ beschimpft. Hayalis Antwort im gleichen Stil wurde gelöscht, während der Haß-Kommentar stehenblieb. Facebook stellte den Post wieder her und entschuldigte sich bei der Fernsehjournalistin.
Ausklammern von Gewalttaten
Helle Empörung, auch bei der Bundeskanzlerin, verursachte eine Attacke gegen Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein. Ein Mieter, dem das Wasser abgestellt worden war, verletzte ihn leicht am Hals. Weil er vor dem Angriff kritisierte, daß für ihn nichts, für Flüchtlinge aber alles getan werde, bekam die Tat den Spin „rechtsextrem“. Fast gar nicht berichtet wurde dagegen über die nahezu gleichzeitig begangenen Körperverletzungen von Linksradikalen gegen Delegierte, die auf dem Weg zum AfD-Parteitag waren.
Satire darf nichts mehr
Daß Satire alles darf, war einmal. Für das Posten einer JF-Karikatur zur „Ehe für alle“, sperrte Facebook Chefredakteur Dieter Stein für drei Tage. Sollte er die Zeichnung noch einmal verbreiten, drohe ihm der dauerhafte Ausschluß.
Fakten zur Flüchtlingskriminalität zensiert
„Bestrafe einen, erziehe viele“, kommentierte Publizist David Berger seine 30-Tagessperre bei Facebook. Mit ihm wurden Ines Laufer und Karoline Seibt blockiert. Ihr Vergehen: Sie teilten einen akribisch recherchierten Beitrag Laufers zur Kriminalität von Flüchtlingen, die um ein Vielfaches höher sei als die Einheimischer. Der Text bietet Grafiken, ist sachlich formuliert und beruht auf den offiziellen Kriminalitätsstatistiken. Diese Fakten dürfen über soziale Medien nicht mehr verbreitet werden.
Kritik an Kopftuch-Barbiepuppe verboten
„Frauenunterdrückung ist kein Spielplatz“, meinte die Publizistin Birgit Kelle auf Facebook. Mit diesem kritischen Teaser verlinkte sie einen Welt-Artikel über die neue Barbiepuppe, die Hersteller Mattel mit Kopftuch ausstattet. Doch Kritik am Hidschab im Kinderzimmer verträgt sich nicht mit den Gemeinschaftsstandards von Facebook. Das Unternehmen sperrte sie wegen dieser Meinung für eine Woche. Erst der Medienanwalt Joachim Steinhöfel erreichte, die Blockade zu verkürzen. Denn die war – wie viele andere – rechtswidrig. Normale Nutzer können sich jedoch selten juristischen Beistand leisten.
Eingeschränkte Meinungsfreiheit
Konservative oder regierungskritische Meinungen auf Facebook zu vertreten, wird mit dem NetzDG immer schwieriger. Publizisten oder Netzaktivisten wie Imad Karim, Anabel Schunke, Chris Ares, Cahit Kaya oder Markus Hibbeler erhalten regelmäßig Sperren. Schunke zuletzt für 30 Tage wegen eines einzigen Satzes: „Sexueller Übergriff oder auf neudeutsch: Den Nafri machen“. Aber auch einzelne Inhalte werden gelöscht. So wie ein Video eine Woche vor Weihnachten, das zeigt, wie ein junger Kameruner in Nürnberg eine Rentnerin mit Schlägen und Tritten lebensgefährlich verletzt. Das Video verschwand nicht nur von Schunkes Profil, sondern auch von zahlreichen anderen Accounts, unter anderem auch dem von Alice Weidel (AfD).
JF 52/17