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Luca Steinmann: Kriegsreporter verdient sich den großen Lorbeerkranz

Luca Steinmann: Kriegsreporter verdient sich den großen Lorbeerkranz

Luca Steinmann: Kriegsreporter verdient sich den großen Lorbeerkranz

Luca Steinmann trifft Talibankämpfer
Luca Steinmann trifft Talibankämpfer
Wer Kriegsreporter sein will, muss zuerst die Herzen der Menschen erobern – Luca Steinmann mit Talibankämpfern Foto: privat
Luca Steinmann
 

Kriegsreporter verdient sich den großen Lorbeerkranz

Verdiente Auszeichnung: JF-Autor Luca Steinmann erhält den italienischen Journalistenpreis „Premiolino“. Steinmann hat Kriegsberichterstattung aus Afghanistan, Bergkarabach und der Ukraine gemacht. Warum er immer eine Schachtel Zigaretten dabei hat, obwohl er nicht raucht, verrät er im Interview.
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Luca Steinmann, am Montag erhielten Sie den Premiolino, den ältesten und einen der wichtigsten italienischen Journalistenpreise, für Ihre Kriegsberichterstattung im Donbass von der russischen Front aus für das Nachrichtenformat TgLa7 Special, für „La Repubblica“ und für das geopolitische Magazin „Limes“. Waren Sie überrascht?

Luca Steinmann: Ja, ich habe nicht erwartet, daß ich belohnt werde. Die Auszeichnung freut mich vor allem deshalb, weil sie zeigt, daß es möglich ist, auf der Seite eines feindlichen Landes geschätzt zu werden, ohne Propaganda machen zu wollen. Ich habe es als eine Auszeichnung für meinen Versuch verstanden, diesen Konflikt auf wirklich unabhängige Weise zu erzählen.

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Erstmals reisten Sie am 18. Februar 2022 in den Donbass, wenige Tage später begann die russische Offensive in der Ukraine. Ihre Eindrücke damals?

Steinmann: Von Beginn des Konflikts an befand ich mich in einer sehr heiklen Lage, mitten in einem Propagandakrieg. Ich kam am 18. Februar über Rußland in den Donbass, zusammen mit dem italienischen Fotojournalisten Gabriele Micalizzi, der mit mir zusammenarbeitete. Am nächsten Tag schlossen die russischen Behörden die Grenzen zu den selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk und hinderten andere Journalisten daran, in die Konfliktgebiete zu gelangen.

In den ersten Wochen des Krieges war ich zusammen mit französischen Kollegen der einzige westliche Journalist, der über die Kämpfe auf russischer Seite berichtete. Die Situation war sehr heikel: Einerseits hatte ich die Augen der russischen Behörden auf mich gerichtet, die mich leicht für einen feindlichen Propagandisten oder Spion halten konnten. Andererseits konnte ich nicht ausschließen, daß diejenigen, die meine Berichte in den westlichen Medien sahen und lasen, mich als nachsichtig gegenüber den Russen betrachten würden. Ich habe immer versucht, objektiv zu sein und die Fakten so genau wie möglich zu berichten, damit ich nicht angegriffen werden konnte.

„Die Russen stehen vor einer titanischen Konfrontation“

Sie kommen gerade aus der Ostukraine zurück. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Steinmann: Die russische Armee leidet unter Männermangel. Wenn sie wieder vorankommen will, muß sie viel mehr Kräfte ins Feld schicken, zum Beispiel durch die Rekrutierung ihrer eigenen Bürger, um sie an die Front zu schicken. Dies hätte sicherlich erhebliche psychologische Auswirkungen auf die russische Gesellschaft und würde die Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber dem Krieg verstärken. Wir können eindeutig sagen, daß es sich für die Russen nicht mehr nur um eine „spezielle Militäroperation“ handelt, sondern um eine echte titanische Konfrontation, die die gesamte russische Gesellschaft und das Machtsystem betrifft. Die Ermordung von Daria Dugina in Moskau beispielsweise zeigt, daß der Konflikt nun das Herz Rußlands erreicht hat.

Gab es Schwierigkeiten bei der journalistischen Arbeit vor Ort?

Steinmann: Ich wurde mehrmals von der ukrainischen Armee beschossen, auch wenn ich mich in städtischen Gebieten weit weg von militärischen Zielen befand. Ein weiteres Problem war der Druck, den ich von den Russen bezüglich meiner Veröffentlichungen erhielt. Ich habe jedoch nie unter einer Zensur gelitten und konnte immer frei veröffentlichen, was ich wollte.

Alle Vorzüge oder Nachteile meiner Arbeit sind auf mich zurückzuführen und nicht auf andere. Der Druck äußerte sich vor allem darin, daß die russischen Behörden mich sofort ausweisen konnten, wenn meine Arbeit als ungeeignet angesehen wurde. Zweimal wurde ich wegen meiner Arbeit von den Schlachtfeldern verwiesen, aber es gelang mir immer, an die Front zurückzukehren. Ich hatte auch Probleme mit Redakteuren westlicher Medien, die meine Arbeit als Mittel zur Bestätigung ihrer eigenen antirussischen ideologischen und redaktionellen Linie ansahen, was mich in große Gefahr brachte. Aber auch hier habe ich es geschafft.

Wie nah sind Sie dem Kampfgeschehen gekommen?

Steinmann: Ich war wiederholt an der Front und arbeitete mit russischen Vanocore-Reportern zusammen, die sich auf das Filmen der Kämpfe spezialisiert hatten. Ich berichtete über die erste Phase der russischen Offensive in der Region Donezk und dann über die Schlacht um Mariupol, wobei ich zwischen den riesigen sowjetischen Gebäuden von Haus zu Haus zog, während ringsherum Kugeln, Bomben und Raketen niederprasselten.

Ich bin während der Kämpfe zwischen tschetschenischen Spezialeinheiten und dem Asow-Bataillon in das Stahlwerk von Asowstal eingedrungen. Dann zog ich in die Region Lugansk und folgte der russischen Armee in die Schützengräben, die in den Steppenwiesen ausgehoben worden waren, während vor uns, nur wenige Meter entfernt, die ukrainischen Schützengräben lagen. In den letzten Wochen durften wir jedoch nicht mehr an die Front gehen. Jetzt, da die ukrainische Offensive begonnen hat, verstehen wir, warum.

Der Nichtraucher mit den Zigaretten im Rucksack

Was nimmt man als Journalist mit, wenn man in Krisengebiete reist?

Steinmann: Helm, kugelsichere Weste, eine Tasche mit Medikamenten und ein Erste-Hilfe-Set zur Behandlung von Verletzungen. Eine Kamera, ein Notizbuch, eine Taschenlampe. Ich habe auch immer eine Schachtel Zigaretten dabei, obwohl ich nicht rauche. Ich biete Soldaten und Menschen, die ich treffe, Zigaretten an, denn das ist immer eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.

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Sie haben unter anderem auch in der JUNGEN FREIHEIT aus verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan, Bergkarabach und der Türkei berichtet. Lieben Sie die Gefahr?

Steinmann: Eigentlich nicht, ich brauche das Adrenalin nicht zum Leben, und wenn ich zu Hause bin, geht es mir sehr gut. Ich denke jedoch, daß man in Kriegsgebieten Zugang zu Informationen erhält, die sonst unzugänglich wären, aber auch zu beruflichen und menschlichen Kontakten, die unbezahlbar sind.

Das Gefühl der Freundschaft und Kameradschaft, das sie mit denjenigen aufbauen, die mit ihnen ihr Leben riskiert haben, ist etwas Einzigartiges. Wenn man Krisenmomente von innen erlebt, hat man meiner Meinung nach eine viel tiefere Fähigkeit zur geopolitischen Analyse. Wenn man sieht, wie sich die Menschen im Laufe der Zeit aufgrund der geopolitischen Veränderungen, die sie durchmachen, verändern, kann man meiner Meinung nach die tieferen Gründe und Folgen dessen, was man erlebt, besser verstehen und sie so besser in das internationale Schachbrett einordnen.

Welche Reportage empfinden Sie im nachhinein als gefährlichste?

Steinmann: Es waren so viele von ihnen. In der Region Lugansk schlug eine Rakete genau hinter unserem Auto ein, und zwar genau an der Stelle, an der ich wenige Sekunden zuvor war. An der ersten Feuerlinie in Awdejewka, nördlich von Donezk, geriet ich unter schweren Beschuß.

Dann können Sie weglaufen oder in Deckung gehen, aber Sie wissen, daß Ihr Leben wirklich in den Händen des Schicksals liegt. Vor vierzehn Tagen beschossen die Ukrainer die Straße, auf der ich unterwegs war und die Donezk mit Mariupol verbindet. Eine Rakete schlug direkt vor uns ein, traf einen Lieferwagen und tötete den Fahrer. Drei Kollegen, mit denen ich zusammenarbeitete, wurden schwer verletzt und zwei ihrer Fahrer starben.

Gab es positive Überraschungen?

Steinmann: Neben so viel Unmenschlichkeit und Kälte habe ich außergewöhnliche Menschen mit unglaublicher Großzügigkeit und Menschlichkeit getroffen. Im allgemeinen ist der erste Eindruck bei Begegnungen mit Menschen aus Rußland und dem Donbass der von Kälte, wenn nicht gar Mißtrauen. Ist das anfängliche Eis erst einmal gebrochen, entwickeln sie eine außergewöhnliche Herzlichkeit und Großzügigkeit. Ich kehre nach Hause zurück und bringe die Freundschaft von außergewöhnlichen Menschen mit, von denen viele sehr unterschiedliche Ansichten über Politik und Krieg haben.

Kriegsberichterstattung mit Wetttrinken

Gab es gar lustige Begebenheiten?

Steinmann: Eines Abends mußte ich, um den Respekt einer Gruppe von Russen zu gewinnen, einen von ihnen herausfordern, den meisten Wodka zu trinken. Wenn ich gewinnen würde, würden sie mich an einen Ort bringen, den ich besuchen wollte. Ich gewann, aber am nächsten Morgen konnte mein Herausforderer wegen des Alkohols nicht aus dem Bett aufstehen, und wir kamen nicht weiter. Ich habe mich aber nicht beschwert, denn mein Kopf war auch am Explodieren.

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Haben Sie Pläne für eine nächste Reportage?

Steinmann: Ich denke, ich werde bald in den Donbass zurückkehren müssen, der nach wie vor im Mittelpunkt dieses ungewissen Krieges steht. Theoretisch wäre ich in den nächsten Monaten gerne zu Hause geblieben, um ein Buch zu schreiben.

Luca Steinmann auf den Spuren Peter Scholl-Latours, der fast die ganze Welt bereiste? Ein Vorbild für Sie?

Steinmann: Natürlich bin ich ein begeisterter Leser von Peter Scholl-Latour. Ich bin auch ein begeisterter Leser eines anderen Journalisten, der sich in den deutschen Medien einen Namen gemacht hat: des Italieners Tiziano Terzani, der während des Vietnam- und des Kambodscha-Krieges als Kriegsberichterstatter für den Spiegel tätig war. In Italien ist Terzani eine lebende Legende. Ich denke, es ist ein großes Verdienst der deutschen Presse, zwei so freie und tiefgründige Schreiber wie Scholl-Latour und Terzani hervorgebracht zu haben. Ich hoffe wirklich, daß ich in Zukunft Berichte von neuen Korrespondenten wie ihnen lesen kann.

JF 38/22

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