Der Nationalökonom Werner Sombart erfuhr vom Kriegsbeginn am 1. September 1939 durch seinen Sohn. Er fragte ihn: „Weißt du, was das bedeutet, mein Junge?“ und beantwortete die Frage selbst: „Das ist das Ende Deutschlands!“ Hitler konnte nun Dinge tun, die er im Frieden nicht wagte. Ende Oktober erteilte er den Euthanasiebefehl. Und bald begann er umzusetzen, was er am 30. Januar 1939 vor dem Reichstag angedroht hatte: die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“. Der 9. November 1938, als SA-Horden vergeblich antijüdischen Volkszorn zu entfachen versuchten, hatte ihn darüber belehrt, daß auf das Volk dabei kein Verlaß war. Erst der Krieg erlaubte ihm, seinen mörderischen Trieb zu befriedigen. Um die Drohung zu begründen, hatte er eine „Bolschewisierung der Erde und damit den Sieg des Judentums“ beschworen. Wie er auf diese Idee verfiel und warum sie eine infernalische Kraft entfalten konnte, ist eine Schlüsselfrage zum Verständnis des 20. Jahrhunderts. Brigitte Hamann hat nachgewiesen, daß Hitler bis zu seinem Weggang aus Wien 1913 keineswegs der rabiate Antisemit war, als der er sich seit 1919 hervortat. Welche Erlebnisse und Erfahrungen ihm in der Zwischenzeit den Wahnsinn eingaben, ist ein Desiderat für Historiker. Deutschland hat sich mit dem gigantischen Stelenfeld im Herzen der Hauptstadt bereits festgelegt. Es besagt: Der Judenmord kam aus der Mitte des deutschen Volkes! Er ist das zentrale, sinnstiftende Ereignis seiner Geschichte, das alle Bereiche transzendiert. Bundestagspräsident Thierse behauptet, es werde von der „ganzen deutschen Gesellschaft“ errichtet. Doch der Souverän, das deutsche Volk, ist nie gefragt worden. 61 Prozent, so eine neue Umfrage, wollen ein Ende der Dauerpenetration. Und von denen, die im Begriff sind, sie mit dem Mahnmal zu verewigen, wissen nur wenige, was sie tun. Wollen sie einen Schlußstrich ziehen oder ihn verhindern? Wollen sie Versöhnung erlangen oder Kollektivschuld bekunden? Oder wollen sie – mit Gerhard Schröder – bloß einen Ort, wo man „gerne hingeht“? Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, gehört zu den wenigen, die die Konsequenzen auf den Punkt bringen: „Das ins nächste Millennium hineinwirkende Mahnmal bedarf keiner breiten Zustimmung: künstlerische Qualität wird nicht durch Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt.“ Das ist deutlich, aber falsch: Korn beruft sich auf die Freiheit der Kunst, wo es sich um die Manifestation des Dogmas durch Okkupation des öffentlichen Raumes handelt. Es ließe sich einwenden, das Projekt sei ausführlich debattiert und schließlich vom Bundestag mehrheitlich beschlossen worden, wie das in der repräsentativen Demokratie üblich ist. Aber haben wir denn überhaupt eine Elite, die vom Eigennutz absehen kann, die sich in genügender Distanz vom politischen Alltagsgeschäft befindet, um historische Lang- und Kurzzeitperspektiven zu unterscheiden? Über die Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh höhnt der Historiker Götz Aly, sie verkörpere nicht das „bessere“, sondern das „dumme“ Deutschland. Wolfgang Thierse galt in der Akademie der Wissenschaften, seiner Arbeitsstelle in der DDR, als „Mauerblümchen“. Nun will er auf dem Mauerstreifen ein Zeichen späten Bekennermuts pflanzen. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich bis heute nicht ehrlich dazu erklärt, wieso sein Vater Deportationspapiere für Auschwitz abzeichnete. Und Jan Philipp Reemtsma entstammt einer Familie, die die Nationalsozialisten mit Spenden bedacht und im Gegenzug gut verdient hat. Nur Salomon Korn kommt ehrlich zur Sache: Das Mahnmal solle „ein öffentliches Ärgernis bleiben – ein Pfahl im Fleisch der Erinnerung“. Es stehe für die Absage an jeden „Rest an ungebrochenem Nationalbewußtsein“. Mit Deutschland sei nur noch eine „’negative‘ Identifizierung“ erlaubt, denn seine neuere Geschichte sei ein „blutiger Ozean“. Auch die Protokollstrecke für internationale Staatsgäste solle am Denkmal vorbeiführen. Aus Korns Formulierungen spricht das – aus seiner Biographie begreifliche – Ressentiment gegen das „Tätervolk“. Juden sind in der Vergangenheit oft durch Symbole gedemütigt worden. Korns Wunsch ist es, die Demütigung umzukehren. Doch wem kann es nützen, diesen Wunsch zu erfüllen? Denkmäler sagen mehr über die Zeit ihrer Entstehung aus als über das Ereignis, auf das sie sich beziehen. Manchmal bleiben sie auch nach ihrer Historisierung in neuer Funktion lebendig. Das Leipziger Völkerschlacht- und das Kyff-häuserdenkmal im Harz erlauben prachtvolle Panoramablicke. Eine vergleichbar pragmatische Umwidmung und Profanierung des Berliner Stelenwaldes ist wegen seiner Gestaltung, singulären Aussageabsicht und zentralen Lage unmöglich. Man muß ihn entweder abreißen oder immer wieder neu rechtfertigen. Um der Historisierung vorzubeugen, soll ihm ein unterirdischer „Ort der Information“ beigegeben werden, der alternierend „Raum der Stille“ genannt wird. Der mythologische und der historische Diskurs, der sakrale und der kognitive Aspekt werden miteinander vermischt. Das Ergebnis wird ein geist- und freiheittötender politischer Fundamentalismus sein! Die Deutschen wären als ewiges Mördervolk an die Person Hitlers gekettet, was exakt seiner Absicht entspricht, sie durch die Verbrechen, die er befahl, an sich zu binden. Es wäre das von Sombart prophezeite Ende Deutschlands. Einer von Hitlers Paladinen sagte: „Alles, was wir sind, sind wir von Adolf Hitler und durch Adolf Hitler.“ Nach dem Willen der Mahnmals-Betreibern soll Hitler nicht nur unsere Gegenwart bestimmen, sondern auch, was wir waren und sein werden! Die NSDAP war für Hitler das Werkzeug zur Eroberung Deutschlands. Und Deutschland sollte das Werkzeug sein, um die Welt aus den Angeln zu heben. Als das gescheitert war, waren ihm Land und Volk egal und galt ihnen seine Rache. Mehrfach hat er erklärt, wenn der Krieg verlorenginge, dann sei auch das deutsche Volk verloren. Rücksichtnahme auf die Grundlagen für sein Weiterleben sei nicht notwendig, denn die Guten seien gefallen, und übriggeblieben seien bloß die Minderwertigen. Zu den Grundlagen eines Volkes gehören auch seine geistigen und kulturellen Traditionen. Diese sollen unter Betonmassen begraben werden. Wenn am 8. Mai 2005 die Thierses und Roshs zur Einweihung des Mahnmals ihre Reden halten, wird man ein infernalisches Gelächter vernehmen. Es kommt direkt aus der Hölle, in der ER schmort: Sie glauben, IHN ausgetrieben zu haben und haben doch nur SEINEN Willen erfüllt. Was sie für die Lehre aus der deutschen Geschichte halten, ist SEIN Sieg.