„Ich halte Gemütlichkeit nicht für eine journalistische Tugend, im Gegenteil“, schreibt der Journalist Wolfgang Herles. „Früher war es viel ungemütlicher, wurde viel mehr gestritten … Demokratie heißt Streit“, so der 75jährige.
Bundesweit bekannt wurde Herles einst vor allem als Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Bonn und Moderator des Politmagazins „Bonn direkt“. Später moderierte er die Kultursendung „Aspekte“. Heute ist er Kolumnist bei Tichys Einblick und häufig bei Nius Live zu Gast.
Nun hat er unter dem Titel „Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers“ seine Autobiographie vorgelegt, die zugleich die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland spiegelt, die gerade einmal ein Jahr älter ist als er. Gemütlich war es nie?
Fünf Jahre zuvor ist das Dritte Reich kollabiert
Dazu eine Passage aus Herles’ Erinnerungen, die einem Ganghofer-Roman Ehre machen würde: „In dunkeln Stuben unter niedrigen Decken löffeln alle aus der Gemeinschaftsschüssel in der Mitte des Tisches. Die Väter drücken die selbstgebackenen Brotlaibe an die Brust und schneiden sie mit scharfer Klinge an, nicht ohne zuvor drei Kreuze in die Kruste zu ritzen.“ Kindheit im Bayerischen Wald, bevor die Familie Herles an den Bodensee zieht.
Wolfgang Herles wird am 8. Mai 1950 in Tittling im Landkreis Passau geboren. Der 8. Mai – ein denkwürdiges Datum. Wolfgang Herles bezeichnet es als Datum von historischer Wucht. „Hitler-Deutschland ist auf den Tag fünf Jahre zuvor kollabiert, hat kapituliert. Das bedeutet beides, totale Niederlage und Befreiung. Westdeutschland ist befreit, wenn auch noch nicht frei“, schreibt der Skeptiker in seinen Erinnerungen.
Und ein weiteres Ereignis gibt dem achten Tag des fünften Monats eine historische Bedeutung. Nochmals Herles: „Genau ein Jahr vor meiner Geburt, am 8. Mai 1949, hat der Parlamentarische Rat im Zoologischen Museum Koenig zu Bonn den Entwurf des Grundgesetzes beschlossen.“
Ein Achtundsechziger ist er nicht
Zwanzig Jahre später. Wolfgang Herles, Sohn eines Lehrers, besteht das Abitur erst beim zweiten Anlauf. Sowieso steht er mit den damals üblichen autoritären Erziehungsmethoden der Schule auf Kriegsfuß. Es ist die Zeit der sogenannten Achtundsechziger-Bewegung, deren Ausläufer auch das heimische Lindau erreichen.
„Meine Abscheu gegen die Schule ist aber doch ganz und gar unpolitisch“, erinnert sich Herles. „… die echten Achtundsechziger träumen von einem anderen Land, mir würde schon eine andere Schule genügen. Eine, die dem Individuum Respekt zollt.“
Und weiter resümiert er: „Was die radikalen Studenten unter Freiheit verstehen, ist etwas völlig anderes. Von ‘Selbstverwirklichung’ quatschen sie nur. Sie bewundern autoritäre Diktaturen. Von der notwendigen ‘Liberalisierung’ des Landes haben sie keine Ahnung. Gemeinsam haben wir allenfalls, daß wir nicht länger Leuten von gestern und ihren fragwürdigen Maximen folgen wollen.“

Zu den Ostverträgen hat er eigentlich keine Meinung
Nach dem Abitur besucht er 1972/73 die Deutsche Journalistenschule in München. Für die Bewerbung werden zwei Probeartikel verlangt. Zum einen eine Reportage über ein Lokal seiner Wahl. Diesen Text habe er absichtlich in einem possierlichen Ton verfaßt. Deutlich anspruchsvoller ist der geforderte Kommentar zu dem damals aktuellen Thema „Liegt die Ratifizierung der Ostverträge im Interesse der Bundesregierung?“.
Er habe seinerzeit dazu nicht einmal eine eigene Meinung gehabt, gibt er zu, und auf seiner Monica-Schreibmaschine lediglich Angelesenes aufs Papier getippt. Dennoch schafft er es in die Endrunde und muß neben einem Wissenstest eine weitere Reportage schreiben.
Thema: „Gehört der Rundfunk den Parteien?“ Daß ihn die Verflechtung von Politik und Medien ein Berufsleben lang beschäftigen und er es am eigenen Leibe zu spüren bekommen wird, ahnt der junge Herles da noch nicht. Ab 1980 arbeitet er für verschiedene ARD-Formate, 1984 wechselt er zum ZDF: „Abschuß durch das Kanzleramt“ nennt es der Spiegel Jahrzehnte später, als Wolfgang Herles 1991 auf Betreiben von Bundeskanzler Helmut Kohl vom ZDF als Leiter des Hauptstadtstudios Bonn abgesetzt wird.
„Wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf“
Die „Vergehen“, die ihm der Kanzler der Einheit ankreidet, sind unter anderem seine Priorisierung Bonns als Hauptstadt des vereinten Deutschlands und seine unverhohlen geäußerte Skepsis, ob der eingeschlagene Weg zur deutschen Einheit der richtige ist. Und als Tüpfelchen auf dem i zitiert Herles in seiner Sendung „Bonn direkt“ auch noch Bertolt Brecht: „Wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf, wer sie kennt und verschweigt, ist ein Verbrecher.“
Daß damit Helmut Kohl gemeint war, der unbeirrt und, wohl wider besseres Wissen, den Eindruck vermittelte, die Sanierung der ehemaligen DDR sei aus der Portokasse zu bezahlen, ist kaum zu leugnen. Schon 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, erscheint Herles’ Buch „Nationalrausch“. Er schreibt dazu in seinen Erinnerungen, er sei nicht gegen die Wiedervereinigung gewesen, sondern gegen die Fehler auf dem Weg dorthin und gegen deren parteipolitischen Mißbrauch.
Die fatale Entwicklung hin zur heutigen Konformität im Mainstream-Journalismus nimmt ihren Anfang, so Herles, in jenen Jahren zwischen Bonner und Berliner Republik. Zu Beginn des Jahres 1991 glaubt der ZDF-Intendant Dieter Stolte (mit dem Wolfgang Herles oft über Kreuz liegt) alle Redaktionsleiter per Anweisung daran erinnern zu müssen, das ZDF sei eine nationale Anstalt und habe deshalb der deutschen Einheit zu dienen.
Unter Merkel ergrünt auch das ZDF
Unter Helmut Kohl fungiert das ZDF offen als dessen Erfüllungsgehilfe – und „als Merkel das Land nachhaltig ergrünen läßt, ergrünt auch das ZDF“. Im Jahr 2015 erscheint zu dieser unseligen Vermengung das wohl bekannteste Buch von Wolfgang Herles. Es trägt den Titel „Die Gefallsüchtigen“ mit der Unterzeile: „Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“.
„Damals“, erinnert Herles an den Beginn der Neunziger, „ist die deutsche Einheit das, was heute der Klimawandel ist. Es ist genau dasselbe. Nur in grün. Komisch ist das schon. Kaum galt ich noch als ‘links’, weil ich mich mit dem schwarzen Riesen Kohl anlegte, wurde ich bald schon zum Rechten gestempelt, ohne mich zu verändern. Damals wie heute finde ich, daß es die Aufgabe von Journalisten ist, die Legitimation des Staates und seiner Amtsträger in Frage zu stellen.“
In seiner Autobiographie tauchen Namen auf, die im Laufe der Jahrzehnte mehr oder weniger prägend waren. Ereignisse und Begebenheiten werden beleuchtet, deren Auswirkungen auf unsere Gegenwart zum Zeitpunkt ihres Geschehens kaum absehbar waren.
Gutmenschentum gab es damals schon
Etwa eine Auslandsreise mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker durch Afrika. „Bildungsbürger unterm Strohhut auf großer Tour“, so Herles. „Der deutsche Idealist umarmt den Diktator von Simbabwe, Robert Mugabe, als Freund und preist ihn als Hoffnung für Afrika. Nicht mehr lange, dann enteignet der Despot die weißen Siedler und stürzt sein fruchtbares Land ins Elend …“
Gutmenschentum habe es schon damals gegeben, konstatiert Herles, aber es sei nur der Anfang einer verhängnisvollen politischen Entwicklung gewesen. Heute gebe die „Globaler Süden“ genannte Dritte Welt den Ton an. „Postkoloniale Identitätspolitik“, so Herles, „schreibt heute zwingend vor, daß Afrikaner nur Opfer sein können, niemals Täter, und Weiße immer nur Täter, niemals Opfer.“
„Der Abweichler ist ein Feindbild“
Auch die Bildungspolitik nimmt Herles ins Visier. Er erinnert daran, daß schon im Jahr 2001, beim ersten PISA-Test, Deutschland lediglich den 17. Platz unter 32 Ländern belegte. Die Bildungskatastrophe halte bis heute niemand auf, so Herles. Dahinter vermutet er Absicht und nennt die weitgehende Verdummung als eine unbedingte Voraussetzung für die geplante „Große Transformation“. „Wer leicht zu gängelnde, manipulierbare Bürger benötigt, darf ihr Urteilsvermögen nicht auch noch schärfen.“
Nein, das darf man nicht, wenn man Skeptiker wie Wolfgang Herles verhindern möchte. Und sollte es doch noch Skeptiker geben, werden sie zu Gegnern erklärt. Nochmals original Herles: „… der Impfskeptiker zum Impfgegner, der Skeptiker der Energiewende zum Klimaleugner, der Integrationsskeptiker zum Ausländerfeind, der EU-Skeptiker zum angeblich nationalistischen EU-Gegner. Der Abweichler ist ein Feindbild. Geschlossenheit ist Kult. Es herrscht eine in Deutschland wieder besonders ausgeprägte Form der Harmoniesucht im Dienste vermeintlich höherer Moral.“