BERLIN. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), hat einen Gastbeitrag in der Welt, der sich kritisch mit Frühsexualisierung im Kinderfernsehen auseinandersetzt, scharf kritisiert. Wer die Idee, es gebe nur zwei Geschlechter, verbreite, mache sich der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ schuldig, schrieb er in einem Gegenkommentar in dem Springer-Blatt.
In der kritisierten Studie hatten mehrere Biologen und Mediziner Beiträge der öffentlich-rechtlichen Medien analysiert und waren zu dem Schluß gekommen, daß „eine kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer ‘woken‘ Trans-Ideologie den ÖRR unterwandert, Falschdarstellungen als vermeintlichen Stand der Wissenschaft verbreitet und das Leben von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beschädigt“ hätten.
Lehmann schrieb, der Beitrag stehe stellvertretend für eine „immer aggressivere Hetze vor allem gegen trans Menschen“. Er bezeichnete es als „bigott“, daß der Artikel ausgerechnet zu Beginn des „Pride Month“ veröffentlicht worden war und der Springer-Konzern, dem die Welt angehört, am selben Tag die Regenbogenfahne gehißt habe. „Mehr Abwertung geht nicht“, urteilte er, „denn das Pamphlet trieft vor Homo,- und Transfeindlichkeit, ist wissenschaftlich nicht fundiert und arbeitet mit Fake News“.
Lehmann: Zweigeschlechtlichkeit „quasi kreationistisch“
Er nahm die von den Forschern besonders kritisierten öffentlich-rechtlichen Formate „Sendung mit der Maus“ und „Quarks“ in Schutz. Deren Berichterstattung über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit leisteten einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über sexuelle Vielfalt und nehme betroffenen Kindern und Jugendlichen die Angst vor angeblicher gesellschaftlicher Diskriminierung. Dies seien gute Nachrichten.
Mit Blick auf die von den Autoren aufgestellte Behauptung einer „wissenschaftlichen Erkenntnis der Zweigeschlechtlichkeit“ schrieb er, man könne spätestens an dieser Stelle „den Text eigentlich weglegen und als quasi-kreationistisches Erzeugnis ignorieren“. Lehmann verweist außerdem darauf, daß die Weltgesundheitsorganisation Transgeschlechtlichkeit im Jahr 2018 offiziell von der Liste der Krankheiten gestrichen habe. Diese sei „ebenso wie Intergeschlechtlichkeit oder Nicht-Binarität eine Variante der geschlechtlichen Entwicklung“. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 geurteilt, daß geschlechtliche Identität ein zu schützender Kernbereich der eigenen Persönlichkeit sei.
Ginge es nach dem Queer-Beauftragten, wäre auch die von den Wissenschaftlern aufgestellte Kategorisierung der Gender-Debatte als „Trend-Thema“ transfeindlich. Kaum etwas sei fundamentaler, als die Aufteilung der Menschheit in Mann und Frau, dies beginne bereits vor der Geburt eines Kindes. „Wer nicht in diese Schubladen paßt, hat in dieser binär geprägten Gesellschaft ein Problem“, mahnte der Grünen-Politiker.
„Wir sind nicht empfindlich. Wir sind es einfach leid!“
Zudem wirft er den Forschern vor, Falschmeldungen in Bezug auf die Politik der Bundesregierung zu verbreiten. Daß 14jährige sich künftig gegen den Willen ihrer Eltern einer Geschlechtsumwandlung unterziehen könnten, sei nicht geplant. Nach wie vor seien derartige Eingriffe „nicht gesetzlich geregelt“, sondern eine Entscheidung zwischen Betroffenen und Ärzten.
Die Bundesregierung bereite lediglich vor, das Transsexuellengesetz abzuschaffen. Dieses sieht vor, daß sich ein Mensch vor einer Änderung seines Geschlechtseintrags in staatlichen Ausweisdokumenten einem psychologischen Gutachten unterziehen muß. „Diese Verfahren sind langwierig, teuer und mit intimsten Fragen nach Unterwäsche oder Masturbationsverhalten entwürdigend“, monierte Lehmann.
Er schreibe diese Entgegnung nicht nur als Regierungsbeauftragter. Er schreibe sie auch als schwuler Mann und als jemand, der „solidarisch mit allen Minderheiten ist, die wegen ihres So-Seins diskriminiert werden“. Kritikern, die meinten, es gebe wichtigere Probleme, hielt er entgegen: „Wir sind nicht empfindlich. Wir sind es einfach leid!“
Springer-Verlag entschuldigt sich
Kurz nach Veröffentlichung des Gastbeitrages der Wissenschaftler in der Welt, hatte die queere Jobmesse der Uhlala-Group, den Springer-Konzern ausgeladen. Obwohl man dem Medienhaus für jahrelange Unterstützung dankbar sei, sehe man sich dazu gezwungen, weil man „Haß und Hetze“ entschlossen entgegentrete, hieß es auf der Website des Unternehmens.
Springer-Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner reagierte darauf mit einem Brief an alle Mitarbeiter des Unternehmens, der auch auf der Website der Welt erschienen war. Darin bedauert er den Zeitpunkt des Beitrags zu Beginn des „Pride-Months“, betont, daß die Gastautoren nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln würden und nennt den Ton des Artikels „oberflächlich, herablassend und ressentimentgeladen“. Inhaltlich sei dieser „bestenfalls grob einseitig“.
Mit Blick auf die Ausladung Springers durch die Uhlala-Group schrieb Döpfner, daß Ausgrenzung Debatten, Erkenntnisse und Entwicklung behindere. Sie sei „das exakte Gegenteil von Inklusion und Vielfalt“. Es sei eine „fast tragische Pointe, wenn ausgerechnet der Kampf für Vielfalt und Inklusion, für Toleranz und Freiheit der Lebensformen mit den Mitteln von Ausgrenzung, Intoleranz und Unfreiheit geführt wird“. Zudem bot Döpfner Uhlala-Geschäftsführer und Veranstalter der Sticks & Stones Jobmesse, Stuart Bruce Cameron an, ebenfalls eine Gegendarstellung in der Welt zu veröffentlichen und bat darum, wieder auf die Messe eingeladen zu werden: „Wir jedenfalls wären gerne dabei, weil uns die Sache, die die Messe vertritt, wirklich am Herzen liegt.“ (st)