Otfried Preußler ist ein spannender Name für ein Gymnasium. Insofern hätte es ein Glücksfall sein können, als das Gymnasium im bayerischen Pullach 2013 im Todesjahr des Schriftstellers die Namensrechte erhielt. Preußler hätte für Generationen von angehenden Abiturienten eine historische Persönlichkeit sein können, an der sie sich reiben und mit der sie eigene Ansprüche vergleichen können: ein Angehöriger der von der tschechoslowakischen Regierung in Prag drangsalierten deutschen Minderheit in Böhmen, ein begeisterter Hitlerjunge, der freiwillig in den Krieg zieht, obwohl er lieber in Prag Literaturwissenschaften studiert hätte, ein Infanterieoffizier, der als noch nicht einmal Volljähriger als Kompaniechef Verantwortung für 200 Mann übernimmt und der 1949 als Pazifist aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, nicht aber in seine Heimat zurückkehren darf.
Sein Trauma hat Preußler in seinem Jugendbuch „Krabat“, seiner Variante der gleichnamigen sorbischen Sage, versucht zu verarbeiten, an dem er zehn Jahre geschrieben hat, ehe er es 1971 für veröffentlichungsreif hielt. „Mein Krabat ist“, schrieb der aus Reichenberg im Sudetenland stammende Deutsch-Böhme später, „meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation und die aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.“
Wie Krabat fasziniert Preußler, Jahrgang 1923, die Macht, die mittels Magie über andere Menschen ausgeübt werden kann. Nur ist es in seinem Fall keine Zauberei, sondern die Verführungen der nationalsozialistischen Ideologie vermischt mit Kameradschaftsgeist, die den hochtalentierten und sportlichen Jungen – wie die Geschwister Scholl – zu einem begeisterten Hitlerjungen macht.
Man warf Preußler vor, er habe ein „Machwerk“ geschrieben
Am Oftried-Preußler-Gymnasium Pullach zeigte man sich dagegen unfähig, die Komplexheit des Lebenslaufes dieses Erfolgsschriftstellers – insgesamt 35 Kinder-, Jugend- und Bilderbücher mit einer Gesamtauflage von 50 Millionen Exemplaren und übersetzt in 55 Sprachen – zu erfassen. Geradezu empört zeigten sich die tonangebenden Lehrer, Schüler, der Elternbeirat sowie der Pullacher Gemeinderat – letzterer war schon immer gegen die Benennung des Gymnasiums nach Preußler gewesen, allerdings wegen fehlenden regionalen Bezugs –, als eine Arbeitsgruppe plötzlich herausfand, Preußler sei nicht nur ein begeisterte Hitlerjunge gewesen, sondern habe als 17jähriger auch ein „Machwerk“ geschrieben, das Westalliierte wie Sowjets nach ihrem Sieg in den Giftschrank nationalsozialistischer Literatur verbannten: „Erntelager Geyer“. Ein Frühwerk aus dem Jahr 1940 über eine Gruppe Pimpfe, die eher in der Tradition der Jungturnerschaft als der sudetendeutschen HJ den Anschluß des Sudetenlandes an das Reich begrüßten.
Nun hat Preußler nie verschwiegen, daß er wie Hunderttausende anderer Jungen seiner Generation ein begeisterter Hitlerjunge war. Auch nicht, daß er sich wie die Mehrheit seines Jahrgangs nach dem mit Auszeichnung bestandenen Abitur freiwillig zum Kriegsdienst meldete. Dabei begnügte er sich mit einem sächsischen Fußregiment und meldete sich nicht wie der spätere Nobelpreisträger und moralisierende Sozialdemokrat Günter Grass zur Waffen-SS.
Das Desaster der (nach ihrem Untergang in Stalingrad neu aufgestellten) 6. Armee in Bessarabien überlebte er 1944 wie durch ein Wunder und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft sah er „die andere Seite der Medaille“: „Dann bekommen Dinge eine andere Perspektive, einen anderen Hintergrund.“ Für Preußler hieß das: „Ich nehme keine Knarre mehr in die Hand, nicht einmal im Spaß.“
War Krabat eine Allegorie auf den Nationalsozialismus?
Eine Rückkehr in die Heimat blieb ihm verwehrt, die Tschechen hatten das Kriegsende genutzt, um endlich die ihnen verhaßten Deutschen aus deren böhmischer und mährischer Heimat zu vertreiben. Im wahren Leben gab es kein Mädchen Kantorka wie bei Krabat, das alles zum Guten wenden kann, keine Erlösung durch die Liebe.
Mit Krabat habe „der große Erzähler eine dunkle Allegorie auf den Nationalsozialismus“ geschaffen, schrieb der Spiegel in einem Nachruf auf den im Februar 2013 Verstorbenen. Daß dieser in jener Geschichte des Zauberlehrlings, der sich gegen einen der schwarzen Magie verschriebenen Lehrmeister behaupten muß, seine eigene Jugend verarbeitet hat, scheint bis heute am Gymnasium in Pullach niemand zu begreifen, zu engstirnig ist dort der Blick auf den Zeitgeist ausgerichtet.
So schmückt man sich lieber mit leeren Begriffen wie „Schule gegen Rassismus“ oder „Schule mit Courage“, statt sich dem Lebenslauf Preußlers zu stellen, der „gerade auch mit den Brüchen des Lebens für das steht, was ungemein wichtig und offensichtlich schwer zu leben ist: Anstand und Toleranz, Zivilcourage und Mitmenschlichkeit“, so der Preußler-Experte Carsten Gansel, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Mediendidaktik an der Universität Gießen, vorige Woche in einem längeren Spiegel-Gespräch zur umstrittenen Umbenennung des Pullacher Gymnasiums. In diesem Interview berichtet Gansel auch, daß er bereits im März 2020 eine Einladung zu „Expertengesprächen“ erhalten hatte, in denen es um eine „Delegitimierung des Menschen, des Autors und des Werks“ gegangen sei.
„Belastende“ Texte, die gar nicht von ihm stammten
Man habe nach Gründen gesucht, den Namen wieder loszuwerden und dabei nicht einmal davor zurückgeschreckt, Preußler „belastende“ Texte zuzuschreiben, die gar nicht von ihm stammten. Besonders übel nehmen die Pullacher Moralisten dem Schriftsteller, daß sich Preußler „nie erklärte oder sich ausdrücklich für seine damaligen Taten schämte“. Anfang März dieses Jahres nahm der Zweckverband des Gymnasiums einen Antrag der Schule auf Umbenennung in „Staatliches Gymnasium Pullach im Isartal“ einstimmig an.
Während in Bayern demnächst das zuständige Ministerium entscheiden wird, ob es dem Antrag auf Umbenennung des Gymnasiums zustimmt, wird im westsächsischen Zwickau die Schiller-Grundschule ihren Namen verlieren, was indirekt auch etwas mit Oftried Preußler zu tun hat. Denn neuer Namensgeber soll ein Mann sein, der in der Verfilmung von Preußlers gleichnamiger Geschichte den Räuber Hotzenplotz spielt: Gert Fröbe.
Ebenfalls eine Persönlichkeit mit NS-Vergangenheit. Stellte Preußler nach eigenen Angaben als 17jähriger einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, so will Fröbe, 1913 in Zwickau-Oberplanitz geboren, 1988 in München gestorben, bereits 1929 als 16jähriger der Partei beigetreten sein, wobei seine Mutter die Mitgliedsbeiträge bezahlt haben soll. Als diese ausblieben, flog Fröbe als säumiger Zahler am 18. Oktober 1937 wieder aus der Partei.
„Natürlich war ich ein Nazi“
Zum Widerstandskämpfer machte ihn das nicht. Im Gegenteil, 1965 traf ihn kurzzeitig der Bannfluch aus Israel, als die britische Daily Mail ein Interview mit dem James-Bond-Schurken „Goldfinger“ mit der Zeile überschrieb: „Natürlich war ich ein Nazi“. Zum Glück erhielt Fröbe einen Persilschein eines jüdischen Bekannten, der ihm bescheinigte, in seinen Wiener Jahren einer aus rassistischen Gründen verfolgten Familie geholfen zu haben.
Dieser dürfte auch der Zwickauer Grundschule „mit Plan und Witz“ (Eigenwerbung) ausreichen, um am 14. Juni das Schild „Gert-Fröbe-Schule“ anzubringen. Ministerium und Stadtrat haben zugestimmt und die Fröbe-Tochter Beate Fröbe freut sich: „Das Lachen der Kinder und diese glücklich zu sehen“, habe ihren Vater froh gemacht.