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Lagebericht zum Krieg: Ukraine gelingt Durchbruch im Nordosten

Lagebericht zum Krieg: Ukraine gelingt Durchbruch im Nordosten

Lagebericht zum Krieg: Ukraine gelingt Durchbruch im Nordosten

Ukrainische Soldaten nach der Eroberung einiger Städte in Charkiw Foto: picture alliance / AA
Ukrainische Soldaten nach der Eroberung einiger Städte in Charkiw Foto: picture alliance / AA
Ukrainische Soldaten nach der Eroberung einiger Städte in Charkiw Foto: picture alliance / AA Metin Aktas
Lagebericht zum Krieg
 

Ukraine gelingt Durchbruch im Nordosten

Die Unkenrufe auf einen unvermeidlichen Sieg der russischen Truppen im Ukraine-Krieg erweisen sich als Irrtum. Die Ukraine erobert in der Oblast Charkiw immer mehr Städte zurück. Fast stündlich ändert sich die Frontlinie im Nordosten und verschiebt sich weiter zugunsten Kiews.
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Als die russische Invasion in die Ukraine begann, prophezeiten nicht wenige Stimmen im Westen den baldigen Untergang Kiews und das Ende der Souveränität des Landes. Politiker etlicher Parteien, aber auch Militärs wie der frühere Bundeswehr-General Erich Vad sprachen Ende Februar davon, daß der Ukraine nur noch wenige Stunden oder Tage blieben, ehe die Sache militärisch zugunsten Rußlands entschieden sei. Seither werden er und der sich ebenfalls im Ruhestand befindende General Roland Kather nicht müde, im deutschen Fernsehen zu erklären, warum die Ukraine angeblich keinerlei Aussicht auf Erfolg habe.

Letzterer behauptete Mitte August, der Ukraine fehle die „Fähigkeit zu einer weiträumigen Bewegungsoperation am Boden“. Wie falsch all diese Analysen sind, zeigt die Realität. Während im Süden der Ukraine die von Präsident Wolodymyr Selenskyj angekündigte Offensive einen großen Teil der russischen Streitkräfte bindet und vor allem Fallschirmjäger und mechanisierte Bataillonskampfgruppen der gegnerischen Truppen anlockte, gelang derweil der Durchbruch im Nordosten. Die Ukraine zeigt, daß sie sehr wohl noch Zähne hat und die eigenen Waffen sowie die gelieferten neuen Systeme aus dem Westen gut einzusetzen weiß. Die Unkenrufe auf eine baldige Niederlage des Landes und den unvermeidlichen Sieg des russischen Bären haben sich als Irrtümer erweisen.

Was am vergangenen Donnerstag abend nur ein kaum bestätigtes Gerücht war, entpuppt sich mittlerweile als brutale Realität, die auch von pro-russischen Militärberichterstattern und Propagandisten kaum noch geleugnet werden kann. Immer deutlicher tritt zum Vorschein, was passiert ist: Die Ukraine hat es in den vergangenen Wochen und Monaten offensichtlich geschafft, in der Oblast Charkiw und nah an der Frontlinie im Donbass eine substanzielle, aber immer noch verhältnismäßig kleine Streitmacht zusammenzuziehen. Diese besteht aus erfahrenen Truppen und kampferprobten Panzerkräften sowie mechanisierter Infanterie, die mit Raketenwerfer-Systemen des Typs HIMARSund Panzerhaubitzen unterstützt werden.

Kohäsion der russischen Truppen rund um Kupjansk bröckelt

Der ukrainischen Militärführung ist es augenscheinlich gelungen, diese Truppen weitestgehend verdeckt an die Front im Osten heranzuführen, während im Süden die Offensive zur Rückeroberung Chersons bereits begonnen hatte. Zur Abwehr dieser ukrainischen Offensive hatte die russische Generalität einen Großteil der kampfstarken eigenen Bataillonskampfgruppen zur Verteidigung des besetzten Chersons abkommandiert. Dazu mußte sie die Truppen im Donbass ausdünnen und bisher von erprobten Truppen verteidigte Stellungen mit russischen Nationalgardisten (Rosgvardia), Volksmilizen und anderen Einheiten aus der Nachhut auffüllen. Wie dünn und schlecht die Verteidigungslinien des Landes tatsächlich besetzt waren, zeigte sich in den vergangenen 72 Stunden: Präzisionsschläge durch die von den Ukrainern genutzten HIMARS zerstörten Berichten nach etliche im Kommandozentren und Gefechtsstände der Russen, die im Vorfeld aufgeklärt wurden.


Noch während der Beschuß durch die Artillerie lief, durchstießen mechanisierte ukrainische Verbände zusammen mit Panzerkeilen (jeweils nicht mehr als 10 bis 18 Kampfpanzer laut Militäranalysten) die russischen Linien in der Oblast Charkiw in Richtung Kupjansk. Die mittelgroße Kleinstadt ist von enormer Bedeutung für die Logistik im gesamten Frontbereich, weshalb sie zusammen mit Isjum zum Ziel des ukrainischen Vorstoßes wurde. Russische Truppen hatten die Städte bereits im März besetzt. Seither dienen sie als Steuerungszentren der Operationen entlang des Siwerskyji Donez.

Schon in den ersten 24 Stunden des Angriffs deutete sich an, daß die Kohäsion der russischen Truppen rund um Kupjansk bröckelt. Bilder und Videos von durchstoßenden ukrainischen Schützenpanzern und befreiten Ortschaften fluteten das Internet. Russische Militärblogger versuchten ein Lagebild zu zeichnen, das eine Frontbegradigung zeigt. Man sei bereits im Gegenangriff und hätte die Ukrainer vollständig zurückgeschlagen, hieß es noch am Donnerstag abend. Die russischen Truppen zögen sich geordnet zurück, um die gegnerischen Soldaten in eine Falle laufen zu lassen. Vorbereitete Todeszonen würden nun auf diese warten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ukrainer erst rund 20 Kilometer in den russisch besetzten Raum vorgedrungen.

Vermeintliche Propaganda wird zur Realität

Am Samstag abend hörten sich die Töne aus dem russischen Verteidigungsministerium plötzlich ganz anders an. Man sei zurückgefallen und dem Feind ausgewichen, um sich bei Donezk neu zu gruppieren, heißt es. Damit bestätigten sie, was in den Reihen der Russen nur Stunden zuvor noch als Propaganda aus Kiew galt: Die gesamte Frontlinie im Nordosten ist kollabiert und der Ukraine gelang binnen weniger Stunden die Einnahme von Kupjansk und Isjum.

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In Videoaufnahmen werden die Soldaten von den Bewohnern der befreiten Städte wie Helden begrüßt. Die blau-gelbe Fahne wird ihnen von Anwohnern entgegengehalten. Die Berichte, wonach sich die russischen Truppen aufgrund zerstörter Kommunikationslinien und fehlender Führung in einem heillosen Rückzug befinden sollen, entpuppen sich als Realität.

Fast stündlich ändert sich die Frontlinie im Nordosten und verschiebt sich immer weiter zugunsten Kiews. Am Samstag abend drangen die ukrainischen Truppen bereits mehr als 80 Kilometer auf das besetzte Gebiet vor und es mehren sich Berichte von etlichen Gefangenennahmen und Dutzenden Fällen, in denen russische Einheiten schlichtweg überrollt werden. Mehrere höhere Offiziere seien bereits in Gefangenschaft geraten, weil die Front sich derart schnell bewege, daß kaum Zeit bleibe, dem ukrainischen Gegner auszuweichen. Bilder und Videos aus dem Kriegsgebiet legen nahe, daß vieles davon der Realität entspricht.

Eine Finte des Kremls ist unwahrscheinlich

Russische Blogger und „Kriegsinfluencer“ wie War Gonzo oder Igor Girkin, die Hunderttausende Anhänger in den sozialen Medien haben und das Geschehen von Anfang an begleitet haben, reden die Offensive der Ukraine mittlerweile nicht mehr klein. Stattdessen scheint es vermehrt Rufe nach Verstärkung zu geben. Etliche russische Truppen, die kopflos in die laufende Offensive der Ukrainer geschickt wurden, sollen angeblich bereits zerstört worden sein. Daß all dies eine geniale Finte des Kremls sein soll, erscheint unwahrscheinlich. Am Wochenende wird der „Tag der Stadt Moskau“ gefeiert. Paraden, Feuerwerk und politische Prominenz sind in der Hauptstadt zugegen, während kurz darauf Regionalwahlen in Rußland stattfinden. Die Regierung würde den Feiertag und den Urnengang wohl kaum von Nachrichten über einen kopflosen Rückzug im Osten der Ukraine überschattet wissen wollen.

Selbst nördlich von Charkiw sollen die Ukrainer bereits Gelände zurückgewonnen haben. Die Stadt Woltschansk, nur einen Katzensprung von der russisch-ukrainischen Grenze und der Stadt Belgorod entfernt, sei im Begriff zurückerobert zu werden. Im Nordosten hat die Ukraine entgegen aller Erwartungen klar die Initiative gewonnen und korrigiert Gebietsverluste, die die gesamte Kohäsion der russischen Front im Donbass bedrohen.

Ukrainische Soldaten nach der Eroberung einiger Städte in Charkiw Foto: picture alliance / AA Metin Aktas
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