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Grüne Siege

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Baden-Württemberg ist im Herbst nochmals ergrünt. Fritz Kuhn wurde mit fast 53 Prozent zum neuen Stuttgarter Oberbürgermeister gewählt. Das Ergebnis überraschte nicht so sehr, wenn man die Grundtendenz im Auge hatte. Schließlich wurde bereits im Mai 2011 Winfried Kretschmann zum ersten „grünen“ Ministerpräsidenten gewählt und sei „mit 78 Prozent Zustimmung inzwischen der beliebteste Politiker im Ländle“.

Das baden-württembergische Resultat ist zwar einerseits bezeichnend für die Bundesrepublik am Vorabend der hierzulande noch nicht massiv spürbaren Euro-Krise, andererseits auch nicht auf alle Staatsteile übertragbar. Es hat auch etwas mit Baden-Württemberg zu tun, vor allem mit der deutschen Situation des Bürgertums.

Das den „Grünen“ gewogene Bürgertum entsteht vor allem dort, wo Geld und somit eine gewisse finanzielle Sorglosigkeit vorhanden ist. Und mit diesem ist Baden-Württemberg noch ausreichend gesegnet. Das Ländle steht in Wirtschaftskraft an Position 2 der Bundesländer, ebenfalls im Pro-Kopf-Einkommen.

Der schwarze Baum ist längst morsch

Zugleich sind die katholisch-traditionellen Bindungen, die in Bayern noch stärker wirken, in Baden-Württemberg bereits massiv aufgeweicht beziehungsweise liberalisiert. So ist eine neue „Bionade-Mittelschicht“ als Wählerreservoir entstanden, die in der kulturellen Hegemonie der Post-68er-Zeit groß geworden ist und auch abseits Berliner Szeneviertel einen „grünen“ Lifestyle zu leben pflegt.

Die CDU reagiert auf den Verlust alter Bastionen hilflos. Der Stuttgarter CDU-Kreischef Stefan Kaufmann schob die Stuttgarter Wahlniederlage auf das Milieu Alleinerziehender, Kulturschaffender und Migranten, also wäre das Problem der Christdemokraten nur eines bestimmter unerreichter Minderheiten und nicht eines, das im Kern der Gesellschaft und der eigenen Partei liegt. Jahrzehntelang hat man in Stuttgart mittels Abrißpolitik, autogerechter Stadt und dem Primat ökonomischer Zielvorgaben an der traditionellen Substanz gesägt. Zwischen modernen Kaufhaus- und Bürokisten, Stadtschnellstraßen und Großbaustellen bleibt wenig Platz für ein wahrnehmbares attraktives konservatives Format. Der schwarze Baum ist längst morsch, auch wenn dies bislang auf der Rechten noch nicht genutzt werden konnte. Da hilft der CDU auch kein weiteres Anbiedern an den „grünen“ Kultur-Hegemon mehr. In Stuttgart fiel der Stamm zudem so leicht, da die „Grünen“ in Deutschlands Süden ein ausgesprochen gemäßigtes Auftreten haben, das weitaus kompatibler für die Besserverdienenden, für Lehrer, Beamte oder Werbekaufleute ist, als eine Claudia Roth oder ein Jürgen Trittin.

Es war Trittin vorbehalten, in einem TV-Interview das neue Bürgertum zu feiern. Dieses hätte nichts mehr gemein mit dem alten Bürgertum seiner Jugend, den „Spießern“ der 50er und 60er Jahre. Vielmehr hätten die „Grünen“ erreicht, daß die Mittelschicht heute viel offener für neue Ideen und zum Beispiel auch Menschen anderer Herkunft sei. Trittin sieht somit die „grünen“ Wahlerfolge im tieferen Zusammenhang mit dem Mentalitätswandel seit 1968.

Selbst der Bundespräsident würdigte die Achtundsechziger

Mittlerweile zählt es zum gesellschaftlichen Konsens, der 68er-Bewegung eine wichtige Funktion bei der Modernisierung der Bundesrepublik zuzubilligen. Selbstbestimmung, Partizipation, Individualismus, Pluralismus – all dies wird nicht den strukturellen Gesetzmäßigkeiten der westlichen Wohlstandsgesellschaft zuerkannt, sondern dem Wirken der 68er-Generation. Selbst der Bundespräsident würdigte sie in seiner Antrittsrede: „Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Naziregimes prägten den damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert.“

Bei so viel gutem Willen und Durchsetzungskraft liegt es nahe, daß sich Trittin und die „Grünen“ faktisch als Vollstrecker des einstigen Geistes positionieren. Oder wie Rezzo Schlauch bekundet: „Wenn es ein bürgerliches Lager geben sollte, steht es heute den Grünen jedenfalls näher als der Union. Aber wie gesagt: Das ist kein zufälliges Ergebnis der Geschichte. Dieses Ziel haben wir über lange Zeit politisch verfolgt. Wir haben das bürgerliche Feld systematisch beackert und mit tiefen Furchen durchzogen.“ Erst mit den „Grünen“ ist Benno Ohnesorg also auf den gepolsterten Chefsesseln und Stühlen der Gourmetrestaurants angekommen.

Doch der Mythos der 68er hat eine Kehrseite. Bekanntlich waren viele 68er Anhänger von grausamsten Terrorregimen, etwa in Kambodscha oder Nordkorea. Und bekanntlich sind auch die heutigen linksradikalen Milieus extreme Ableger der 68er-Bewegung, auch wenn ihre Wurzeln viel weiter zurückreichen. Die revolutionäre Gewalt einer sich als „Avantgarde“ verstehenden kleinen Minderheit – wehleidig gegenüber eigenen Opfern, aber gnadenlos im moralisch begründeten Anspruch auf eigene Gewaltanwendung – geht einher mit dem völligen Fehlen kritischer Selbstreflexion. Aktuelle Ergüsse dieses Selbstverständnisses kann man in der Justus-Benders-Reportage „Die immer recht haben“ in der FAZ genauer nachlesen.

Hinter der humanistischen Fassade Haß auf das eigene Volk

Die „grüne“ Rede von den alten bürgerlichen „Spießern“, die noch nicht genügend „Willkommenskultur“ verinnerlicht hatten, und die „Deutschland halt’s Maul“-Rufe der anderen sind zwei sehr unterschiedliche Seiten einer Medaille. Beide haben ihre Wurzeln in einer maskulinen Militanz. Beide kommen aus einem Milieu mit latenter Gewaltbereitschaft oder gar -ausübung sowie offen propagierter Ausgrenzung Andersdenkender. Erinnert sei nur an Joschka Fischers alte Prügelbilder.

Insofern ist die humanistische Fassade meist aufgesetzt. Entfallen ist mir momentan die Quelle der These, daß die 68er weniger aus moralischer Empörung gegen ihre Eltern rebellierten, sondern weil sie ihnen nicht die Kriegsniederlage verziehen. Denn nirgendwo in Europa entlädt sich schließlich bis heute der Antinationalismus der Linken in derartigem Haß auf das eigene Volk, wie in Deutschland. Bis in Trittins Rede vom Spießbürger der 50er und 60er Jahre ist das vernehmbar. Die verstummte, gedemütigte, seelisch beschädigte Elterngeneration war nach 1945 in den wirtschaftlichen Wiederaufbau geflüchtet, hatte den Kopf eingezogen und die Wohlstands-Grundlagen für die 68er-Generation sowie das heutige Neo-Bürgertum erarbeitet. Die 68er mußten dafür jedoch ohne strahlende Vorbilder aufwachsen, ohne Siegertypen, aus denen junge Männer Kraft für ihre stets kämpferischen Impulse ziehen konnten. Statt dessen mußten sie vor Leisetretern leise treten, vor Kuschern kuschen und zugleich wurde ihnen bei Auslandsreisen Verachtung entgegengebracht.

Aus dieser Gemengelage wuchs der Haß auf die Elterngeneration und der Versuch, durch den Sieg über diese selbst vom Kind der Verlierer zum Sieger zu werden. Während die dummen Betonköpfe der „Autonomen“ bis heute reflexhaft auf solche Weise „Siege“ zu feiern meinen, dabei immerhin Männlichkeitsrituale zu bedienen verstehen, haben sich andere in Rathäuser gesiegt. Ob sie deshalb noch als strahlende Vorbilder für die heranwachsende Generation dienen, dürfte spätestens auf dem Prüfstand stehen, wenn der wirtschaftliche und soziale Wind kälter wird.

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