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Debatte um Gastbeitrag in der „SZ“: Habermas spricht sich für Aufrüstung der EU aus – und erntet Kritik

Debatte um Gastbeitrag in der „SZ“: Habermas spricht sich für Aufrüstung der EU aus – und erntet Kritik

Debatte um Gastbeitrag in der „SZ“: Habermas spricht sich für Aufrüstung der EU aus – und erntet Kritik

Der Philosoph Jürgen Habermas spricht sich in einem Gastbeitrag für die „SZ“ für die Aufrüstung der EU aus und erntet zwiespältige Reaktionen. Foto: picture alliance/dpa | Arne Immanuel Bänsch
Der Philosoph Jürgen Habermas spricht sich in einem Gastbeitrag für die „SZ“ für die Aufrüstung der EU aus und erntet zwiespältige Reaktionen. Foto: picture alliance/dpa | Arne Immanuel Bänsch
Der Philosoph Jürgen Habermas spricht sich in einem Gastbeitrag für die „SZ“ für die Aufrüstung der EU aus und erntet zwiespältige Reaktionen. Foto: picture alliance/dpa | Arne Immanuel Bänsch
Debatte um Gastbeitrag in der „SZ“
 

Habermas spricht sich für Aufrüstung der EU aus – und erntet Kritik

Der berühmte Philosoph Jürgen Habermas wagt sich in einem Beitrag für die „SZ“ aus der Deckung. Ohne Waffen könne die EU nicht für ihre Werte eintreten und sie gegen Machtrealisten wie Trump oder Putin behaupten. Die ersten Reaktionen sind gespalten.
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MÜNCHEN. Der Philosoph Jürgen Habermas hat sich vor dem Hintergrund des Zerwürfnisses zwischen der EU und den Vereinigten Staaten für eine Wiederaufrüstung Europas ausgesprochen. „Die Mitgliedsländer der Europäischen Union müssen ihre militärischen Kräfte stärken und bündeln. weil sie sonst in einer geopolitisch in Bewegung geratenen und auseinanderbrechenden Welt politisch nicht mehr zählen“, mahnte Habermas in einem Gastbeitrag für die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung.

Die Annäherung der Vereinigten Staaten unter Präsident Trump an Rußland stelle die „zu Recht in Anspruch genommene Grundlage für den Beistand der Ukraine in Frage“. Die Europäer könnten ihren Einsatz für die Ukraine zwar „mit guten völkerrechtlichen Gründen rechtfertigen“. Ihr Erfolg hänge aber letztlich von „Trumps schierer Machtpolitik“ ab.

Vorwürfe gegen Scholz und Merkel

Deshalb plädierte der 95jährige für eine EU, die „auf globaler Ebene als selbstständiger militärischer Machtfaktor wahrgenommen werden“ könne. „Nur als eine selbstständige politisch handlungsfähige Union können die europäischen Länder ihr gemeinsames weltwirtschaftliches Gewicht auch für ihre normativen Überzeugungen und Interessen wirksam zur Geltung bringen.“

In diesem Zusammenhang machte Habermas sowohl der einstigen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch dem noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schwere Vorwürfe. Diese seien den „langjährigen Bemühungen“ Frankreichs um die Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses mit „Ignoranz und Untätigkeit“ begegnet. Der voraussichtlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) stehe hier vor einer „gewaltigen Aufgabe“. Der Intellektuelle zeigte sich jedoch leise zuversichtlich, daß Merz in diese Herausforderung „auf überraschende Weise wachsen könnte“.

Warnung vor deutschen Alleingängen

Dabei warnte der einstige Leiter des renommierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung eindringlich vor deutschen Alleingängen: „Was würde aus einem Europa werden, in dessen Mitte sich der bevölkerungsstärkste und wirtschaftlich führende Staat auch noch zu einer alle Nachbarn weit überragenden Militärmacht mausern würde, ohne verfassungsrechtlich zwingend in eine gemeinsame, an Mehrheitsentscheidungen gebundene europäische Verteidigungs- und Außenpolitik eingebunden zu sein?“

Daher könne er die „Stärkung einer gemeinsamen militärischen Abschreckungsmacht der Europäischen Union“ nur unter dem Vorbehalt weiterer Schritte auf dem Weg zur europäischen Integration vertreten, so der Autor von bahnbrechenden Studien wie dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ oder der „Theorie des kommunikativen Handelns“.

Historiker wirft Habermas Konfusion vor

Die ersten Reaktionen auf den Artikel in der Süddeutschen fielen verhalten aus. Der Historiker Bert Hoppe etwa warf Habermas vor, sich in seiner eigenen Argumentation zu verrennen. Zwar erkenne der Philosoph die Notwendigkeit an, aufzurüsten, um der Bedrohung durch Rußland entgegenzutreten. „Aber Habermas bleibt sich treu und verbindet dieses abstrakte Eingeständnis mit einer konkreten Realitätsverleugnung. Denn wozu soll diese europäische Streitmacht eigentlich eingesetzt werden?“, fragte Hoppe, der einst unter dem bekannten Geschichtswissenschaftler Heinrich August Winkler in Berlin forschte und anschließend Station am Washingtoner Kennan Institute sowie am am Institut für Zeitgeschichte machte.

An dieser Stelle werde der Philosoph „gesprächig“, winkte Hoppe in seiner Einschätzung des SZ-Beitrags ab, da Habermas gleichzeitig die Bedrohung, die tatsächlich von Rußland ausgehe, kleinrede. „Es ist einigermaßen erschütternd anzusehen, wie der einstige Großdenker Habermas seine Weltanschauung durch die Realität eben nicht erschüttern läßt – und auch gar nicht merkt, daß er die Argumente von Trump teilt, der ihm der neue Gottseibeiuns ist“, faßte Hoppe seine Stellungnahme zusammen.

Auch andere Intellektuelle melden sich zu Wort

Dabei war Habermas nicht der erste Intellektuelle, der sich öffentlich über die Folgen des europäisch-amerikanischen Zerwürfnisses für die deutsche Verteidigungspolitik Gedanken macht. Bereits vor zwei Wochen etwa hatte der Althistoriker Egon Flaig in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Beispiel der Ukraine zur mehr Opferbereitschaft in Europa aufgerufen. „Maßgeblich ist, welchen Wert die Staatsbürger der politischen Freiheit zumessen und wie wertvoll ihnen die Zugehörigkeit zu ihrer Nation ist. Wenn die Politisierung steigt, dann steigert sich auch der Opfermut“, stellte der einst an der Universität Rostock lehrende Professor fest.

Dabei erinnerte er auch in kritischer Absicht an die von Habermas in der 2005 veröffentlichten Aufsatzsammlung „Zwischen Naturalismus und Religion“ (Suhrkamp) vertretene Auffassung, daß die Bereitschaft zur Aufopferung für „fremde und anonym bleibende Mitbürger“ den Mitgliedern „eines liberalen Gemeinwesens nur angesonnen“ werden dürfe. Diese Aussage markiere einen „einen schroffen Bruch mit der Tradition des republikanischen Denkens“, so Flaig. Habermas entpolitisiere mir derartigen Verdikten das Gemeinwesen, welches in der Folge in sich zusammenfalle: „Werte existieren in dem Maße, wie Menschen gewillt sind, für sie Opfer zu bringen.“

Jürgen Habermas gilt als einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Unter anderem beschäftigte er sich mit der Frage, wie der Umstand, daß Menschen miteinander kommunizieren, ihre Rationalität beeinflußt. Seine Forschung, die allgemein der „Frankfurter Schule“ zugerechnet wird, vereinigt Anstöße aus dem philosophischen Marxismus, aus der analytischen Sprachphilosophie sowie aus dem amerikanischen Pragmatismus miteinander. Eines seiner wichtigsten Werke ist die „Theorie des kommunikativen Handelns“. (fw)

Der Philosoph Jürgen Habermas spricht sich in einem Gastbeitrag für die „SZ“ für die Aufrüstung der EU aus und erntet zwiespältige Reaktionen. Foto: picture alliance/dpa | Arne Immanuel Bänsch
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