Auf der Frankfurter Buchmesse treffen sich jedes Jahr für fünf Tage in der ersten Oktoberhälfte Menschen aus der ganzen Welt, die mit dem geschriebenen Wort den Gang der Geschichte in irgendeiner Art und Weise erklären oder zu beeinflussen versuchen. Das ist wohl der maßgebliche Grund für die Faszination, die dieses Ereignis ausübt, das in der gegenwärtigen Form seit 1949 stattfindet. Auch dieses Jahr konnte man in den Ständen der etwa 7.100 Austeller beobachten, wie sich Autoren, Publizisten, Verlage, Organisationen, staatliche Behörden usw. zu den neuralgischen Themengebieten des öffentlichen Lebens positionieren.
Was den katholischen Bereich anbelangt, so sind die sogenannten „Reformkatholiken“ zur Zeit besonders aktiv. Vor allem Herder hat etliche Titel herausgegeben, in denen zentrale Inhalte des Lehramtes in Frage gestellt oder direkt angegriffen werden. Zu dem schon in der letzten Kolumne erwähnten Buch des Tübinger Theologen Hermann Häring, „Keine Christen zweiter Klasse“, gesellen sich Titel „Der Fall Tebartz-van Elst: Kirchenkrise unter dem Brennglas“, von Joachim Valentin herausgegeben, oder „Leitbild am Ende? – Der Streit um Ehe und Familie“. In einem verschärft rigiden Ton werden die polemischen Themen Sexual- und Ehemoral, Zölibat, hierarchische Verfassung der Kirche usw. wieder aufgewärmt.
„Weitere Institute öffentlich geregelter Partnerschaften schaffen“
In „Leitbild am Ende?“ vertritt Konrad Hilpert, einer der beiden Herausgeber und emeritierter Professor für Theologie an der Universität München, hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften folgende Ansicht: „(Es wäre) evident ungerecht, gleichgeschlechtliche Partner von einem öffentlich anerkannten Institut, in dem der Wille zur dauerhaften Verbundenheit und die gegenseitigen Beistandspflichten geregelt sind (also die sog. gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften gem. dem Lebenspartnerschaftsgesetz, Anm. d. Red.) prinzipiell und auf Dauer auszuschließen.“ Sowohl Johannes Paul II., wie auch Benedikt XVI. lehnten solche pseudofamiliären Konstruktionen vehement ab.
Hilpert will aber keineswegs solche rechtlichen Institute auf homosexuelle Paare beschränkt wissen und regt an: „zusätzlich weitere Institute öffentlich geregelter Partnerschaften zu schaffen, die der Ehe in relevanten Regelungshinsichten ähnlich sind.“ Unter diesen Umständen wundert man sich nicht mehr, wenn Bernhard Laux, zweiter Herausgeber und Professor für Theologische Anthropologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Regensburg, die Auffassung vertritt, für manche könnten alternative Partnerschaftsformen – also „wilde Ehen“ – die „bestmöglich erreichbare Form sein“.
Alter Ruf nach Demokratisierung der Kirche
In „Der Fall Tebartz-van Elst“ sinniert Gregor Maria Hoff, Professor für Fundamentaltheologie in Salzburg, über die ekklesiologischen, also kirchenstrukturellen Auswirkungen des Limburger Falles: „Unter der Hand verschieben sich ekklesiologische Koordinaten. Das Volk Gottes erhält ein Mitspracherecht, wenn es um das Amt des Bischofs geht. Zugleich wird die nicht-kirchliche Öffentlichkeit als ein Faktor innerkirchlicher Entscheidungen ernst genommen.“ Der Autor erhofft sich im Grunde eine Demokratisierung der Kirche.
Wesentlich deutlicher und verständlicher fordert Hermann-Josef Frisch eine Demokratisierung der Kirche in seinem Pamphlet „Nicht Kirchenschafe, sondern Mut-Christen“, erschienen im Patmos-Verlag: „Diese hierarchische, klerikale, selbstbezogene, auf Macht und Einfluß drängende Kirche, die Menschen unterdrückt statt befreit, die eine Drohbotschaft verkündet statt der Frohen Botschaft christlichen Glaubens, die ausschließt statt integriert, die fordert statt zu schenken, die Angst statt Mut und Hoffnung macht – diese Kirche ist am Ende, personell und moralisch.“ Sollte sich die Kirche nicht ändern, so würde sie zu einer unter vielen Sekten verkommen.
Hochaktuelle Biographie Pauls VI.
Gottlob gibt es auch Positives zu berichten. Wie schon in der letzten Kolumne erwähnt, erschien vor wenigen Wochen „Das wahre Evangelium der Familie: Die Unauflöslichkeit der Ehe: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit“ des Professors für Pastoraltheologie in Rom Juan José Pérez-Soba (Media Maria). Außerdem brachte Echter die deutsche Übersetzung von „In der Wahrheit Christi bleiben: Ehe und Kommunion in der Katholischen Kirche“ mit Beiträgen der Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke, Carlo Caffarra, Velasio De Paolis und Gerhard Ludwig Müller heraus. Dieses zuvor auf italienisch und englisch erschienene Buch zog in den Wochen vor der Familiensynode, die am 5. Oktober im Vatikan begann, große internationale Aufmerksamkeit auf sich.
Zum ersten Mal erschienen in Frankfurt die Verlage Bernardus und Patrimonium, letzterer mit Titeln von Klaus Berger, Raphael Bonelli, Heinz-Lothar Barth und anderen. Aufgrund der oben genannten Familiensynode im Vatikan erweist sich Ulrich Nersingers Biographie von Papst Paul VI. als absolut aktuell. Über das Echo des Papstes auf die Reaktionen aus Deutschland und Österreich zur Enzyklika „Humanae Vitae“ wird berichtet: „Die Erklärungen von Königstein (Deutschland), Maria Trost (Österreich) und Solothurn (Schweiz) liest er mit ungläubigem Kopfschütteln. Persönlich enttäuscht sieht er sich von den Kardinälen Julius Döpfner und Franz König, denen er in der Vergangenheit eine hohe Wertschätzung entgegengebracht hat.“
Ehe und Familie im Sperrfeuer
Zum Thema Gender, Krise der Familie usw. brachte die Edition Sonderwege bei Manuscriptum (der Verleger von „Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ von Akif Pirinçci) drei Bücher von Bernard Lassahn heraus. Als Quereinsteiger bringt der Autor neue Sichtweisen auf ein Thema, zu welchem aus christlich-konservativer Perspektive inzwischen sehr viel publiziert wurde. Für Lassahn sind Gender, Feminismus usw. Untergliederungen einer umfassenden Gesellschaftsrevolution. Er schafft es, in knappen Sätzen große Zusammenhänge herzustellen, wie etwa „Pornos sind Propagandafilme gegen das Kinderkriegen“ (Aus „Frau ohne Welt: Der Krieg gegen das Kind“). Zum selben Thema veröffentlichte die „Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur“ den Sammelband „Ehe und Familie im Sperrfeuer revolutionärer Angriffe“, vom Autor dieser Kolumne herausgegeben. Die Broschüre enthält Beiträge von Christa Meves, Felizitas Küble, Plinio Corrêa de Oliveira, Murillo Galliez und vom Herausgeber.
Vergeblich suchte man die linksradikalen Verlage im Gang A der Halle 3.1. Nur noch die Junge Welt ist geblieben. Unrast & Co. sind dieses Jahr nach 4.1 ausgewandert, doch was man dort antrifft, ist ein kläglicher Rest von dem, was noch vor etwa zehn Jahren nach Frankfurt kam. Dasselbe gilt erstaunlicherweise für die Esoteriker. Jahrelang vergrößerten sie ihre Ausstellungsflächen in der Religionsabteilung. Dieses Jahr war die Zahl stark geschrumpft, und die Verbliebenen sind in den Hallen zerstreut.
Der Tod, die Digitalisierung und der unabhängige Verleger
Der Tod steht zur Zeit als publizistisches Thema hoch im Kurs. Dem Gefühl nach fand man an jedem dritten Stand ein Buch dazu oder den damit verwandten Thema der Sterbehilfe. Viele werben offen oder verdeckt für die Legalisierung der „Euthanasie“. Doch es gibt auch etliche Titel, die davor warnen. Naturgemäß behandeln christliche Verlage die spirituelle Dimension des Ablebens. So schreibt der katholische Priester und Theologe Peter Dyckhoff in „Sterben in Vertrauen auf Gott“ (bei Media Maria erschienen): „Die wirkliche Vorbereitung auf den Tod, die Geschenk Gottes und Gnade ist, beginnt, wenn der Tod einem zur Frage wird, die in unser Innerstes dringt. (…) Warum muß auch ich sterben, dessen Sehnsucht und Freude es ist, leben zu dürfen? Das ist etwas kaum zu Fassendes, das mich in Frage stellt.“
Eines der wichtigsten Themen auf der Buchmesse war die Frage, welche neuen Möglichkeiten Internet und Digitalisierung eröffnen, um Texte zu veröffentlichen. Hierfür wurde in der Halle 3.1 eine „Self-Publishing Area“ eingerichtet. In einer fast lückenlosen Abfolge von Vorträgen und Podiumsdiskussionen konnte das Publikum erfahren, wie man zum unabhängigen Verleger wird. Inzwischen gibt es etliche Portale, wie etwa Tredition oder Ruckzuckbuch, die dies unkompliziert ermöglichen. Auch einige der großen Verlagsgruppen, wie zum Beispiel Holtzbrinck mit „epubli“, dringen in dieses Marktsegment ein. Viele Titel, die auf diese Weise publiziert werden, sind von zweifelhafter Qualität. Doch für manche ist das eine gute Alternative zum klassischen Verlag: Für den Professor etwa, der seine Aufzeichnungen am Anfang des Semesters zugänglich machen will. Oder für den Journalisten, der so in wenigen Stunden seine Artikel zu einem bestimmten Thema in Buchform anbieten kann. Verlage können ihre vergriffenen Texte ins Netz stellen, damit sie wieder lieferbar sind. Insbesondere Autoren, die ihre Bücher als Baustein eines größeren Projektes konzipieren – beispielsweise einer Werbekampagne –, können vom äußerst kostengünstigen Self-Publishing profitieren.
„Gesellschaft differenzierte sich aus, die Tagespresse blieb ein Einheitsprodukt“
Auch die Zukunft der Tagespresse im Zeitalter des Internets war eines der großen Themen in den Messehallen. Dazu hat die Friedrich Ebert Stiftung die Studie „Talfahrt der Tagespresse: Eine Ursachensuche“ herausgegeben. Für den Autor Andreas Vogel ist nicht das Internet in erster Linie für den Niedergang der Zeitungen verantwortlich, sondern die immer größere Segmentierung der Gesellschaft seit den späten 1960ern. Er schreibt: „Während sich die Gesellschaft ausdifferenziert, blieb die Tagespresse ein Einheitsprodukt. Dabei gab es schon früh Beobachtungen des gesellschaftlichen Wandels, die der Tagespresse einen anderen Zukunftsweg nahelegten.“
Um seine These zu belegen, zitiert er aus einem Vortrag von Otto W. Haseloff aus dem Jahr 1969 (!): „Der Staatsbürger (wird) immer weniger bereit sein, Informationen sich zuteilen und von anderen verwalten zu lassen. Dies aber bedeutet, daß die Medien der Massenkommunikation in wachsendem Umfang darum bemüht sein werden, dem Informationsnachfrager vielfältige Möglichkeiten zur Auswahl zu bieten (…) Und dies bedeutet, daß auch die Zeitung sich dem differenzierenden Informationsbedarf anzupassen hat, wenn sie ihre Chancen nicht allmählich einbüßen will.“ Dass gerade dies nicht geschehen ist, wird ausführlich in der Jungen Freiheit vom 10. Oktober erläutert.
In Zukunft nach Zielgruppen und Themen strukturieren
Für 2015 hat die Buchmesse manche Änderungen angekündigt: Die weit entfernte Halle 8 wird aufgelöst, die englischsprachigen Verlage kommen in die Halle 6. Auch wird es eine neue Hallenaufteilung in Halle 3.1 geben. Generell soll die Platzierung der Stände mehr nach „Zielgruppen, Themen und weniger nach Ländergrenzen“ strukturiert werden. Absicht ist, „die zunehmende Vernetzung im weltweiten Publishing widerzuspiegeln“.
Die Buchmesse soll also noch stärker die globalisierte Welt replizieren. Davon betroffen wird jedenfalls der von mir betreute Stand der DVCK sein. Er wird wohl in die nordwestliche Seite der Halle 3.1 transferiert werden. Die Besucher des Standes der Jungen Freiheit können aber aufatmen. Die Buchmesseleitung ist wohl der Meinung, die JF wäre schon genug mit dem „weltweiten Publishing“ vernetzt und könne am selben Standort bleiben. Ob 2015 schräg gegenüber wieder der große Stand von „Respekt! Kein Platz für Rassismus“ platziert wird, ist noch ungeklärt.